Landeshauptstadt: Jakobs entschuldigt sich
Historiker vom ZZF warnte Stadt vor offizieller Ehrung eines berüchtigten DDR-Volksrichters
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Die Historiker des renommierten Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) hatten in der vergangenen Woche schriftlich von der Gratulation zum Geburtstag von Hermann Wohlgethan abgeraten. In einem Schreiben an Bürovorsteher Wolfgang Hadlich machte Hans-Hermann Hertle deutliche Aussagen zur Person des jetzt Hundertjährigen. Wohlgethan war Richter erst am Kreis- und später am Bezirksgericht Potsdam und hat laut Staatsanwaltschaft Neuruppin verschiedenste ungerechte Urteile gesprochen. Die Staatsanwaltschaft wollte Wohlgethan nach Prüfung von 300 Urteilen daher im Frühjahr 1998 in 63 Fällen wegen Rechtsbeugung anklagen. Zwar verzichtete Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) daraufhin auf die sonst übliche Ehrung durch eine Beigeordnete, ein Bote der Stadt überbrachte dem Jubilar dennoch die schriftlichen Glückwünsche des Oberbürgermeisters.
„Das ist brüskierend den Opfern gegenüber“, sagte Hertle gestern. Vor allem im Wissen, dass Jakobs in wenigen Tagen viele Häftlinge des Stasi-Knastes Lindenstraße und des KGB-Gefängnisses anlässlich einer Ausstellungseröffnung zu diesem Thema in Potsdam empfangen wird. Jetzt habe er den Mann geehrt, der diese hinter Gitter gebracht hat, so Hertle.
Jakobs, der bis gestern Abend in Frankreich weilte, entschuldigte sich gestern für die Gratulation bei den Opfern, die sich dadurch verhöhnt fühlen. Er habe persönlich Anrufe von Betroffenen erhalten, die einst von Wohlgethan verurteilt worden waren. Wäre abzusehen gewesen, wie unreflektiert der Ex-Richter die Vergangeheit sieht, wäre auf das Schreiben verzichtet worde, sagte Jakobs gestern Abend vor Stadtverordneten.
Zur Anklage gegen Wohlgethan kam es nie. Denn ein Gutachten des Rechtsmedizinischen Institutes Potsdam vom Oktober 1998 attestierte ihm Verhandlungsunfähigkeit und rettete ihn vor der Anklagebank – auf Lebenszeit. Die Akten der Staatsanwaltschaft Neuruppin sind daher geschlossen und werden laut Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher auch nicht mehr geöffnet. Den Namen Wohlgethan kannte Schnittcher dennoch auf Anhieb: „Weil er mir als besonders schlimmer Fall in Erinnerung ist.“ Er habe „überharte“ Zuchthausstrafen ausgesprochen, Gesetze unverhältnismäßig gebeugt und bei der Verurteilung politisch Gefangener „schwere Menschenrechtsverletzungen begangen“. Ihm sei kein anderer Fall dieses Ausmaßes bekannt.
Unrechtsbewusstsein ließ Wohlgethan an seinem Geburtstag vermissen. Er brüstete sich gegenüber Journalisten gar damit, das letzte Todesurteil in Brandenburg gesprochen zu haben. Aus der PDS trat der 1907 in Bünde geborene Wohlgethan Ende der 1990er Jahre aus, heute ist er Mitglied der DKP.
Die Mitglieder des Oberbürgermeisterbüros hatten das Glückwunschschreiben damit begründet, dass nicht genügend Hinweise auf die Vergangenheit des Jubilars vorgelegen hätten. Auf die Aussagen reagierte Hans-Hermann Hertle gestern in Anspielung auf sein Schreiben aus der Vorwoche empört. Er verwahre sich gegen die Behauptung, man hätte keine genauen Hinweise auf die Vita des Hundertjährigen gehabt.
Konsequenzen bei den Personalien im Oberbürgermeisterbüro wurden gestern auch aus den Reihen der Sozialdemokraten laut. Während der Potsdamer SPD- Fraktionsvorsitzende Mike Schubert die Gratulation durch den Oberbürgermeister noch verhalten kritisierte („Wenn die Stadt gratuliert, muss sie wenigstens eine kritische Bemerkung zur Vita auf die Karte schreiben.“), wollte sich Hans-Jürgen Scharfenberg von der Linkspartei.PDS nicht äußern. Denn er empfinde die Berichterstattung dieser Zeitung über den Geburtstag des DDR-Richters empörend.
Das Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg bot Jakobs „und insbesondere seinem Büroleiter Unterstützung bei der Beurteilung von Fällen des SED-Unrechts an“. Dazu könnte laut dem früheren Stadtverordneten Manfred Kruzcek „eine entsprechende Fortbildung für Stadtverwaltungsmitarbeiter“ angeboten werden. Die Christdemokraten kritisierten das Vorgehen, trotz der Hinweise des ZZF zu gratulieren, scharf: Angesichts der fragwürdigen Rechtssprechung und der Hinweise darauf hätte auf die Ehrung verzichtet werden müssen, sagte Fraktionschef Steeven Bretz. Er verwahre sich als „Kind der DDR vor pauschalen Vorwürfen gegenüber DDR-Biografien“. Jedoch scheine Wohlgethan sich selbst nicht ausreichend kritisch gewürdigt zu haben. Einen Tag nach der Geburtstagsfeier war seitens der Familie und des Ex-Richters keine Stellungnahme mehr zu erhalten und Besuche im Pflegeheim, wo Wohlgethan lebt, unterbunden. Jan Brunzlow
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