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Landeshauptstadt: „Ja, die Hoffnung stirbt immer zuletzt“

70 Menschen feierten Weihnachten in der Suppenküche / Auch Klein-Glienicker Bürgershof lud ein / Schönbohm dankte Helfern

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70 Menschen feierten Weihnachten in der Suppenküche / Auch Klein-Glienicker Bürgershof lud ein / Schönbohm dankte Helfern Von Jörg Isenhardt und Ulrike Strube Innenstadt / Klein-Glienicke - Einige haben sich ordentlich „schick“ gemacht. Andere haben sich offensichtlich nicht einmal gewaschen. Aber sie alle „sind an diesem Tag ein bisschen aufgekratzt“, sagt Renate Pahl, die als ABM-Kraft im sozialen Zentrum der Volkssolidarität in der Lindenstraße – im Volksmund nur „Suppenküche“ genannt – Weihnachten feiert. Suppenküchenchef Friedhelm Loter hat am Heiligen Abend ein volles Haus, nahezu 70 Bedürftige füllen die zwei Gasträume bis auf den letzten Platz. Renate Pahl und ihre Kollegen haben alle Hände voll zu tun, sie bringen Kaffee, bauen die Kuchentafel auf. Aus zwei großen Boxen klingt Live-Musik. Zwischen den Tischreihen schreitet die Sängerin Ingrid Raack mit ihrem Funkmikro herum und singt weihnachtlich Besinnliches, aber auch Populäres. Sie kommt gut an. Es sind größtenteils Stammgäste, die in die Lindenstraße kommen, um Weihnachten zu feiern. Arbeitslose, Rentner und obdachlose Menschen, die entweder hier ihren Platz, vielleicht auch so etwas wie ein „Familie“, gefunden oder einfach keine Alternative haben. Sie alle sitzen zusammen im Warmen bei Kaffee und Kuchen. Ein versöhnliches Bild, das fast vergessen machen könnte, dass keiner weiß, wie es mit der Suppenküche weitergehen wird. „Sobald ein Nachmieter gefunden ist und die Sanierung beginnen kann, müssen wir hier raus. Und dann bleibt die Frage, wo man uns unterbringen wird“, erklärt Friedhelm Loter den Ernst der Lage. Der Suppenküchen-Leiter sammelt derzeit Lippenbekenntnisse. Sowohl Potsdams Oberbürgermeister als auch die PDS-Opposition sind am Festtag vor Ort und erneuern einmütig ihre Versprechen, sich für eine sichere Zukunft des Hauses und ein „Verbleiben der Suppenküche in der Innenstadt“, so Oberbürgermeister Jann Jakobs, einzusetzen. Die PDS lässt es dabei nicht bewenden und hat „in der Fraktion gesammelt, um wie jedes Jahr Geschenke mitzubringen“, legt Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg nach. Die Gäste finden gerade in diesem Jahr sowohl an den Präsenten als auch an den Versprechen der Politiker Gefallen. Siegfried Schmielling, der schon voriges Jahr hier Weihnachten gefeiert hat, meint, „es ist einfach schlimm, dass das Objekt so lange in der Schwebe hängt“. Er hofft, dass der Oberbürgermeister sein Versprechen hält. Gleiches findet Hans-Joachim Skiba, der seit zwei Jahren regelmäßig in die Einrichtung kommt: „Da gehe ich doch lieber hierhin, als dass ich zu Hause vergammle.“ Dafür fährt Skiba von Töplitz jeden Tag mit dem Fahrrad nach Potsdam. „Allein die Busfahrt kostet fünf Euro, davon kann ich einen ganzen Tag leben.“ Ob sich an dieser Situation etwas ändern lässt, dass weiß er nicht. Er sagt, man könne eben nur hoffen. „Ja, die Hoffnung stirbt immer zuletzt“, stellt derweil Suppenküchenchef Friedhelm Loter fest und spielt damit auf die ungewisse Zukunft des Hauses an. Seine Mitarbeiterin Renate Pahl dagegen hat für die Zukunft immer weniger Hoffnung. Sie meint, dass „zunehmend junge Familien mit Kindern in die Suppenküche kommen, die durch Hartz IV eventuell noch weiter ins Abseits geraten“. Gerade für diese Familien sei das Weihnachtsfest „einfach das Highlight des Jahres“. Familienvater Dirk Z. sieht das anders: Nicht Weihnachten sei das Highlight, „sondern die Existenz dieser Einrichtung.“ Irgendwie, so scheint es, haben beide recht. Gans dank Jauch „Wo ist denn Günther Jauch?“, fragt ein älterer Herr etwas irritiert. Seine Augen suchen das Restaurant des Bürgershofes in Klein-Glienicke ab. Mit seiner Frau hat er sich am Vormittag des Heiligen Abends auf den Weg dorthin gemacht. Eingeladen hat der Geschäftsführer des Ausflugslokals Gunnar Schnabel. Mit Vanillekipferl, selbst gebackenem Stollen nach dem Rezept seiner Großmutter und Gänsekeule mit Rot- und Grünkohl bewirtet er seine Gäste – kostenlos. Alleingebliebenen, alten Menschen, aber auch ehemaligen und neuen Klein-Glienicker Bürgern will Schnabel damit an Weihnachten eine Freude bereiten. Nur mit Günther Jauch kann der Bürgershof-Chef nicht aufwarten, auch wenn der Potsdamer TV-Moderator großen Anteil an der Feier hat: Am ersten Adventswochenende hatte Jauch im Bürgershof einen neuen Fernsehwerbespot für das Versandhaus Quelle gedreht. Den Erlös von rund 3000 Euro nutzte Schnabel direkt für sein Weihnachtsfest, das in dieser Form erstmals stattfindet. Begeistert von der Idee ist Jutta Jagßenties. Mit ihrem Sohn Volker hat sie sich aufgemacht, Bilder mit von den alljährlichen Treffen ehemaliger Klein-Glienicker mitgebracht. 1945 erblickte die Mutter dreier Kinder auf dem an die Glienicker Lake und den Griebnitzsee grenzenden Stückchen Land das Licht der Welt. Sie schwärmt vom einstigen dörflichen Charakter. Im Kalten Krieg gehörte Klein-Glienicke zum Grenzgebiet. Nach und nach zogen die „Ureinwohner“ weg, erzählt Jutta Jagßenties. Bürgershof-Chef Gunnar Schnabel hört zu. Er ist interessiert an den Geschichten der Menschen, die seine Gäste sind. Mit 17 Jahren begann er, sich in der Berliner Bahnhofsmission zu engagieren. Etwas für andere Menschen zu tun, ist ihm wichtig, sagt der 42-Jährige. Der aus dem ehemaligen West-Berlin Stammende wuchs in einem christlichen Elternhaus auf. Und so wollte er auch seinem Fest im Bürgershof einen religiösen Rahmen geben. Gewinnen konnte er für sein Vorhaben den Babelsberger Pfarrer Stephan Flade. Dass nur 15 Männer und Frauen seiner Einladung gefolgt sind, scheint Schnabel zu betrüben. Er hätte gern mehr Menschen an Heiligabend mit dem Beisammensein beschert. Wohl der Allgemeinheit Ein Zeichen setzen will am Heiligabend Innenminister Jörg Schönbohm. Er besucht am Vormittag die Polizeiwache Potsdam-Nord und die Berufsfeuerwehr. „Die Männer und Frauen, die für unser aller Wohl und Sicherheit an den Feiertagen Dienst tun, haben Dank und Anerkennung verdient“, sagt er. Der Minister erinnert auch an die brandenburgischen Polizisten, die sich in diesen Tagen im Auslandseinsatz befinden – und an die Menschen, die während der Feiertage in den Kliniken und Altenheimen Dienst tun, oder sich ehrenamtlich um Menschen kümmern, die gerade an den Weihnachtstagen besonders einsam sind. In einer „Zeit zunehmender Ichbezogenheit“ sei es eben nicht selbstverständlich, dass sich Menschen für andere einsetzen.

Jörg Isenhardt, Ulrike Strube

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