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Alte Schule. Friedrich der Große.

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Homepage: Jeder nach seiner Façon?

Von Friedrich II. bis in die Postmoderne

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Dass Friedrich der Große ein großer Denker seiner Zeit war, ist unbestritten. Doch halten seine Weltsichten und Credos auch noch Spannendes für das 21. Jahrhundert bereit? Heinz Kleger, Politikprofessor an der Universität Potsdam, hat sich dieser Frage aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln genähert. Das Ergebnis ist die gerade erschienene Publikation „Jeder nach seiner Façon – Toleranz als Streitfeld“ (ISBN 9783844815771). Kleger, ein ausgewiesener Kenner der Toleranz-Forschung und ebenso bekannt durch internationale Studien über Bürgerhaushalte und Basisdemokratie, trennt strikt zwischen den politischen und den philosophischen Ideen des „Alten Fritz“. Nur letzteren bescheinigt er eine bestimmte Nachhaltigkeit, die in der heutigen Konfrontation mit zunehmender Individualisierung, fortschreitender Globalisierung, verdichteter Urbanität und angestrengter Suche nach neuen Wertesystemen durchaus an Relevanz gewinnen könnten.

Mit dem Satz „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“ setzte Friedrich II. seinerzeit einen Markstein für Toleranz und freie Religionsausübung, auch wenn die Umsetzung der Idee in Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika zunächst viel konkreter griff. Im gleichen Kontext verweist Kleger auf Hinweise des Historikers Jürgen Overhoff, wonach sich Friedrich II. und der erste amerikanische Präsident George Washington nicht nur gegenseitig bewundert, sondern auch beobachtet hätten – womit wohl erstmals in der modernen Geschichte eine Art „Wettbewerb der Systeme“ in Gang kam.

Das führt den Autor dann zu seinem Lieblingsthema: der möglichen Stabilität heutiger Gesellschaften unter dem Vorzeichen einer Balance von (größtmöglicher) individueller Freiheit, Toleranz, „neuer Zivilität“, „politischer Urbanität“ und solidarischem Handeln im Sinne von Hans-Georg Gadamer. Heinz Kleger betrachtet auch die Relation von Freiheit und Menschenwürde: „Jeder nach seiner Façon“ – das bedürfe elementarer Rechte, die potentiell universell sind, jedoch verankert und geschützt werden müssten, so Kleger. Es folgt der Verweis auf alarmierende UN-Berechnungen, nach denen heute drei Milliarden Menschen weniger als zwei Dollar zum täglichen Leben haben, vier Milliarden überhaupt keinen Zugang zur Justiz besitzen und jährlich 1,8 Millionen Menschen an Krankheiten infolge von verschmutztem Wasser sterben. Aufklärung gewinnt hier einen ganz anderen, noch weit dringlicheren Impetus.

In den vergleichsweise reichen Gesellschaften – etwa der deutschen – plädiert Heinz Kleger für ein bedingungsloses Grundeinkommen, wofür man durchaus auch mit dem Grundgesetz argumentieren könne. Gerade weil die zunehmende relative Armut von Familien mit Kindern auch hierzulande ein Skandal sei, erinnert der Politologe an verschiedene Streitschriften von Thomas Paines „Agrarian Justice“ aus dem Jahre 1795 bis hin zu den Plädoyers des erst vor Kurzem verstorbenen deutsch-britischen Soziologen Ralf Dahrendorf. Konkrete Modelle für gesichertes Grundeinkommen und/oder Mindestlohn seien heute längst konzipiert und durchgerechnet. Doch selbst an Universitäten würden sie kaum diskutiert. Die politische Bildung der Menschenrechte, schlussfolgert der Autor, sei offensichtlich auch hierzulande noch schwach ausgebildet.

Heinz Kleger ist bekanntlich nicht nur Politologe und Theoretiker, sondern selbst Mitinitiator verschiedener basisdemokratischer Initiativen in der Region. Und so redet er auch in seinem neuen Buch das Wort für eine stärkere zivilgesellschaftliche Vernetzung, die sowohl im Kampf gegen Extremismus wie auch zur Entwicklung urbaner Toleranz sehr hilfreich sei. Am Ende dann eine doch recht verblüffende Folgerung: „Politische Theorie ist ein Produkt der Stadt und nicht der Schule.“ Aufklärung müsse heute die bürgerlichen Salons verlassen, in die heterogene Stadt hineingehen, die Realitäten kennenlernen und mit den Menschen vor Ort sprechen. Indirekt heißt das wohl auch: Die Rolle des großen Kümmerers, wie sie Friedrich II. – und nicht nur er – perfekt inszenierte, reicht für die Politik von morgen nicht mehr aus. Olaf Glöckner

Olaf Glöckner

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