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Homepage: „Keine große Krise“

Der polnische Historiker Dr. Krzysztof Ruchniewicz zu den aktuellen deutsch-polnischen Verwerfungen

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Die aktuellen Konflikte zwischen Deutschland und Polen wie etwa der Streit um ein Zentrum gegen Vertreibungen oder der Versuch zur Durchsetzung von deutschen Eigentumsansprüchen gegenüber Polen hatten das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) bewogen, am vergangenen Wochenende einen internationalen Workshop zu organisieren. Die PNN sprachen mit dem polnischen Historiker Dr. Krzysztof Ruchniewicz über die deutsch-polnischen Verwerfungen.

Herr Ruchniewicz, braucht es die polnische Anerkennung des Leids der nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen, um das deutsch-polnische Verhältnis zu reparieren?

Keine leichte Frage, auf die ich auch keine leichte Antwort finde. Die Polen haben den Eindruck, dass derzeit die Geschichte der Deutschen neu geschrieben wird. Das in Polen lange Zeit gültige Täterbild der Deutschen wird nun plötzlich durch die Selbstdarstellung von Deutschen als Opfer überlagert. Darüber ist man in Polen schockiert. Die Frage ist aber, welche Gruppe in Deutschland sich besonders für diese Betrachtung stark macht: die Vertriebenen. Die Toten, die Polen im Krieg zu beklagen hatte, können heute nicht mehr zu Wort kommen. Es kommen nur die zu Wort, die überlebt haben. Und das sind die Vertriebenen. Die versuchen jetzt ihren Opfer-Status durchzusetzen. Den Polen fällt es nun sehr schwer, die Opfer miteinander aufzurechnen, die einen Opfer über die anderen zu stellen.

Die Vertreibung – sowohl der Deutschen als auch der Ostpolen – war lange Zeit ein Tabu in Polen.

Es ist der Eindruck entstanden, dass die Vertreibungen nicht thematisiert worden seien. Das stimmt nicht. In der Tat diskutieren wir darüber. In den 90er Jahren gab es in Polen eine große Debatte dazu. Damals wurde nicht gefragt, ob die Deutschen vertrieben wurden, sondern wie, unter welchen Umständen das geschehen ist. Diese Frage war lange ein Tabu gewesen. Nach der Wende kamen wir zu der Erkenntnis, dass wir uns gegenüber den Deutschen nicht korrekt verhalten haben. Das Thema ist heute kein Tabu in Polen mehr. Es muss aber immer wieder in Erinnerung gerufen werden, weil uns viel an guten Beziehungen zu Deutschland gelegen ist. Uns ist klar geworden, dass das ständige Erinnern an unsere Opfer einer Annäherung nicht dienlich sein kann.

Woher dann die Verstimmungen?

Etwa zehn Jahre nach dem Umbruch von 1989 begann man auf polnischer Seite zu bemerken, dass die Auseinandersetzung der Deutschen mit den polnischen Opfern nicht einsetzte. Wir hatten vielleicht im Hinterkopf, dass wir uns mit euren Opfern beschäftigen, also haben wir auch erwartet, dass es umgekehrt so sein sollte.

Zumindest in Westdeutschland gab es seit den 80er Jahren unter Historikern einen Blick auf die polnischen Opfer.

Nicht unbedingt. Das beste Beispiel ist die Verwechslung des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto 1943 mit dem „Warschauer Aufstand“ der polnischen Heimatarmee 1944. Auch der deutsche Bundespräsident wusste 1994 eigentlich nicht, an welchen Feierlichkeiten er teilnehmen sollte. Bis 1989 findet man in Deutschland auch nur ein Buch zum „Warschauer Aufstand“. Mit diesem Verbrechen der deutschen Wehrmacht hat man sich eigentlich nicht beschäftigt.

Auch die Deutschen haben das Thema verdrängt?

Wenn man die Frage der Entschädigung betrachtet, dann war Deutschland lange Zeit gegen jegliche Entschädigung für die Opfer. Erst gab es die Klausel der fehlenden diplomatischen Beziehungen zu Polen, dann gab es eine Verjährungsklausel. Die Anerkennung der deutschen Verbrechen in Osteuropa war lange Zeit nicht Gang und Gäbe. Auch die ersten beiden Fassungen der Wehrmachtsausstellung hatten die Verbrechen in Polen ausgeklammert, die Ausstellung setzte erst 1941, also mit dem Überfall auf die Sowjetunion ein. Die Frage war nun, ob die 200 000 Toten des „Warschauer Aufstandes“ nicht zu den Verbrechen der deutschen Wehrmacht gehören.

Wie kommen wir nun weiter?

Ich würde dafür plädieren, dieses Kapitel der gemeinsamen Beziehungsgeschichte abzuschließen. Gesten haben wir genug, von Willy Brandt bis Helmut Kohl. Was wir jetzt brauchen ist Auseinandersetzung. Was uns trennt sind Dinge aus der Vergangenheit. Darüber sollten wir in Ruhe diskutieren. Dies würde ich den Historikern beider Länder überlassen. Man darf daraus kein Politikum machen. Die Debatte ist von Medien und Politik hochstilisiert worden. Es gibt Probleme, die debattiert werden müssen. Aber diese Debatten fanden und finden statt.

Also keine große Krise?

Nein, eher eine Trübung der gemeinsamen Beziehungen. Wir können ähnliche Beziehungen wie die deutsch-französischen erreichen. Aber wir brauchen dafür Zeit. Wir müssen Sensibilität füreinander entwickeln. Auch in Deutschland muss präsenter werden, wie die Polen denken, was sie eigentlich wollen. In Polen hingegen kann man Deutschland nicht auf Frau Steinbach oder die Ansprüche der so genannten „Preußischen Treuhand“ reduzieren.

In Polen ist die Vorsitzende des Vertriebenen-Bundes, Erika Steinbach, mittlerweile fast schon bekannter als in Deutschland. Ist denn in Polen bekannt, dass die Vertriebenen bei uns eher eine Minderheitenposition vertreten, dass nur die Wenigsten Land wiederhaben wollen?

Diese Haltung in Polen ist eine späte Nachwirkung der antideutschen kommunistischen Propaganda. Dabei maß man nicht nur den Funktionären, sondern auch dem Verband selbst allzu große Handlungsmöglichkeiten in der Bundesrepublik bei. Dass diese Möglichkeiten heute auf ein Minimum geschrumpft sind, wird in Polen sehr oft übersehen. So ist es zu erklären, dass die Äußerungen von Frau Steinbach von einem Teil der polnischen Öffentlichkeit immer noch genau registriert und mit der Meinung der ganzen deutschen Gesellschaft gleichgesetzt werden. Das ist von Grund auf falsch und man muss etwas dagegen tun. Hier sind nicht nur die Medien, aber auch Politiker gefragt. Manchmal hat man den Eindruck, dass die deutsche Polen-Politik Frau Steinbach überlassen wurde, was in Polen mit Unverständnis aufgenommen wird.

Fehlt vielleicht ein klares Zeichen von der deutschen Bundesregierung?

Man braucht auf beiden Seiten klare Antworten. Ich könnte mir einen Round-Table vorstellen, an dem man den schwierigen Kapiteln gemeinsam als Nachbarn nachgeht. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass trotz ablehnender Haltung der Bundesregierung gegenüber der „Preußischen Treuhand“ durch das Verhalten einzelner deutscher Politiker immer noch Zweifel geweckt werden. Hier muss man geschlossen eine klare Antwort geben.

Verdrängen wir vielleicht nicht auch die Probleme der Gegenwart durch die historischen Debatten?

Sicher. Wir müssen in unserer europäischen Nachbarschaft nach Plänen für die Zukunft suchen. Wir erleben zurzeit eher Schritte zurück, wir graben in der Vergangenheit und denken nicht über die Zukunft nach. Energiefragen oder die Europäische Verfassung, das sind Ziele, die nun anstehen. Die Debatten über die Vergangenheit sind eher Ersatz für den mangelnden Mut, gemeinsam etwas anzupacken.

Brauchen wir ein „Zentrum gegen Vertreibungen“?

Nein. Das ist eine schöne Idee von Politikern, die sich profilieren möchten. In den vergangenen Jahren ist so viel in dieser Hinsicht geschehen, es gibt so viele Institutionen, die sich mit der Frage beschäftigen, dass es vielleicht reicht, ein Netzwerk zu bilden, damit man voneinander weiß, was die anderen machen. Und damit die Arbeit dieser Institutionen weiter gefördert wird. Zum Beispiel wurde vor kurzem in Berlin ein polnisches Theaterstück aufgeführt, das die Vertreibung zum Thema hat. Wieso sollte das nicht auch in den Schulen Stoff werden? Die Koordination könnte ein solches Netzwerk übernehmen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Krzysztof Ruchniewicz ist Direktor des

Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Uni Wroclaw. Er beschäftigt sich mit Erinnerungspolitischen Kontroversen in Polen.

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