zum Hauptinhalt
Rotes Bündnis. Der Warschauer Pakt einte die Armeen der sozialistischen Länder des Ostblocks.

© Bundesarchiv

Von Olaf Glöckner: Kein monolithischer Block

Potsdamer Militärhistoriker legen eine umfassende Studie zum „Warschauer Pakt“ vor

Stand:

Knapp 20 Jahre ist es her, dass das sozialistische Ostblocksystem politisch implodierte. Sein militärischer Mantel, der „Warschauer Pakt“, überlebte noch anderthalb Jahre länger. Als die Armeegeneräle der einstigen „Bruderstaaten“ die offizielle Auflösung des Bündnisses unterzeichneten, war die DDR, das einstige Musterkind Moskaus, dank der deutsch-deutschen Wiedervereinigung schon längst ausgeschert. Was blieb übrig vom einstigen großen Rivalen der NATO – außer Erinnerungen an gigantische Manöver, Aufrüstungsaktionen und nicht zuletzt die aggressiven Interventionen in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968?

Eine reichhaltige Quellen- und Dokumentenlage in den osteuropäischen Archiven bietet gute Chancen zur Rekonstruktion, was der Warschauer Pakt denn nun wirklich gewesen ist? Kontinentales Machtinstrument der Sowjets und Disziplinierungsmittel gegen „Abweichler“-Staaten? Defensives oder expansives Bollwerk gegen den Westen? Oder auch strategisches Militärbündnis, in dem sich eigene Ziele und Partikularinteressen aushandeln und durchsetzen ließen? Noch leidet die zeithistorische Forschung an der Unzugänglichkeit der Moskauer Archive, doch dafür wird in anderen einstigen „Bruderstaaten“ umso intensiver recherchiert. Außerdem ist das transatlantische Interesse am Thema gewachsen.

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam (MGFA) hat nun in Zusammenarbeit mit Historikern aus aller Welt eine erste umfassende Studie erarbeitet und unter dem Titel „Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch. 1955-1991“ herausgebracht. Dabei räumen die Herausgeber Torsten Diedrich, Winfried Heinemann und Christian F. Ostermann mit einigen Mythen auf, die sich auch nach dem Ende des Kalten Krieges hartnäckig gehalten haben.

Die Studie, die sich insbesondere auf Länder wie Polen, Rumänien, Ungarn, die DDR und Albanien konzentriert, macht klar, dass das „Rote Bündnis“ alles andere als einen monolithischen Block erzeugte. Zwar einte die Frontstellung gegenüber dem westlichen System, zwar diktierte Moskau die Doktrin und die Bewaffnung. Andererseits suchten manche Mitgliedstaaten ihren eigenen Handlungsspielraum im Pakt oder versuchten bewusst, Interventionsmöglichkeiten im eigenen Land kleinzuhalten. Erstaunlich selbstbewusst trat hierbei Rumänien auf, dass sich unter anderen weigerte, am Einmarsch in Prag 1968 teilzunehmen. Folgerichtig enthält der MGFA-Band verschiedene Analysen zum rumänischen Militär und zu Bukarests „Alleingängen“. Auch, die nur ganze 13 Jahre währende Mitgliedschaft Albaniens, wird behandelt. Das kleine Balkanland trat im September 1968 wegen der Besetzung der Tschechoslowakei aus dem Bündnis aus.

Viel Aufmerksamkeit haben die beteiligten Historiker auch dem Militär in Polen, seiner Perzeption in der eigenen Bevölkerung und dem nicht einfachen Verhältnis zum Nachbarstaat Sowjetunion geschenkt. Bis heute aber bietet die Archivlage noch kein eindeutiges Bild, inwiefern das Jaruzelski-Regime trotz starker Opposition im eigenen Land in den 80er Jahren einen Einmarsch der Pakt-Armeen zu verhindern versuchte – oder sogar empfahl.

Ob der Westen im Falle einer Militäraktion der „Bruderarmeen“ in Warschau 1981 oder in Leipzig 1989 etwas entgegengesetzt hätte, wird wohl reine Spekulation bleiben. Allergisch reagierte er hingegen, wenn neue Waffensysteme erprobt und neue Einflusssphären getestet wurden. Als ein dezidiertes Expansiv-Bündnis betrachtet Mitherausgeber Torsten Diedrich den Warschauer Pakt allerdings nicht. „Natürlich wurde viel mit Macht gepokert“, resümiert der Potsdamer Militärhistoriker. „Aber zugleich waren sich die Generäle und Strategen bewusst, dass ein bestimmter Grad der Konflikt-Eskalation unweigerlich zum Atomkrieg führen würde. Das wollte natürlich keiner riskieren.“

Mit Gorbatschows Reformbestrebungen in der späten Sowjetunion scheinen in der Tat auch die militärischen Überlegungen nüchterner und pragmatischer geworden zu sein. Ein deutlicher Hinweis waren die weitreichenden Abrüstungsvorschläge der Gorbatschow-Regierung. „Noch die Breschnew-Doktrin“, so Mitherausgeber Winfried Heinemann, „waren hoch ideologisch gefärbt und gingen davon aus, dass es tatsächlich zu einem Angriff der NATO kommen würde. Für diesen Fall gab es eine flexible Vorwärts-Strategie, nach der die Armeen des Warschauer Paktes innerhalb von 14 Tagen den Atlantik erreichen sollten. Mit Gorbatschow kam es dann hier zum Umdenken.“

Noch fehlen ein paar wesentliche „Puzzle-Teile“, um die Gesamtgeschichte des Warschauer Paktes – einschließlich seiner Auswirkungen auf das zivile Leben in den jeweiligen Mitgliedsstaaten – schreiben zu können. Doch auch wenn Archive wie in Moskau noch verschlossen bleiben, geht die regionale und nationale Forschung intensiv weiter. So arbeiten die Wissenschaftler des MGFA Potsdam bereits an einer Analyse zu DDR-Sicherheitsdoktrin unter Ulbricht und Honecker.

Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch. 1955 bis 1991. Hrsg. von Torsten Diedrich, Winfried Heinemann und Christian F. Ostermann. Ch. Links Verlag Berlin, 376 S., 34,90 Euro. ISBN 978-3-86153-504-1.

Von

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })