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Prozess am Amtsgericht Potsdam: Kein durchweg klarer Fall
Ein 19 Jahre alter Flüchtling aus Eritrea ist vom Amtsgericht Potsdam wegen sexueller Nötigung verurteilt worden, die Vorgeschichte der Tat ist allerdings nicht mehr nachvollziehbar. Solche Fälle werden oft als Bestätigung rassistischer Vorurteile im Internet verbreitet. Doch mit dem Blick auf die Statistik zeigt sich, dass das eher ein Einzelfall war.
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Potsdam - Die Anklage las sich wie ein Drehbuch für rechtspopulistische Propaganda gegen Asylbewerber: Der 19-jährige Flüchtling Halil F. aus dem Unrechtsstaat Eritrea musste sich am Donnerstag vor dem Amtsgericht Potsdam wegen sexueller Nötigung einer 28-jährigen Werderanerin verantworten – am Ende wurde er zu einer Jugendstrafe von neun Monaten Haft verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Afrikaner, der schon vorher vier Monate in Untersuchungshaft saß und seit zwei Jahren in verschiedenen Asylbewerberheimen lebte, konnte nach dem Urteil den Gerichtssaal ohne Handschellen verlassen.
Der Fall vom 2. Juni hatte Schlagzeilen gemacht, Tatort war das künftige Grundstück für den Synagogenneubau an der Friedrich-Ebert-Straße – also mitten in der Innenstadt. Täter und Opfer hätten unabhängig voneinander die nahe gelegene „Unscheinbar“ besucht, hatte die Polizei damals berichtet. Auf dem Weg nach Hause – gegen vier Uhr nachts – habe der Afrikaner die Frau dann „gepackt und auf den Boden geworfen“ sowie „sexuelle Handlungen“ an ihr vorgenommen.“ Als ein anderer Mann zu Hilfe kam, versuchte Halil F. zu flüchten – ohne Erfolg.
Beide waren zum Tatzeitpunkt betrunken
Vor Gericht wurden weitere Details bekannt. So sagte der damals in Oranienburg registrierte Halil F. mit Hilfe eines Dolmetschers, nach einem ersten Kennenlernen auf dem Weg zum Hauptbahnhof habe man sich zunächst einvernehmlich geküsst. Er räumte allerdings ein, dass er später gegen den Willen der Frau in ihren Schritt unter die Hose gefasst habe.
Beide waren zum Tatzeitpunkt betrunken, drei Stunden später hatte er noch knapp ein Promille intus, sie noch 1,9 Promille. Insofern sei die Erinnerung an die Nacht auch nur verschwommen, sagte die 28-jährige Frau vor Gericht – allerdings sei sie sich sicher, dass sie vor dem Vorfall nicht mit dem Mann gesprochen habe. Später habe der Mann versucht, ihr die Hose auszuziehen – dagegen habe sie sich gewehrt. Als F. später fliehen wollte, wurde er von einem weiteren Mann festgehalten – der nach einer anderen Straftat gerade aus der Ausnüchterungszelle entlassen worden war. Dieser habe den Afrikaner in der Folge als „Neger-Sau“ beleidigt und ihn bedroht, sagte ein Polizeibeamter.
Er wolle sich bei der Frau entschuldigen
Die Richterin Doris Grützmann sagte, die Vorgeschichte der Tat lasse sich nicht mehr klären. Allerdings müsse der Angeklagte begreifen, dass das „Nein“ einer Frau auch „Nein“ bedeute. Das Strafmaß ergebe sich auch aus den vier Monaten Untersuchungshaft – laut einem Bericht der Justizvollzugsanstalt Wriezen habe sich Halil F. in der Zeit einmal sogar mit Scherben eines Tellers die Arme aufgeschnitten. Am Ende der Verhandlung sagte Halil F., er wolle sich bei der Frau entschuldigen. Als sie als Zeugin im Gerichtssaal saß, hatte er das noch abgelehnt.
Nachrichten über diesen Fall, aber auch andere vermeintliche sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen gegen deutsche Frauen kursieren derzeit im Internet in sozialen Netzwerken. Offenbar soll damit Stimmung gemacht werden, sagte Riccardo Nemitz, der Landesvorsitzende des Bunds Deutscher Kriminalbeamter, auf PNN-Anfrage. Bislang sei statistisch kein Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und einer zunehmenden Zahl von Sexualdelikten nachweisbar, solche Taten seien Einzelfälle mit Tatverdächtigen aus jeder Bevölkerungsgruppe.
Vergewaltigungsmythen sind derzeit en vogue
Der Bielefelder Konfliktforscher und Sozialpsychologe Andreas Zick sagte den PNN, gerade Sexualdelikte würden – ohne Hintergründe – im Internet als Bestätigung rassistischer Vorurteile verbreitet. Zick sagte auch: „Vergewaltigungsmythen sind derzeit en vogue, weil sie so grausam sind, dass sich viele dafür interessieren und jene, die sie verbreiten, sich als Beschützer darstellen können.“ Auch er betont: Eine Korrelation zwischen Migration und Vergewaltigungsfällen existiere nicht. Zum Glück sei die Rechtsprechung in Deutschland gehalten, Fälle vorurteilsfrei zu beurteilen. Zick weiter: „Wir sind gehalten, Einzelfälle nicht auf Gruppen zu generalisieren. Wir behaupten ja auch nicht, weil sich einzelne Deutsche rassistisch äußern, dass die Deutschen Rassisten sind.“
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