Landeshauptstadt: Kein Interesse mehr an der DDR?
CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche auf Tour zum Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“
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Die Zitterpartie geht weiter: Auch wenn die CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche (CDU) gestern klare Worte gegen die geplante Schließung der Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde fand, sind die Pläne zum Umzug nach Berlin nicht vom Tisch. Nach dem Veto des Personalrats liegt die Entscheidung wie berichtet bei Bernd Neumann (CDU), dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Bis März ist der Betrieb der Filiale gewährleistet. Reiche besuchte die Außenstelle in der Großbeerenstraße 301 gestern Vormittag im Rahmen einer Potsdam-Tour zum Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“.
Geistiges Gegengewicht
gegen Revisionisten
Die Entscheidung zur Schließung des Standorts sei für sie „schwer nachvollziehbar“, betonte die Bundestagsabgeordnete Reiche im Gespräch mit Außenstellenleiterin Gisela Rüdiger und Hans Altendorf, dem Direktor der Birthler-Behörde. Gerade in Potsdam sei die Außenstelle „unerlässlich und wichtig“, so Reiche: Am ehemaligen Standort der Stasi-Hochschule und des Stasihauptquartiers sei die Filiale der Birthler-Behörde ein „geistiges Gegengewicht“ zu einer „Bewegung, die für das Vergessen kämpft“, gab Reiche zu bedenken.
Dass diese Bewegung keine Erfindung ist, zeigt ein Brief, den Gisela Rüdiger zur Hand hat: Unter dem aufklebten Titelkopf der kommunistischen Zeitung „Die Rote Fahne“ steht eine Lobeshymne auf Erich Mielke, Ex-Minister für Staatssicherheit. Anlass: Mielke wäre am 28. Dezember 2007 100 Jahre alt geworden. Post wie diese erreiche sie regelmäßig, berichtet die Außenstellenleiterin und holt ein rotes Heft mit dem Titel „Die Wahrheit über das MfS“ hervor.
Behördendirektor Altendorf begründete die Schließungspläne gestern mit „Infrastrukturanforderungen“. Die Außenstelle Potsdam wäre allerdings der erste und bisher auch einzige Standort der Birthler-Behörde, der geschlossen wird, räumte er ein. Die Landeshauptstadt sei mit der Gedenkstätte in der Lindenstraße und der KGB-Gedenkstätte in der Leistikowstraße sowie der Anbindung nach Berlin besser versorgt als Frankfurt (Oder), der andere Brandenburger Standort. In der Gedenkstätte Lindenstraße sei eine Bürgersprechstunde der Behörde geplant, so Altendorf. Das Argument ließ Reiche nicht gelten: Die drei Angebote in Potsdam ergänzten sich zwar, beleuchteten jedoch „unterschiedliche Aspekte“: „Je mehr Möglichkeiten man hat, desto besser.“ Die jüngsten Studien zum Wissen von Brandenburger Schülern über die DDR „geben Anlass zur Sorge“, so Reiche.
Die Bundestagsabgeordnete plant eine Info-Kampagne zur so genannten Opferrente, die seit September 2007 gewährt wird: 2700 Anträge auf die Entschädigung für unrechtmäßige Inhaftierungen sind seitdem laut Rüdiger beim Landesgericht Potsdam eingegangen: „Manche wissen nach wie vor nicht, dass man für Haft eine Haftentschädigung bekommt.“
Gewohnheitsdenken infrage stellen beißt sich mit Vermittlungsauftrag
Schwierigkeiten der Zeithistoriker bei der Vermittlung von DDR-Kenntnissen an Schüler hat der Leiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), Prof. Martin Sabrow, beim gestrigen Treffen mit Katherina Reiche eingestanden: Wissenschaft sei dazu da, Gewohnheitsdenken infrage zu stellen. Sie müsse „kritisch reflektieren, was gegenwärtig für sinnvoll gehalten wird“, erklärte Prof. Sabrow, „und das beißt sich mit dem Vermittlungsauftrag“ – also der Vermittlung des gegenwärtig für sinnvoll Gehaltenen. Der Zeithistoriker sprach sich dafür aus, dass es auch bei der Vermittlung von historischem Wissen eine Arbeitsteilung in der Gesellschaft geben müsse. Prof. Sabrow: „Wir sind keine Bildungseinrichtung.“
„Wir lernen mehr über die Geschichte der Bundesrepublik als über DDR-Geschichte“, stellte gestern ein Schüler des Eberswalder Humboldt-Gymnasiums während einer Unterrichtsstunde in der Gedenkstätte „Ehemaliges Stasi-Gefängnis Lindenstraße 54“ fest. „Die jüngere Geschichte kommt im Lehrplan immer am Schluss“, sagte ein anderer in Gegenwart der Bundestagsabgeordnete Reiche. Bis zur 10. Klasse werde im Geschichtsunterricht „durchgerast bis zum Zweiten Weltkrieg“, für die DDR bliebe dann vor den Prüfungen kaum noch Zeit. Das Interesse am Dritten Reich sei schon deshalb größer, weil es „ein gesamtdeutsches Problem“ war, ganz im Gegensatz zur DDR, die deshalb ignoriert oder verharmlost werde. „Die Neugier auf die DDR ist nicht überall da“, bestätigte Katherina Reiche. Der Lehrer Karsten Bunsas kritisierte die vor Jahren in Brandenburg getroffene Entscheidung, das Fach Politische Bildung für die 13. Klassen nicht mehr als Pflichtfach vorzusehen.
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