Landeshauptstadt: Jeden Tag verhasste Erdbeermarmelade
Fürsorge kann zur Qual werden: Für den Pflegling und den Pflegenden. Helfen kann Hotline „Pflege in Not“
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Sie hatten sich geschworen immer für einander da zu sein: In guten wie in schlechten Tagen. Dieses Versprechen zu halten, fällt der 74-jährigen Irmtraud K.* jeden Tag schwerer. Ihrem Mann Hubert, früher ein kluger Kopf, schwindet das Gedächtnis. Er wird aggressiv, wenn seine Frau ihm beim Ausziehen helfen will. Hubert schlägt dann um sich und schreit. Trotzdem beharrt Irmtraud darauf, ihren Mann zu pflegen. „Es ist doch sonst niemand da, der das so gut kann“, klagt sie am Telefon.
Diesen Durchhaltewillen erlebe sie oft bei pflegenden Angehörigen, sagt Stefanie Eggers, Leiterin des Beratungstelefons „Pflege in Not“. Auch bei Irmtraud K. habe es drei intensive Gespräche gedauert, bis sich die 74-Jährige eingestand: „Ich schaff“ es nicht mehr“ Diese Selbsterkenntnis ist auch der Titel der vom „Pflege in Not“-Team Brandenburg herausgegebenen Infobroschüre. Die Beratungs-Hotline mit Sitz in Potsdam und in Trägerschaft von Diakonie und AOK gibt es jetzt seit einem Monat. Es ging als bundesweit zwölftes Pflegeberatungstelefon ans Netz. Über 200 Anrufer wählten bereits die Nummer, an deren Ende Mediatorin Eggers oder die Pflegefachkraft Christiane Arlt sitzen. „Bei Rechtsfragen können wir zu den Experten der AOK verweisen“, sagt Eggers. Ein gelungener Zusammenschluss, wie sie findet. Nach dem Potsdamer Beispiel sollen im Land Brandenburg weitere Anlaufstellen geöffnet werden. „Als nächstes wahrscheinlich in Frankfurt“, so die Leiterin. Weil eine Vielzahl an Anrufern aus der Stadt an der Oder in Potsdam aufliefen.
So auch der Fall von der Ehefrau, die ihrem bettlägerigen Mann ein Jahr lang jeden Morgen ein Brötchen mit Erdbeermarmelade schmierte, obwohl sie genau wusste, dass er Erdbeermarmelade hasst. „Das ist eine Form von Gewalt, die in der Pflege nicht selten ist“, erklärt Seelsorgerin Eggers. Über Jahre gestörte Beziehungen zwischen Ehepartnern oder auch Eltern und Kindern begünstigten ein solches Verhalten. „Es wird Rache genommen“, so die Mediatorin. Solche Situationen gelte es zu erkennen und dann möglichst schnell professionelle Pflegekräfte einzuschalten oder sogar Pflegende und Pfleglinge zu trennen.
Pflegesituationen sind belastend, sagt die Seelsorgerin. Auch Pflegepersonal gerate manchmal in Not – aus Überforderung oder Frust. Diese Dinge bekäme sie auch zu hören: Von der Pflegeleitung, Kollegen oder den Betroffenen selbst. „Wir sind keine weitere Prüfinstanz, die das Personal oder die Einrichtung unter die Lupe nehmen und womöglich sanktionieren will“, sagt Stefanie Eggers. Vielmehr sei das Beratungstelefon und auch Mediationsangebot dazu da, Konflikte zu lösen. Zunächst sei die Einrichtung auf ein Jahr befristet, so Eggers. Aber schon jetzt könnten sie und ihre Kollegen nachweisen, dass es einen großen Bedarf an Beistand gibt.
„Pflege in Not“ unter Tel.: 0180 26 555 66 (6ct pro Anruf aus dem Festnetz). Rückrufservice im Internet unter www.pflegeinitiative-brandenburg.de
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