Von Anja Priewe: Kalter Krieg in den Köpfen
Uni-Dozent Jürgen Angelow forscht über Diktaturerfahrungen an Potsdamer Bildungseinrichtungen vor ’89
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Es war wie so oft, wenn es um eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte geht: das Publikum diskutierte heftig. Auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer bot der Vortrag des Historikers Jürgen Angelow reichlich Zündstoff für hitzige Diskussionen. „Diktaturerfahrungen im Alltag von Potsdamer Bildungseinrichtungen“ so der Titel der Veranstaltung, die unlängst in der Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg stattfand. In der Reihe „Aufarbeitung und Versöhnung“ beschäftigte sich Jürgen Angelow mit den vier DDR-Bildungseinrichtungen, die sich auf dem Gelände der heutigen Universität Potsdam befinden.
Bis zur politischen Wende standen hier die Pädagogische Hochschule Potsdam, die Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, die Juristische Fakultät des Ministeriums für Staatssicherheit und das Institut für Internationale Beziehungen.
Jürgen Angelow, der seit 2003 als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam lehrt, verwies in seinem Vortrag auf die zum Teil sehr unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Institutionen. Während die Pädagogische Hochschule Potsdam wesentlich zur Fachlehrerausbildung in Berlin und Brandenburg beitrug, übernahm das Institut für Internationale Beziehungen in Babelsberg vor allem die Ausbildung der Diplomaten und DDR-Außenpolitiker. Beide Lehreinrichtungen waren der Öffentlichkeit bekannt. Anders die Juristische Fakultät des Ministeriums für Staatssicherheit, die sich auf dem heutigen Standort in Golm befand. Als eine Ausbildungsstätte des Geheimdienstes erfolgte hier die Kaderausbildung. Aktivitäten der Einrichtung blieben somit weitestgehend geheim.
In seinen Ausführungen machte Jürgen Angelow deutlich, dass es eine einheitliche Haltung der vier Einrichtungen gegenüber den politischen Eliten in der DDR nicht gegeben hat. Vielmehr veränderten sich Einstellungen je nach politischer Wetterlage über die Jahre. So war bei der Juristischen Fakultät des Ministeriums für Staatssicherheit, nach der Gründung des DDR-Staates ein zunächst geschlossener Charakter der Einrichtungen zu beobachten, bevor in den sechziger Jahren eine zunehmende Öffnung erfolgte. Dadurch konnten internationale Partnerschaften entstehen und Reisekader auch ins westliche Ausland reisen. Auf der anderen Seite markierte etwa der Mauerbau 1961 eine politische Zäsur und erhöhte den Anpassungsdruck.
Über die historische Entwicklung der Institute hinaus, richtete sich Angelows Fokus vor allem auf die Betrachtung der Lebenswelten zwischen Alltag und Diktatur. Neben der Auswertung schriftlicher Quellen gewann er seine Erkenntnisse hierfür durch die Befragung von Zeitzeugen. Seine Interviews zeigen, dass die Beurteilung der DDR, 20 Jahre nach ihrem Zusammenbruch, deutlich positiver ausfällt als die sehr kritische Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit vermuten lässt: „Meine Ergebnisse zeigen, dass die persönliche Wende- und Nachwende-Erfahrung einen erheblichen Einfluss auf die individuelle Deutung der DDR genommen hat.“ So seien Menschen, die sich in unserer Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, heute viel eher bereit die DDR positiver zu betrachten, ist sich der Historiker sicher.
Angelows Vortrag stieß im Publikum auf reges Interesse. Vor allem ehemalige Mitarbeiter, Dozenten und Studenten der Bildungseinrichtungen waren gekommen. In der sich anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte nach wie vor von starken Befindlichkeiten geprägt ist. So erinnerte eine Zuhörerin an die hervorragende fachliche Ausbildung und die nach der politischen Wende 1989/90 nie wieder erlebte Kollegialität, die sie an der Pädagogischen Hochschule erfuhr. Ein ehemaliger Student wiederum verwies auf die allumfassende ideologische Indoktrination des Lehrbetriebes und sprach von der „Roten Hochschule“ des Ministeriums für Staatssicherheit mit zahlreichen politischen Repressalien für Störenfriede.
Für Angelow ist eine solche Schwarz-Weiß-Malerei eher kontraproduktiv. Ihm komme es auf eine differenzierte Sichtweise der DDR-Vergangenheit an. Für eine angemessene Beurteilung seien nostalgische Gefühle ebenso verfehlt, wie allgemeine Verteufelungen. Angelow zeigte sich enttäuscht darüber, dass die fachwissenschaftliche Diskussion von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wird und im politischen Raum die Dinge oftmals viel zu holzschnittartig dargestellt werden.
Für eine angemessene Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sieht Angelow sowohl Politiker als auch Geschichtswissenschaftler in der Pflicht: „Wir als Historiker haben die Aufgabe, Urteile zu differenzieren und neue Sichtweisen anzuregen. Dabei ist es fundamental die unterschiedlichen Meinungen anzuerkennen.“
Die Zuhörer schlossen sich seinen Ausführungen weitestgehend an. Dass machte nicht zuletzt der Kommentar eines ehemaligen Studenten deutlich, der darauf verwies, dass die einseitige Darstellung der DDR-Geschichte auch ein Beitrag dazu sei, dass der Kalte Krieg bis heute in den Köpfe der Menschen nicht zu Ende gehe.
Eine Publikation der Forschungsergebnisse von Jürgen Angelow erscheint voraussichtlich Mitte 2010 bei der Landeszentrale für politische Bildung Brandenburg.
Anja Priewe
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