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Homepage: Keine Dämonisierung

Am Einstein Forum wurde ein anderer Blickwinkel auf die Stasi-Spitzelei gesucht: die persönliche Verantwortung des Einzelnen

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„Die Rekonstruktion der Schuld kann Jahre dauern“, stellt Gesine Schwan, die Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance, fest. Es sei die Aufgabe des Einzelnen, mit der eigenen moralischen Schuld umzugehen. Dass er diese aufarbeite, sei für die Grundsolidarität der Gesellschaft notwendig.

Der „Workshop IM-Vorwurf“ des Einstein Forums Potsdam legte den Diskussionsschwerpunkt auf die persönliche Verantwortung des Einzelnen. Allen Teilnehmern war jedoch bewusst, dass im Hintergrund die aktuellen Turbulenzen um die Enquete-Kommission zum Umgang mit der SED-Diktatur in Brandenburg standen. Auch Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) positionierte sich nur zögerlich zu den gegenwärtigen Vorwürfen der Stasitätigkeit von Richtern und Justizbeamten. Dennoch prägte eine erstaunlich harmonische Stimmung die Veranstaltung. Im Einstein Forum berichteten der Politiker André Brie und die Schriftstellerin Franziska Groszer von ihren diametral entgegengesetzten Lebensläufen.

„Ich bin auf den allerletzten Drücker an die Öffentlichkeit gegangen, um meine IM-Tätigkeit zu erklären“, bekannte sich André Brie (Die Linke, Mecklenburg Vorpommern). Nur wenige Tage später sei seine Geschichte wohl ohnehin von den Medien verbreitet worden. Heute schäme er sich für seine Spitzeltätigkeit. Er wolle nichts entschuldigen, aber doch erklären, wie es dazu gekommen sei. Als Kind einer jüdischen Familie, die zu weiten Teilen von den Nazis umgebracht worden sei, habe er sich ganz selbstverständlich als Antifaschist begriffen. Als er dann in jungen Jahren an einer Wand Hakenkreuzschmierereien entdeckt habe, sei er geschockt gewesen und habe diese der Staatssicherheit gemeldet.

„Von da an war ich dabei“, bekannte Brie. André Brie hebt heute hervor, dass die DDR ein ausgesprochen problematisches Verhältnis zu den individuellen Menschenrechten gehabt habe. Das erkenne er nun, nicht zuletzt, weil er sich als Mitglied des Europäischen Parlaments aktiv für Menschenrechte eingesetzt habe. Im Jahre 2006 habe er eine Resolution mit unterzeichnet, in welcher die Menschenrechtssituation in Kuba kritisiert wurde. Ihm werde schier schlecht, wenn er innerhalb seiner Partei Stellungnahmen höre, die unreflektiert Sozialismus und Kommunismus auch heute noch ohne Rücksicht auf die Historie bejubelten, erklärte der Politikwissenschaftler. Der Zweck einer Partei sei es allerdings gerade, ein Forum für Auseinandersetzungen zu bieten. Seine Partei würde zumeist von den Medien zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit getrieben. Notwendig sei aber eine eigenständige Auseinandersetzung, erklärte Brie. Für sich selber bekennt er: „Programmatisch konnte ich vieles schneller ändern als im Herzen“.

Beeindruckt von den Worten Bries zeigte sich Ulrike Poppe. „Ich habe noch von niemandem eine so reflektierte Stellungnahme gehört wie von ihnen“, kommentierte die „Beauftragte Brandenburgs zur Aufarbeitung der Folgen der DDR-Diktatur“. In ihrem Vortrag betont sie, dass die Zerstörung und der Verrat von Freundschaften eine der schwersten Folgen der Tätigkeit der IM gewesen sei. Gespräche seien verstummt, Freunde seien sich mit Misstrauen begegnet, wenn der Stasi-Verdacht im Raum gestanden habe. Einem Anwerbeversuch ihrer Person habe sie sich dadurch entzogen, dass sie von dem Anwerbegespräch überall herumerzählt habe. Dennoch habe der Spitzeldienst auch in ihr Leben herein gewirkt. Eine Freundin habe Gerüchte gestreut, um einen Keil zwischen die befreundeten Familien von Poppe und Bärbel Bohley zu treiben. Das sei nicht vollständig gelungen, habe aber doch einen Missklang produziert.

Ebenso wie Poppe berichtete auch die Schriftstellerin Franziska Groszer sehr persönlich von ihren Erfahrungen mit dem Spitzelsystem. Sie verlas einen Bericht über den Bruch, den es bedeutete, als sie entdeckte, dass verschiedene ihrer Freunde sich als jahrelange, muntere Zuträger der Behörde herausstellten. Das einmal zerbrochene Vertrauen in eine Freundschaft könne kaum wieder geflickt werden, stellte Groszer fest.

Abseits persönlicher Betroffenheit umriss der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk das Selbstverständnis der Behörde. Als „Schwert und Schild der Partei“ hätten sich die Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR gesehen. Kowalczuk hat als Mitarbeiter der „Bundesbeauftragten zur Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen“ versucht, sich einen Überblick über die Aktivitäten der Staatssicherheit zu verschaffen. Entscheidend sei das Gefühl der Allgegenwart der Behörde in der DDR gewesen, weniger deren tatsächliche Ausforschung und Überwachung. 189 000 Mitarbeiter habe die Behörde im Jahre 1989 gehabt. Von denen seien die wenigsten auch bezahlt worden, die meisten hätten nur für kurze Zeit und eher widerwillig berichtet. Die Dämonisierung der Stasi in den Medien führe nun aber dazu, den Blick vom eigentlichen politischen System der DDR-Diktatur wegzulenken. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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