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Landeshauptstadt: „Judenrein“

Der Bankierssohn Wilhelm Kann war der letzte offizielle Vertreter der jüdischen Gemeinde in Potsdam

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Morgen werden die ersten „Stolpersteine“ in Potsdam verlegt. Mit diesem Gedenk- Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig soll an Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden – bundesweit bereits in mehr als 300 Orten. Die PNN stellen jeden Tag einen jüdischen Potsdamer vor, vor dessen letzter Wohnung bald ein „Stolperstein“ liegen wird. Heute: Wilhelm Kann, Friedrich-Ebert-Straße 113.

Am Ende ist er allein. Als Wilhelm Kann am 29. Juni 1943 zur Deportation abgeholt wird, leben seine Eltern nicht mehr, die vier Kinder sind längst im Ausland. Die letzten Monate in Potsdam sind von Existenzangst geprägt: Der Bankierssohn versetzt Möbel und sogar ein Fahrrad, um die Miete bezahlen zu können. Im Konzentrationslager Theresienstadt erlebt der Sekretär der jüdischen Gemeinde Potsdam gerade noch den Jahreswechsel. Am vierten Januar 1944 stirbt er am Hungertyphus.

Geblieben sind Zeugnisse, Bescheinigungen, Briefe. „Da sieht man, was ein einzelner Mensch hinterlässt“, sagt Clara Goecke. Die Helmholtz-Schülerin erarbeitete die Lebensgeschichte von Wilhelm Kann für das Stolperstein-Projekt. Den Hefter mit Unterlagen hat ihr Wilhelms Enkel Michael Kann, ein Berliner Filmregisseur, zur Verfügung gestellt. „Ich habe weniger gefunden, als ich dachte“, sagt Clara Goecke.

Die 17-Jährige besucht dieselbe Schule wie einst Wilhelm Kann: Zu seiner Zeit – Kann wurde am 17. November 1880 geboren – war das Schulgebäude in der Kurfürstenstraße ein Neubau. Der Ruf der nach Kronprinzessin Viktoria benannten Einrichtung war über die Stadtgrenzen hinaus bekannt: Viele der Gymnasiasten wohnten in Potsdamer Pensionen, heißt es in der Schulchronik. Viktoria-Abiturienten bewarben sich oft um eine höhere Beamten- oder Militärlaufbahn. Wie Wilhelm Kann an diese Musterschule passte, weiß heute niemand. Ob der Bankierssohn, dessen Familie ein Haus vis á vis der Synagoge am Wilhelmplatz, in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße 113, bewohnte, beliebt war bei den Mitschülern? Seine Noten, weiß Clara Goecke, waren jedenfalls „nicht so gut“, oft nur „genügend“. Aber das hat er vielleicht nicht tragisch genommen. Schließlich konnte seine berufliche Zukunft in der elterlichen Firma als gesichert gelten.

Doch es kam anders. Die Lehre im Kann“schen Bankhaus bricht Kann ab, sagt Clara Goecke. Und arbeitet dann trotzdem als Bankier. Kurz vor seinem 30. Geburtstag 1910 heiratet Kann die elf Jahre jüngere Bankierstochter Henni Bernhard. Das Paar bekommt zwei Söhne und zwei Töchter. Aber die Ehe scheitert. Clara Goecke hat eine Kopie der Scheidungsurkunde vom April 1929. Dafür, dass Kann sich von der Trennung erholt, spricht wenig. „Er hat nie wieder geheiratet“, sagt Clara Goecke.

Bald nach der Scheidung bekommt er verstärkt den politischen Wind der Zeit zu spüren: Das Kann“sche Bankhaus muss schließen. 1933 verschwindet der Eintrag aus dem Handelsregister. Wilhelm bleibt die Stelle als Sekretär bei der jüdischen Gemeinde. Nach dem Tod seiner Eltern gerät er in massive Geldnöte: Das Haus am Wilhelmplatz gehört ab 1941 einem Alexander Schönfeld, Kann haust im unbeheizten Dachgeschoss. Im Winter ist es dort so kalt, dass der Wasserkrug über Nacht zerspringt, wie Kann in einem Brief an Anna Groß, das Kindermädchen der Familie, schreibt. Um die Miete bezahlen zu können, versetzt er nach und nach den Familienbesitz – und hinterlässt trotzdem Schulden, als er nach Theresienstadt deportiert wird. Am 18. Juni 1943 wird Wilhelm Kann als angeblicher Auswanderer „polizeilich abgemeldet“. Mit ihm verlässt der letzte offizielle Repräsentant der jüdischen Gemeinde die Stadt. Danach galt Potsdam als „judenrein“.

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