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Landeshauptstadt: Keine Limonade zum Anstoßen

Ein altes Kino ohne Sitze und eine marode Villa – 65000 Euro soll das „Charlott“ mindestens kosten. Potenzielle Käufer planen ein Programmkino mit 60 Plätzen, Büros und Stadtteilzentrum

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Ein altes Kino ohne Sitze und eine marode Villa – 65000 Euro soll das „Charlott“ mindestens kosten. Potenzielle Käufer planen ein Programmkino mit 60 Plätzen, Büros und Stadtteilzentrum Brandenburger Vorstadt – Olympia- Limonade mit Zusatz von fünf Vitaminen steht im Keller. Sie wären in den 65 000 Euro Mindestgebot für das Kino Charlott in der Zeppelinstraße enthalten, Kinosessel dagegen nicht. Der Saal ist leer. Ausgeräumt, aber nicht aufgeräumt. Farblos, aber nicht ohne Stil. Stuck hängt an der Decke und auf der Bühne stapeln sich die alten Dielen. Je weiter man geht, desto dünner wird der Boden. Vorführräume und Dach sind für die potenziellen Käufer schon nicht mehr ohne Lebensgefahr zu erreichen. Ein halbes Dutzend Interessenten haben sich am Montag eingefunden, um das Kino und die alte Villa nebenan zu besichtigen, am Freitag wollen sie den Komplex ersteigern. 1988 Quadratmeter mit Kino und Villa kommen dann im Rathaus Neukölln in Berlin unter den Hammer. Die Deutsche Grundstücksauktionen AG versucht das seit sieben Jahren ungenutzte Objekt mit einem früher veranschlagten Preis von 125000 Euro für die Bundesvermögensverwaltung zu veräußern. Was am Montagnachmittag bleibt, ist ein Stück Erschrockenheit über den Zustand der Gebäude. Michael Böke und Freund Craig Burns wollen eine Nacht darüber schlafen, Geld zählen und danach das Finanzierungskonzept verfeinern. Die grobe Planung der Berliner sieht im „Charlott“ den Aufbau eines Programmkinos mit 50 bis 60 Plätzen vor, in dem Premierenfilme und Produktionen, die sonst nirgendwo gezeigt werden, über die Leinwand flimmern sollen. Dazu Büros für Film-Produktionsfirmen und die benachbarte Villa zur eigenen Nutzung. Seit 15 Jahren arbeitet Burns im Kinobereich, beide gemeinsam sanieren derzeit ein Schloss in Oppin (Sachsen-Anhalt), was sie ebenfalls ersteigert haben. Für das Grundstück Potsdam rechnen sie mit einem Investitionsvolumen von mehr als 1,5 Millionen Euro. Und wenn der Kaufpreis weit unter 200000 Euro liegt, will Böke die Hand zum Kauf heben. Weit mehr als 1,5 Millionen Euro veranschlagt Thomas Uhlig für das Gelände – Finanziers habe er jedoch noch nicht, dafür einen Treuhänder. Sein Konzept liegt vor. Ein Kultur- und Stadtteilzentrum soll seiner Meinung nach im „Victoriagarten“ entstehen. „Von Theaterpädagogik für Alt und Jung über Musiktherapie für Krebspatienten und Medientherapeutische Arbeit für Alzheimerkranke bis Ausstellungen und Festivals verschiedenster Art werden hier lokale Initiativen an einem Ort vereint“, heißt es im Konzept. Der „Victoriagarten“ war vor dem ersten Weltkrieg Treffpunkt der Potsdamer Sozialdemokraten. Karl Liebknecht hielt dort 1914 seine Rede gegen die Kriegskredite, welche er Tage später im Reichstag wiederholte. Eine beschmierte Ehrentafel erinnert heute an die Vergangenheit – die Zukunft soll wieder bunt sein. Uhlig sieht auch die Möglichkeit eines Anbaus an das Kino: ein zweiter Multifunktionssaal mit 350 Plätzen speziell für Variete, Theater und Orchester, könnte dort entstehen, nutzbar auch für Kongresse. Sein Konzept sei förderfähig, sagt er. Auch der Verein „Maulwurf e.V.“ besuchte die Räumlichkeiten. Es war ein Abtasten der potenziellen Bieter, die mit einem Preis von unter 80000 Euro rechnen. Mit der Olympia- Limonade wird der neue Eigentümer auf das Ersteigerte wohl nicht anstoßen, deren Haltbarkeit lief im Juli 1991 ab.

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