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Im Visier. Im 180-Grad-Labor der Babelsberger Filmhochschule „Konrad Wolf“ sitzt das Publikum mitten im Film. Das Kinobild geht noch über den menschlichen Sehwinkel hinaus. Der Zuschauer soll so die Szenen beinahe wie ein wirkliches Erlebnis wahrnehmen. Wie genau das gehen soll, erforschen die Studenten und Professoren.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Kamera mit fünf Augen

Babelsberger Filmstudenten experimentieren mit einer neuen 180-Grad-Kino-Technik

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In der Szene auf der Leinwand geht ein Mann durch Berlin-Kreuzberg. Vor ihm eine Straße, links die Pfeiler der Hochbahnstrecke. Noch weiter links – noch mehr Pfeiler. Auch rechtsaußen noch mehr Häuser. Als Zuschauer hat man den Eindruck, mit dem Mann mitzugehen, selbst in der Szene zu sein. Der Effekt kommt von der neuen 180-Grad-Drehtechnik. Das Bild wird dabei auf eine gebogene Leinwand projiziert, die den Zuschauerraum halb umgibt.

Am Mittwoch wurden diese und weitere Szenen aus dem Filmprojekt „Die Reise der Imagonauten“ der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) gezeigt. An dem fächerübergreifenden Projekt sind Studenten der Bereiche Dramaturgie, Kamera, Ton, Szenografie, Schauspiel und Montage beteiligt. Seit August wurden die ersten Szenen gedreht. Mittlerweile sind etwa zwei Drittel des Materials fertig. „Bei der Berlinale soll schon ein Trailer des Kurzfilms gezeigt werden“, sagt die Produzentin Birte Janata. Ende Februar soll dann der ganze Film abgedreht sein.

Gefilmt wird mit einer speziellen Kamera: Fünf halbkreisförmig angeordnete Objektive nehmen dabei jeweils ein hochauflösendes Hochkantbild auf. Die überlappenden Einzelbilder werden digital mit einer darauf spezialisierten Software zusammengesetzt. Die Kamera selbst wiegt keine vier Kilogramm und kann deshalb sehr mobil eingesetzt werden. „Damit können wir sehr schnell produzieren“, erklärt Dramaturgieprofessor Peter Henning. „Wir wollen ein neues Kino erfinden“, sagte er. Sieben HD-Projektoren bringen das Bild auf die gewölbte Leinwand. Das 180-Grad-Bild gehe über den menschlichen Sehwinkel hinaus, sodass der Zuschauer sich nach links und rechts wenden kann. „Das ist ganz nah dran am echten Erlebnis“, so Henning.

Doch neben aller Begeisterung für die Möglichkeiten der Technik ist das Projekt für die HFF vor allem ein inhaltlicher Forschungsauftrag. „Die Frage für uns war: Welche Geschichten können wir damit erzählen?“, sagt Kameraprofessor Michael Hammon. Die Studenten sollen mit den technischen Möglichkeiten experimentieren und mit den Professoren dazu beitragen, das System zu verbessern. Gefördert wird das Projekt vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Dabei arbeitet die Hochschule mit dem Berliner Heinrich-Hertz-Institut zusammen. Dort gab es im Vorfeld ähnliche Versuche mit einer statischen Kamera – allerdings fehlten den Forschern die Inhalte.

Diese steuerten nun die Filmhochschüler bei: Die Handlung der „Reise der Imagonauten“ ist in der nahen Zukunft angesiedelt. Hauptfigur Max lebt in einem hermetisch abgeriegelten Institut und testet dort virtuelle Realitäten, um sich von der langweilig, sterilen Welt abzulenken. Als er auf die mysteriöse Linda trifft, fragt er sich, ob sie eine Einbildung, Erinnerung oder real ist.

Schon bei der Suche nach Drehorten sei ein Umdenken nötig, erklärt Regisseur Philipp Wenning. „Früher hat eine schöne Ecke in einem Raum gereicht“, sagt er. Beim 180-Grad-Dreh müsse auch bedacht werden, was ringsum zu sehen ist. Schon beim Schreiben des Drehbuchs müsse man das alles mitdenken. Das biete die Chance, den Zuschauer die Szene intensiver erleben zu lassen, weil man als Filmemacher noch mehr optische Eindrücke vermitteln könne. Gleichzeitig können Kinogänger auch ganz verschiedene Filmerlebnisse haben – je nachdem, in welche Richtung sie während eines 180-Grad-Films schauen. Beim Dreh selbst zeigte sich noch eine andere Folge der neuen Kameratechnik. „Bei Studioaufnahmen ist es viel schwieriger, all die Scheinwerfer und das ganze andere Equipment unterzubringen, ohne dass es die Aufnahmen stört oder später digital retuschiert werden muss“, sagt Wenning. Auch für die Kameramänner selbst sei die Arbeit anspruchsvoll. Sie müssen die 180-Grad-Kamera sehr ruhig halten. Wenn sich auf einer halbkreisförmigen Leinwand der Horizont bewegt, kann das bei einigen Zuschauern Schwindelgefühle auslösen.

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