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Landeshauptstadt: „Jeder macht nur noch seins“

Erstmals wählten auch die Bürger in den Ortsteilen den Oberbürgermeister

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Erstmals nehmen die Bewohner der 2003 eingemeindeten neuen Ortsteile an einer Oberbürgermeisterwahl teil. Ein junger Vater, der gegen Mittag in der Groß Glienicker Pestalozzi-Schule sein Kreuz machte, ließ sich dabei keineswegs von dem eher ruhigen Potsdamer Wahlkampf leiten: „Wahlkampf ist Werbung“, sagt er, „da werden Produktschwächen nie gezeigt“. Das mit dem Uferweg am Groß Glienicker See will er Jann Jakobs (SPD) nicht ankreiden. „Das haben die schon gleich nach der Wende verbockt.“ Für zwei Frauen, die in einem zum Wahlbüro umfunktionierten Klassenraum gewählt haben, liegt das zentrale Wahlkampfthema nahe: die Schulsituation. Erst kürzlich habe das Schulamt die zweite Sonderpädagogenstelle gestrichen. „Wir sind sehr enttäuscht“, sagen sie. Was sie auch noch nervt, ist die schlechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr: „Groß Glienicke ist noch ein abgeschotteter Ort.“ Beide finden, dass CDU und SPD keine besonders aussagekräftigen Wahlprogramme haben. Da seien sie eher bei den kleinen Parteien fündig geworden.

Keine Menschenseele auf dem Kaiserplatz in Fahrland. Endlich kommt ein Vater mit seiner Tochter angeradelt. Sie passt auf die Fahrräder auf; er geht ins Wahllokal. Hinterher sagt er, er sei bei Wahlen „relativ festgelegt“, er wähle links. Dass Hans-Jürgen Scharfenberg mal mit der Stasi zusammen gearbeitet hat, sei für ihn kein Thema. Da werde nicht mit der gleichen Elle gemessen, kein Westkandidat müsse seine Vergangenheit derart bloßlegen. Und was soll das alles, wenn selbst Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mal aktive FDJlerin war?

Es ist 13.30 Uhr, laut Wahlvorsteherin Katrin Wolter läuft der Wahltag „sehr schleppend“. Bis Mittag haben in Fahrland etwa 250 von 1100 Wahlberechtigten ihr Kreuzchen gemacht. Das sind etwa 22 Prozent. Ein älterer Mann, der eilig vorbei geht, ruft auf die entsprechende Frage nur: „Der Amtsinhaber bringt’s nicht. Es muss ein neuer her.“ Björn Karl, der seinen Namen sagt, weil er selbst in der Kommunalpolitik aktiv ist, bedauert, „dass die Chance auf eine dritte große Alternative verpasst wurde“. Er meint, CDU, FDP und Grüne hätten einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schicken sollen. Bei der jetzigen Wahlbeteiligung bestehe die „große Gefahr“, dass Scharfenberg bereits im ersten Wahlgang „durchmarschiert ins Amt“.

Einen „Ostbonzen“ will auch ein fahrradschiebendes Paar in Satzkorn nicht im Amt sehen. Scharfenberg drehe nun seine „Nase einfach nach der anderen Richtung“, sagt er. Sie ergänzt, sie hätte schon gern die grüne Kandidatin Marie Luise van Halem gewählt, aber die habe ja „eh keine Chance“. Eine Stimme für sie hätte Scharfenberg nicht verhindert. Themen in Satzkorn sind das alte Barockschloss, das verfällt, und die Radwege. Auf der B273 sei es für Radler „lebensgefährlich“; dabei gebe es bereits einen Radweg an der Bundesstraße. Es fehle lediglich nur noch „ein kleines Stück von uns bis zur Brücke“. Ansonsten fühlen sich beide „vereinnahmt von der Stadt Potsdam“: Die Grundstückssteuer sei mit der Eingemeindung auf das Fünffache gestiegen. Einziger Lichtpunkt sei die neue tolle Sportanlage – „immerhin“, sagt sie.

In Krampnitz gibt es kein Wahlbüro, die Krampnitzer müssen nach Fahrland. Ein Mann, der am Wegesrand Futter für die Kaninchen sichelt, wird sich nicht auf den Weg machen. Er wähle nicht, es ändere sich ohnehin nichts. Im Krampnitz sei es noch genau so wie vor 30 Jahren. Nur dass zu DDR-Zeiten noch ein gewisser Zusammenhalt im Dorf da war. „Jetzt macht jeder nur noch seins.“ Wegen der fehlenden Nachtbusse ist eine Schichtarbeiterin in Marquardt mächtig sauer. „Ich bin links“, stellt sie klar. Eine junge Frau, sicher Erstwählerin, erklärt, sie kenne Jann Jakobs persönlich: „Er ist nett, er grüßt mich immer.“ Guido Berg

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