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Anna Antonova im Jugendzentrum der Jüdischen Gemeinde Potsdam Stadt.

© Ottmar Winter PNN / Ottmar Winter PNN

Jung und jüdisch: Anna Antonova stärkt Potsdams Gemeinde

Als Kind kam die 30-Jährige aus Moskau nach Deutschland. In Brandenburgs Landeshauptstadt fand sie ihre Heimat.

Von Alicia Rust

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Eine Erinnerung an ein Davor gibt es für sie nicht. Anna Antonova war erst dreieinhalb Jahre alt, als sie mit ihrer Familie nach Deutschland kam. Von Moskau ins Flüchtlingsheim nach Ahrensfelde, Rückkehr ausgeschlossen. Mama, Papa und die Großmutter. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seien Juden in Russland oftmals einem noch aggressiveren Antisemitismus ausgesetzt gewesen als zuvor. „Meine Oma hat immer gesagt, man muss stets einen gepackten Koffer haben“, sagt die 30-jährige Antonova.

Die Zustände in der Flüchtlingsunterkunft waren beengt, anderthalb Jahre hat sie mit ihrer Familie in einem Provisorium gelebt. Drei Erwachsene, ein Kind, in einem einzigen Raum. Doch es gibt auch positive Erinnerungen. Zum Beispiel an den großen Zusammenhalt. „Einige meiner besten Freunde habe ich dort kennengelernt“, sagt die angehende Lehrerin, die heute in Potsdam Geschichte und Deutsch auf Lehramt studiert.

„Lifroach“ heißt der Jugendklub, Hebräisch für Aufblühen

Auch ihre Großmutter, die ebenso in Potsdam wohnt, war einst Lehrerin. Sie habe dafür gesorgt, dass Antonova in ihrer Kindheit neben Deutsch auch Russisch sprechen und schreiben lernte. Auch ihr sei heute wichtig, dass ihr vierjähriger Sohn zweisprachig aufwachse, sagt Antonova. In erster Linie solle er aber die deutsche Sprache beherrschen. Wenn er in die Grundschule komme, solle es keine sprachlichen Hürden geben. In der jüdischen Gemeinde nehme ihr Sohn an vielfältigen Angeboten für Kinder teil, dadurch bestehe viel Austausch mit anderen jüdischen Kindern.

Ich liebe es, Wissen zu vermitteln. Kinder und Jugendliche zu motivieren, sich mit Geschichte zu beschäftigen.

Anna Antonova, Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Potsdam

Ein Leben in einer anderen Stadt als Potsdam kann Anna Antonova sich kaum vorstellen. Dafür verantwortlich sei vor allem die Jüdische Gemeinde Potsdam, die ihr und ihrer Familie seit 22 Jahren eine geistige und kulturelle Heimat biete. „2001 sind wir Mitglieder geworden. Ich habe so schöne Erinnerungen an meine Jugend in der Gemeinde“, sagt Antonova.

Besonders schön seien die Aufenthalte im jüdischen Sommerferiencamp der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden gewesen. Dort seien die Grundlagen über jüdisches Leben, Sitten und religiöse Gebräuche altersgerecht vermittelt worden. Aus dem Feriencamp ging eine Initiativgruppe hervor, die zur Gründung des jüdischen Jugendklubs in Potsdam geführt hat: „Lifroach“, was auf Hebräisch Aufblühen heißt.

Sie entwickelte ein Selbstbewusstsein als Jüdin

In der Jüdischen Gemeinde Potsdam gebe es Gleichgesinnte, die Ähnliches erlebt hätten. Flucht, Migration, die Ankunft in einem neuen Leben. Vor allem habe sie dort ein Selbstbewusstsein als Jüdin entwickelt, sagt Antonova. Daher wolle sie heute etwas zurückgeben.

An unserer Schule gab es kaum Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ich war auch die einzige Jüdin.

Anna Antonova, Mitglied der Jüdischen Gemeinde in Potsdam

Deshalb engagiere sie sich seit mehr als zehn Jahren als Betreuerin im Jugendclub, inzwischen ist sie Co-Leiterin neben Leiterin Valentina Ivanidze. „Zwischen 30 und 40 jüdische Kinder und Jugendliche kommen regelmäßig zu uns“, so Antonova. Jeden zweiten Sonntag treffen sie sich an der Werner-Seelenbinder-Straße zum Austausch. Spiele, Kunstprojekte, gemeinsame Ausflüge und mehr stehen auf dem Programm.

„Ich liebe es, Wissen zu vermitteln. Kinder und Jugendliche zu motivieren, sich mit Geschichte zu beschäftigen.“ Deshalb engagiere sie sich auch im Projekt „Zeitensprünge“, bei dem sich in Brandenburg lebende Jugendliche ein geschichtliches Thema aussuchen, mit dem sie sich auseinandersetzen. Bewusstsein für die Geschichte wachzuhalten, sei wichtig - auch am heutigen Holocaust-Gedenktag. „Keine Gesellschaft kann es sich leisten, blind auf dem rechten Auge zu sein“, sagt Antonova.

Viele trügen das Jüdischsein nicht vor sich her

Hat sie als gebürtige Russin und Jüdin auch Negatives erlebt? „An unserer Schule gab es kaum Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ich war die einzige Jüdin“, sagt Antonova. Sie habe sich trotzdem total integriert gefühlt, als Teil der Gemeinschaft in der Klasse am Babelsberger Filmgymnasium. Auf einer Klassenfahrt nach Prag allerdings besuchten sie das ehemalige Vernichtungslager Treblinka. Als sie zu den Gaskammern kamen, habe ein Mitschüler zu ihr gesagt: „Anna, lauf da doch mal durch, du weißt doch wie das geht!“ Das habe sie sehr verletzt. Der Mitschüler habe einen Verweis bekommen.

Der erstarkende Antisemitismus besorgt auch Anna Antonova. Speziell seit dem Anschlag auf die Synagoge von Halle seien auch die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Potsdam präventiv vorsichtig, viele trügen das Jüdischsein nicht vor sich her. Daher sehe man auch auf Potsdam Straßen wenig Menschen, die Kippa tragen.

In der rund 500 Mitglieder starken jüdischen Gemeinde, die  – insbesondere durch den Zuzug der aus der Ukraine – stetig wachse, gäbe es ein reiches Angebot. „Zum Beispiel ein inklusives Projekt für Frauen, in dem ich mich ebenfalls engagiere.“ Normal ist es, verschieden zu sein, heißt es. „Einmal im Monat unternehmen wir etwas, gehen gemeinsam ins Barberini, in den Filmpark, beschäftigen uns mit der Kultur Potsdams.“ Die Mitglieder verträten unterschiedlichste Strömungen des Judentums. Es sei die Vielfalt, die die Jüdische Gemeinde auszeichne.

Doch an einigem mangelt es noch in der Stadt: Es gäbe es keine koschere Produkte im Supermarkt, keine koschere Bäckerei oder gar ein jüdisches Café, welches zum kulturellen Austausch mit den Potsdamern einlädt. 

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