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Landeshauptstadt: „Jugendliche sind keine Autos“

Die Sozialarbeiter Tabea Mielke und Marcel Ulrich vertreten im Jugendhilfeausschuss die Interessen der Potsdamer Kinder- und Jugendklubs: Ein Interview über ihre schwierig-schöne Arbeit mit jungen Leuten

Tabea, Marcel – träumt beide einmal: Was macht für euch einen perfekten Jugendclub aus?

Tabea: Dieser Club hat genügend Mitarbeiter um alle Bedürfnisse der Jugendlichen zu befriedigen. Er hat die nötigen finanziellen Mittel und bekommt eine hohe Akzeptanz aus der Gesellschaft. Dazu gibt es große Räume für möglichst vielfältige Angebote wie Sport, Musik oder eine Modewerkstatt.

Marcel: Zudem beteiligen sich an so einem Club die Jugendlichen mit eigenen Projekten. Doch das Wichtigste ist das Personal: Große Räume alleine reichen nicht. Damit steht und fällt unsere Arbeit, weil wir uns Zeit für Gespräche nehmen müssen und wollen.

Und wie sieht die Situation in den Potsdamer Jugendclubs aus?

Tabea: Angespannt. Bis vor zwei Jahren hatten wir im „Alpha“ noch drei Mitarbeiter. Die Umstellung auf nun zwei Sozialarbeiter war schwer, weil wir unseren Standard nicht senken wollten. Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten, den bisherigen Standard halten und ausbrennen oder Abstriche machen. Das Problem haben alle anderen Jugendclubs auch, diese Kürzungen von drei auf zwei Stellen.

Marcel: Wir hatten schon immer nur zwei Mitarbeiter. Bitter ist es, wenn Ideen vorhanden sind, aber die Umsetzung einfach nicht gelingen kann und so Vorhaben wieder sterben müssen. Zum Beispiel wollten wir immer schon eine Radwerkstatt einrichten – doch das ist momentan einfach nicht leistbar.

Hakt es nur daran?

Tabea: Ein Problem sind zum Beispiel die Krankheits- und Urlaubszeiten. Fällt einer aus, kann der verbliebene Mitarbeiter eigentlich nur noch verwalten. Und wenn Wichtiges außerhalb des Clubs ansteht, muss früher geschlossen werden.

Marcel: Das stimmt. Meine Kollegin war letztes Jahr fünf Monate krank. Die wichtigen Arbeiten wie Einzelfallhilfe, etwa bei Bewerbungen oder Hausaufgaben, das Aufbauen von Vertrauen, solche Dinge können in so einer Situation nur noch schwer stattfinden.

Tabea: Es ist ja nicht so, dass Jugendliche einfach zu uns kommen und über ihre Schwierigkeiten reden. Das braucht seine Zeit.

Dieser Faktor Zeit ist von außen schwer einzuschätzen, weswegen Kritiker oft an der Leistungsfähigkeit von Jugendclubs zweifeln. Wie lässt sich die Qualität eines solchen Clubs messen?!

Tabea: Auf keinen Fall lässt sie sich nur an der Besucherzahl ablesen. Ich messe uns etwa daran, inwiefern Jugendliche bereit sind, sich gerade in der Pubertät an uns zu wenden und um Hilfe zu bitten. Oder ob sie freiwillig bei Arbeiten im Club mithelfen, ob sie Projekte anstoßen.

Marcel: Wir müssen die Kompetenz haben, zu helfen, wenn es brennt, etwa in dem wir Krisenintervention und Konfliktbewältigung anbieten und wenn nötig auch an andere professionelle Helfer wie Psychologen oder spezielle Beratungsdienste vermitteln. Jugendliche sollen hier zudem ihren Freiraum haben, auch “mal ihre Musik lauter aufdrehen zu können und sich innerhalb der Hausregeln ungezwungen bewegen zu können. Wir sehen unsere Angebote aber nicht als Konkurrenz zum Elternhaus – sondern als Möglichkeit auch außerhalb der eigenen vier Wände, einen festen Bezugsrahmen zu haben und die Welt selbstständig und sinnvoll zu erkunden.

Tabea: Jugendliche können hier einfach zur Ruhe kommen, wenn der Vater zu Hause ein chronisches Alkoholproblem hat. Dazu ist unser Angebot kostenlos.

Marcel: Unsere Arbeit hat dabei natürlich eine Grundlage: Eine Konzeption, die wir alle zwei Jahre überarbeiten. Dazu gibt es Leitlinien von unserem Arbeitskreis AKKJ, die für alle Clubs verbindlich sind - und Vorgaben des Jugendamtes. Zudem arbeiten wir im AKKJ nicht nur gemeinsam an speziellen kinder- und jugendbezogenen Themen, sondern tauschen uns auch regelmäßig über die gesammelten Erfahrungen aus. Professionelles Handeln und somit auch die Qualität der geleisteten Arbeit, sind überzeugend, wenn wir uns am Bedarf der Jugendlichen orientieren und auch bereit sind, Angebote zu verändern, wenn sie nicht mehr dem aktuellen Bedarf entsprechen.

Demnächst sollen Leitungsverträge für Jugendclubs kommen. Was haltet ihr davon?

Marcel: Dies ist ein Ergebnis der Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, von einer Festfinanzierung der Clubs hin zu einer sozialraumorientierten Budgetierung. Dieses Konzept beraten wir gerade mit dem Jugendamt und anderen Partnern. Es ist gut, dass wir dazu mitgehört werden. Was herauskommt, werden wir sehen.

Ihr benennt damit auch wieder den Kampf ums Geld für eure Clubs. Fühlt ihr eure Arbeit unterschätzt?

Tabea: Das ist unterschiedlich. Natürlich gibt es das Klischee, dass Sozialarbeiter Kaffee trinken und die Tür ihres Jugendclubs öffnen. Das ist manchmal undankbar. Denn wir müssen flexibel sein, neue Ideen haben – und auch damit leben, dass Jugendliche manchmal keinen Bock auf unsere Projekte haben. Dazu brauchen wir viel Zeit, um Trost zu spenden, Mut zu machen oder einfach zu beraten. Mit den Personalkürzungen ist die Verantwortung gestiegen, die auf uns lastet. Denn zwar sagt die Statistik, dass es bald weniger Jugendliche gibt. Doch merken wir nichts davon. Im Gegenteil haben wir den Eindruck, dass die benötigte Hilfe nicht weniger wird. Doch vielleicht müssen wir uns einfach daran gewöhnen, dass diese Gesellschaft generell weniger lobt, selbst bei guter Arbeit.

Marcel: Doch gibt es auch schöne Momente, zum Beispiel wenn Jugendliche einfach einmal „Danke“ sagen. Oder: „Schön, dass wir dieses Projekt machen und aktiv dabei sein können.“ Das sind Blumen, die man gern entgegen nimmt.

Doch an manchen Jugendclubs wird eben auch gezweifelt. Im Spätsommer 2007 hat Potsdam zum Beispiel erneut eine Diskussion um den Treffpunkt Fahrland erlebt, weil dort auch rechtsorientierte Jugendliche betreut werden und kritisiert wird, der Umgang mit ihnen sei zu lax. Wie erlebt ihr solche Diskussionen im Arbeitskreis?

Tabea: Uns hat die einseitige Sichtweise sehr gestört, deswegen sind Sozialarbeiter aus allen Jugendclubs als Unterstützung zum Jugendhilfeausschuss im November gekommen. Solche Vorwürfe treffen pauschal alle Jugendlichen in dem kritisierten Club – und Eltern überlegen sich, ob sie ihre Kinder noch dorthin schicken können. An dieser Stelle wurde nicht über die Auswirkungen solcher Vorwürfe nachgedacht und das ist traurig. Außerdem können sich so durchaus die falschen Leute, also Rechte, angesprochen fühlen und dann erst recht in solche Clubs kommen.

Marcel: Das Bittere ist, dass solche Vorwürfe ungerechtfertigt sind und alle anderen Tätigkeiten außerhalb dieses Themas in Frage stellen. Soziale Arbeit beschäftigt sich ja mit sehr vielfältigen Themen. Zudem sind wir von dem täglich professionellen Handeln der Mitarbeiter in Fahrland überzeugt und schätzen ihre Arbeit.

Wie geht ihr denn gerade mit rechtsorientierten Jugendlichen um?

Tabea: Zunächst ist das nicht das einzige Problem: Es geht bei unserer Arbeit nicht nur um Politik, sondern auch um Süchte, Gewalt, Probleme in der Familie, Liebeskummer... Doch zur Frage: Zuerst gilt immer die Hausordnung, dazu kommt unsere Konzeption und die eigenen Wertvorstellungen. Die Aufgabe eines Sozialpädagogen ist vor allem Toleranz vorzuleben und bei den Kids und Jugendlichen zu fördern, also zu fragen, wie der Jugendliche denkt und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Der Vorteil von Jugendclubs ist, dass im Gegensatz zur Schule oder zum Elternhaus hier eine freie Situation herrscht, in der Jugendliche offen reden können und das auch tun. So können wir wiederum im Gespräch Einfluss nehmen und versuchen, demokratische Werte zu vermitteln.

Reicht das? Fahrt ihr mit euren Jugendlichen auch in Konzentrationslager?

Marcel: Solche Fragen stehen und fallen wiederum mit dem Bedarf der Jugendlichen im jeweiligen Club. Ist dort ein aktueller Bedarf zu verzeichnen, so wird natürlich darauf reagiert. Doch ist es eben so, dass viele Jugendliche diese Fahrten schon mit der Schule absolviert haben und weiterer Bedarf nicht vorhanden ist.

Tabea: Außerdem ist die Frage, ob Jugendliche damit zu erreichen sind. Viele stehen auf dem Standpunkt, dass sie nicht für das verantwortlich sind, was in der Vergangenheit war. Mit einer Art Unterrichtsfahrt ist da wenig gewonnen. Ein Gespräch über Einstellungen kann da mehr bringen. Hier wird eben auf andere Art Wissen als in der Schule vermittelt. Etwa auch über das gemeinsame Anschauen von Filmen, über die diskutiert wird – oder über Sport.

Wie weit kann aber die Toleranz gehen? Wenn zum Beispiel ein Jugendlicher mit einem Thor Steinar-Shirt in euren Club kommt, also mit Klamotten, die Rechtsextreme gern tragen: Wie verhaltet ihr euch dann?

Tabea: Wenn in so einer Situation gesagt wird, er soll den Club verlassen, ist nichts gewonnen. Wir wollen nicht ausgrenzen, sondern versuchen die Ursachen zu verstehen, warum Jugendliche bestimmte Handlungen oder bestimmte Einstellungen bevorzugen, damit wir dann sozial darauf reagieren und uns der gemeinsamen Diskussion stellen können. Wichtiger ist die Frage: Warum trägst du so was?

Marcel: Damit ist eine Grundlage geschaffen, in der sich andere Argumente anbieten lassen – wie in einer Demokratie mit offenen Diskussionen üblich. Die Grenzen der Toleranz liefern die bestehenden Gesetze, etwa das Hakenkreuze verboten sind. Thor Steinar ist es aber nicht. Und dann setzen wir in unserem Club auch andere Grenzen: Zum Beispiel, dass niemand bedroht werden darf, dass sich die Jugendlichen gegenseitig ausreden lassen und keine politische Propaganda verbreitet wird, ob nun links- oder rechtsorientiert.

Um nun wieder zu dem Bild eines perfekten Jugendclubs vom Anfang des Gesprächs zu kommen: Was wünscht ihr euch?

Marcel: Das Ideen nicht immer an den Finanzen scheitern und wir so auch die Wirkung verschiedenster Projekte prüfen können. Zudem hoffe ich, dass nicht noch zusätzliche Arbeit, die eigentlich durch weitere Personalstellen gedeckt werden sollte, auf die Schultern von Ein-Euro-Jobbern und kostenlosen Praktikanten verteilt wird. Damit leidet die Qualität, schließlich sind wir für den Job ausgebildet: Wie dargestellt, ist Jugendarbeit ein hochsensibles Feld, welches professionelle Kompetenzen verlangt und in dem nicht jeder arbeiten kann.

Tabea: Das stimmt. Jugendliche sind eben keine Autos, die sich nach einem bestimmten Plan pflegen und reparieren lassen. Dazu erhoffe ich mir mehr Akzeptanz, dass die Potsdamer sehen, was wir wenigen Leute mit so begrenzten Möglichkeiten überhaupt leisten.

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