Das Loch über dem Pol: Kälte im Kochtopf
Erstmals gab es in diesem Frühjahr ein Ozonloch über der Arktis: Bei der Entstehung spielte auch der Klimawandel eine Rolle, meinen Forscher. Eine Wiederholung können sie nicht ausschließen
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Alarm geschlagen haben die Forscher bereits im April dieses Jahres – wegen eines Rekordverlustes von Ozon über der Arktis und hoher UV-Belastung auch in mittleren Breiten. Jetzt steht es fest: Erstmals hat sich in diesem Frühjahr ein Ozonloch über der Arktis gebildet. Die langanhaltenden tiefen Temperaturen und ein besonders stabiler Polarwirbel haben dazu geführt, dass Abbauprodukte der menschengemachten Flurchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) die schützende Ozonschicht in einem Maße zerstörten, wie das bisher nur in der Antarktis beobachtet wurde. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Wissenschaftlergruppe unter Beteiligung des Potsdamer Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) in einer aktuellen Studie in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „Nature“.
Das Ausmaß des Ozonverlustes sei zum ersten Mal „genauso groß wie bei den frühen antarktischen Ozonlöchern“, erklärte der Atmosphärenforscher Markus Rex vom AWI am Dienstag den PNN. Betroffen war eine Fläche, die etwa fünfmal so groß ist wie Deutschland. Das Loch hatte sich bis über Teile Skandinaviens und Russlands sowie die Mongolei gezogen. Hier sank der Ozongehalt in der Stratosphäre – einer Luftschicht, die in 10 Kilometern Höhe beginnt – enorm: Er entsprach Anfang April nur noch 2,5 Millimetern reinen Ozons, stellenweise sogar nur 1 Millimeter - normal wären 4.
Nach der detaillierten Auswertung der Daten, die unter anderem von Satelliten und den vom AWI koordinierten Ozonsondierungsstationen erhoben wurden, können die Wissenschaftler erklären, wie es dazu kam. Zur langanhaltenden Kälte – ozonzerstörende Stoffe entstehen erst bei Temperaturen von mindestens Minus 78 Grad Celsius – kam ein ungewöhnlich stabiler Polarwirbel. Dabei handelt es sich um ein Tiefdruckgebiet, das die polaren Luftmassen zusammenhält und eine Durchmischung verhindert. „Das ist wie eine Art Kochtopf, in dem die ozonzerstörenden Mechanismen erst wirksam werden können“, erklärt Markus Rex.
Konkret läuft das dann wie folgt ab: Bei großer Kälte bilden sich in der Stratosphäre aus der natürlich vorkommenden Salpeter- und Schwefelsäure Wolken – wegen ihres charakteristischen Aussehens werden sie auch „Perlmuttwolken“ genannt. In diesen Wolken wiederum verwandeln sich die normalerweise harmlosen Abbauprodukte der menschengemachten FCKW in aggressive Stoffe, die bei Sonneneinstrahlung Ozon zerstören.
Das macht den Wissenschaftlern aktuell vor allem deshalb Sorgen, weil durch ein arktisches Ozonloch viel mehr Menschen betroffen sind als in der praktisch unbewohnten Antarktis. Während das Loch über dem Südpol „nur“ das dortige Ökosystem betrifft, wandert das Ozonloch über dem Nordpol auch über dichtbesiedelte Gebiete. In südlicher Richtung könne es sich bis auf die Höhe der italienischen Hauptstadt Rom bewegen, erklärt Markus Rex. Dass das neue Ozonloch Deutschland in diesem Jahr nur in den Küstenregionen gestreift hat und dann Richtung Osten abgedriftet ist, sei „großes Glück“ gewesen.
In den betroffenen Gebieten kommt es zu einer erhöhten Belastung mit UV-Strahlung – vergleichbar mit Hochsommerwerten, wie Markus Rex erklärt. Das geschieht allerdings zu einem Zeitpunkt, an dem niemand damit rechnet und die Haut der Menschen noch vergleichsweise empfindlich reagiert. Zudem seien die UV-Strahlen im Frühjahr nicht „spürbar“: „Die Sonne ist nicht heißer, sie „sticht“ auch nicht“, sagt Markus Rex. Den Sonnenbrand bemerke man erst, wenn es bereits zu spät ist. Denkbare Folge des Ozonloches könne daher langfristig ein Anstieg der Hautkrebsrate sein.
Ob und wann es in Zukunft tatsächlich wieder zu einem Ozonloch über der Arktis kommt, können die Wissenschaftler derzeit nicht vorhersagen. Dafür seien noch genauere Erkenntnisse über den Zusammenhang der beschriebenen Prozesse mit dem Klimawandel nötig, sagt Rex. Wie auch in der Antarktis erholt sich die Ozonschicht zudem während der Sommermonate wieder.
Sicher ist jedoch: Die tiefen Temperaturen in der Stratosphäre in diesem Jahr waren kein Zufall, sie folgen vielmehr einem Trend zur Abkühlung, den die Forscher seit Beginn der Messungen Anfang der 1960er Jahre beobachten. Diese Entwicklung sei Teil des Klimawandels, erläutert Rex, der vom „kleinen Bruder der Erwärmung am Erdboden“ spricht. Vereinfacht gesagt halten die steigenden Treibhausgas-Konzentrationen die Wärmestrahlung der Erde in den tieferen Luftschichten zurück: Während es also unten immer wärmer wird, wird es oben immer kälter – optimale Voraussetzungen zur Bildung von Ozonlöchern.
Für die Forscher haben wir es nun mit einer Wettlaufsituation zu tun: Denn zeitgleich zur Abkühlung schreitet auch der Abbau der FCKW voran. Bekanntlich verbietet ein 1987 unter dem Dach der UNO verabschiedetes Abkommen die FCKW-Produktion bereits weltweit. Es dauert aber noch Jahrzehnte, bis die bereits freigesetzten FCKW aus der Atmosphäre verschwunden sind. Im unglücklichsten Fall könnten also noch auf ein paar Jahrzehnte hin immer wieder Ozonlöcher entstehen. Spätestens 2100 sei das FCKW weitgehend verschwunden, meint Markus Rex: „Das erleben höchstens unsere Kinder oder Enkel.“
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