Homepage: Keiner weiß, was kommt
Die Potsdamer Universität arbeitet mit mehreren russischen Hochschulen zusammen. Durch die Krim-Krise wachsen nun die Sorgen um die Zukunft der Kooperationen
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Die Universität Potsdam beobachtet mit Sorge die politischen Entwicklungen zwischen der EU und Russland. Für die Universität sind russische Universitäten, insbesondere in Moskau, St. Petersburg und Irkutsk, wichtige Partner in der Ausbildung von Studierenden. Vor dem Hintergrund der Krim-Krise sieht der Politikwissenschaftler Professor Jochen Franzke von der Potsdamer Uni die bisher sehr guten Kontakte mit russischen Hochschulen in Gefahr. Franzke ist Koordinator des gemeinsamen Masterprogramms „Public Administration“ zwischen der Russischen Universität der Völkerfreundschaft in Moskau und der Uni Potsdam.
Problematisch sei derzeit vor allem, dass man nicht wisse, wie sich die Situation weiterentwickeln wird, sagte Franzke. Ende Mai finden wie immer die Abschlussprüfungen des laufenden Semesters in Moskau statt. „Es ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, ohne Probleme ein Visa zu bekommen“, erklärt Franzke gegenüber den PNN. Aber nicht nur die Visa-Vergabe für Potsdamer Studenten nach Russland sei in letzter Zeit immer schwieriger geworden, dies gelte auch umgekehrt für die russischen Studenten.
In dem Masterprogramm der Moskauer und der Potsdamer Universität erhalten die Studierenden zwei Abschlüsse: den Potsdamer deutsch-russischen Master für Verwaltungswissenschaft und in Moskau einen Magister für Politikwissenschaft. Das deutsch-russische Verhältnis sei aber nicht nur für die Ausbildung wichtig, es gehe auch um viele Jobs und Arbeitsmöglichkeiten, erklärt Franzke. Einer der Absolventen des gemeinsamen Studiengangs ist mittlerweile im russischen Außenministerium angestellt, zwei arbeiten bei privaten deutschen Firmen in Moskau. Einer arbeitet bei einer NGO. Die Absolventen des bilateralen Studiengangs hätten sehr gute Deutsch- und Russischkenntnisse, sie würden beide politischen Systeme gut kennen. „Das ist ein Riesenvorteil“, so Franzke.
Die Uni Potsdam unterhält mit Russland unter anderem zwei gemeinsame Studiengänge in den Bereichen Russlandstudien und Verwaltungswissenschaft. Wie eine Sprecherin der Uni sagte, ist die Hochschule an der Aufrechterhaltung der guten Arbeitsbeziehungen sehr interessiert. „Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsame Ausbildung von Studierenden der beste Weg ist, Verständnis füreinander zu entwickeln und Diskrepanzen im Dialog zu klären“, sagte Birgit Mangelsdorf. Seitens der Universität seien keine einschränkenden Maßnahmen geplant. „Und wir sehen diese bislang auch nicht bei unseren Partnern.“
Die aktuelle Lage auf der Krim und in der Ostukraine hält der Politologe Jochen Franzke indes für sehr gefährlich. „Viel gefährlicher, als das bei uns zur Kenntnis genommen wird.“ Wenn an der Grenze 10 000 Soldaten stehen und einer davon die Nerven verliere und das Feuer eröffne, dann könnte es schnell passieren, dass zurückgeschossen wird. Franzke fliegt Ende Mai wieder nach Moskau, um dort an den gemeinsamen Abschlussprüfungen teilzunehmen. „Das wird spannend“, sagt er. Schließlich sei heute nicht abzusehen, wie sich die Situation bis dahin weiterentwickle.
Bei seinem Besuch in Moskau will Franzke kein Blatt vor den Mund nehmen. „Was die Bewertung der Faktenlage zur Krim betrifft, werde ich im Gespräch mit meinen Kollegen dort mit meiner Meinung nicht hinterm Berg halten“, sagt der Wissenschaftler. Unbesehen davon will er sich auf jeden Fall für die weitere Zusammenarbeit starkmachen. Die deutsch-russische Kooperation sei auf die Zukunft ausgelegt. „Es sollte alles versucht werden, diese Kooperation aufrechtzuerhalten, auch wenn die Umstände im Augenblick sehr schwierig sind.“
Jochen Franzke ist Experte für Russland, er unterhält seit vielen Jahren Beziehungen zu dem Land, mit dem er sich seit 1979 befasst. Der Politikwissenschaftler ist nicht nur im gemeinsamen deutsch-russischen Studiengang der Verwaltungswissenschaften aktiv, er sitzt auch in der Studienkommission für den Studiengang der interdisziplinären Bachelor-Russlandstudien der Potsdamer Universität. Die russischen Universitäten sind nach Franzkes Erfahrungen in sehr viel stärkerem Maße vom Bildungsministerium abhängig als ihre deutschen Partner. Für kritische Wissenschaftler nehme der Druck in Russland gegenwärtig stark zu. Franzke weiß von Entlassungen einiger Professoren, die sich kritisch zur Aufnahme der Krim in die russische Föderation geäußert hatten. Viele wissenschaftliche Partner der Universität seien durchaus kritisch. Zumindest auf dieser Ebene erwartet der Potsdamer Politikexperte keine Belastungen der Beziehungen. Viel mehr Sorge bereitet ihm da schon der staatliche Einfluss auf die russische Wissenschaft.
Auch inhaltliche Veränderungen befürchtet Franzke. In dem gemeinsamen Masterstudiengang werden Studierende für Führungspositionen in Management und Administration ausgebildet, auch für die Politik. Gerade hier könnten sich nun die Perspektive und Ausbildungsziele zwischen den russischen und deutschen Hochschulen verschieben. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Sanktionen, die ebenfalls Auswirkungen auf die Kooperationen und die Absolventen haben könnten. So deute sich an, dass Investitionen in Russland kritischer beurteilt werden. Was passiere, wenn die von russischer Seite angedrohten Enteignungen tatsächlich vorgenommen werden, sei völlig offen. „Dann würden viele Investoren Russland verlassen und dann sind natürlich auch viel weniger Möglichkeiten für unsere Absolventen vorhanden“, schätzt Franzke.
Die sehr positive Entwicklung des deutsch-russischen Verhältnisses in den vergangenen 20 Jahren hält Franzke indes für bemerkenswert. Der gegenseitige Hass aus den vergangenen Kriegen sei Geschichte, heute würden gerade einmal zwei Prozent der Russen die Deutschen als Gegner betrachten. Doch diese Entwicklung sei nun in Gefahr. „Solche nationalistischen Sachen können sich ganz schnell hochschaukeln“, sagt der Politologe. Die russische Annektion der Krim, die Sanktionen des Westens, die Stationierung von Truppen: „Diese Dynamik kennen wir aus dem Kalten Krieg.“
Die aktuelle Stimmungslage in Russland habe natürlich auch etwas mit dem verletzten Stolz nach dem Ende der Weltmacht Sowjetunion zu tun. „Das scheint nach wie vor auch ein Mobilisierungsfaktor zu sein, selbst für viele, denen es zu sowjetischen Zeiten nicht gut ging.“ Die Umfragewerte für den russischen Präsidenten Wladimir Putin seien nun erst einmal dramatisch nach oben geschnellt. Franzke betrachtet aber auch die westliche Seite kritisch. Hier gebe es ein Wunschdenken, einen Mythos unter den deutschen Eliten, dass man einen besonderen Draht nach Moskau habe. Die Vorstellung, dass dort besondere Rücksicht auf deutsche Interessen genommen werde, sei irrational und sehr gefährlich. „Keiner weiß, was Putin wirklich machen wird.“
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