
© Andreas Klaer
Von Erhart Hohenstein: Jugend probt „Zeitensprünge“
Liebe, Musik und Mauerfall – Geschichtstag in den Bahnhofspassagen
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Eine „Zicke“ ist die Vietnamesin mit dem Allerweltsnamen Nguyen keinesfalls, wenn sie auch dem Potsdamer Mädchenklub „Zimtzicken“ angehört. Freundlich gibt sie Auskunft über das Geschichtsprojekt, in dem sie mit in Potsdam lebenden Vietnamesinnen dem Schicksal ihrer Landsfrauen nachgegangen ist, die 1988 als Vertragsarbeiterinnen in die DDR gekommen waren.
Gab es schon damals Fremdenfeindlichkeit – oder erst, nachdem ein Jahr später die politische Wende und dann die Wiedervereinigung kam? Manche der jungen Frauen wurden aus der Bahn geworfen, andere kehrten in die Heimat zurück, viele aber blieben und haben sich in der deutschen Gesellschaft ihren Platz erkämpft. Sie treten heute für ein tolerantes Miteinander der Kulturen ein, sagt Nguyen, die in der DDR-Zeit als Studentin an die Filmhochschule kam.
Ihr Projekt war am Sonnabend beim Jugendgeschichtstag in den Bahnhofspassagen am dichtesten umlagert. Insgesamt präsentierten mehr als 40 Jugendgruppen aus ganz Brandenburg ihre Ergebnisse lokalhistorischer Forschungen im von der Stiftung Demokratische Jugend veranstalteten Wettbewerb „Zeitensprünge“. Für den Landesjugendring, der die Präsentation organisiert hatte, freute sich Heidi Schulze über den bis zum Abend nicht abreißenden Strom der Besucher, zu denen auch Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) gehörte. Sie sahen eine thematische Vielfalt an Beiträgen, etwa über die Bekennende Kirche in Frankfurt (Oder), die Hungerjahre nach 1945 in Oranienburg, das Arbeits- und Erziehungslager Trebbin, die Liebe zu DDR-Zeiten in Ketzin, den Mauerfall in Strausberg, die Schulgeschichte von Bergholz-Rehbrücke oder die Neuruppiner Jugend in den 1990er Jahren.
Die Forschungsergebnisse werden auf unterschiedliche Weise dokumentiert, so durch die Jugendgemeinschaft Ferch in einer Powerpoint-Präsentation und einer Broschüre. Die Gruppe ist der Geschichte des 1992 abgerissenen Pierre-Semard-Hauses nachgegangen, das in seinen Nutzungen vom Dorfkrug über eine Ausflugsgaststätte, Kurhaus, SS-Schule, FDGB-Ferienheim und Emigrantenheim für Chilenen bis zum Jugendtouristhotel „Zeitensprünge“ spiegelt.
Die Gymnasiasten des Da-Vinci-Campus in Nauen, die Wendeerfahrungen von Jugendlichen im Havelland auf der Spur waren, brachten unter dem Titel „Sonnenallee in Nauen?“ sogar ein Theaterstück auf die Bühne des Jugendgeschichtstages. Ebenso viel Beifall fand die Vorstellung des „Zurückgehen oder bleiben?“ genannten Projektes des Kreuzberger Yekmal e.V. über „kurdische und türkische Entschlüsse im Jahr 1989“.
Leider fehlten bei der Präsentation einige der angemeldeten Projektgruppen. Nicht zu finden war beispielsweise der Jugendclub 18 mit seinem hochinteressanten Projekt „Als die Alten jung waren – Jugendmusik in Potsdam in der Zeit der DDR“. Dafür hat er Verwandte und Bekannte, Musiker und Discjockeys zum Spannungsfeld „zwischen staatlich gelenkter Kulturpolitik und Subkultur“ befragt. Da werden Erinnerungen wach an die „Sputniks“, die bis zur ihrem Auftrittsverbot Anfang der 1960er Jahre mit ihrer unangepassten Musik die Massen ins „Katharinenholz“ zogen. Was der Club 18 darüber herausbekommen hat, will er anderen Schulen für den Unterricht zur Verfügung stellen.
Erhart Hohenstein
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