Landeshauptstadt: Kennwort „Alpenveilchen“
Dieter Drewitz – ein Stasi-Opfer berichtet / Im Herbst neue Ausstellung in der „Lindenstraße 54“
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Innenstadt – 1966, eine Lehrveranstaltung an einer Fachhochschule in Ost-Berlin. Eine Dozent kommt herein, Dieter Drewitz solle zum Direktor kommen. Der Student möge wegen einer Zeugenaussage für einen Tag freigestellt werden, so die Bitte eines symphatisch wirkenden Mannes. Seine Sachen könne Dieter Drewitz mitnehmen, denn „das wird heute nichts mehr.“ Der junge Mann steigt vor der Hochschule in einen Wartburg. Auf der Rückbank sitzt er zwischen zwei schweigsamen Männern. Kein Wort auf der Fahrt nach Potsdam. „Da kamen mir schon Zweifel“, erinnert sich Dieter Drewitz. In der Lindenstraße 54 wird hinter dem Wagen ein Stahltor geschlossen, ein Gitter knallt herunter. Der „symphatische Mann“ dreht sich um und erklärt. „Jetzt kann ich es ihnen ja sagen, sie werden schwerer Staatsverbrechen beschuldigt“. Im Gefängnis der DDR-Staatssicherheit in der heutigen Lindenstraße 54 wird Dieter Drewitz „in alle Körperöffnungen geschaut“, die Vernehmungen dauern bis morgens um vier Uhr, er soll gestehen, „wir wissen sowieso schon alles“.
Dieter Drewitz stand gestern im Zellengang der „Gedenkstätte 54“ und erzählte seine Geschichte. Anlass seines Besuches und auch der Anwesenheit von Kulturministerin Johanna Wanka (CDU), die ihm bewegt zuhörte, sind neue Pläne für den alten Ort der staatlich betriebenen Unmenschlichkeit: Zur Erinnerung an die Opfer von politischer Gewalt und Folter in der DDR wird derzeit in der ehemaligen Otto-Nuschke-Straße 54 eine Ausstellung vorbereitet. Im Herbst soll sie unter dem Titel „''Das Lindenhotel'' – Potsdamer Geheimdienstgefängnis der SBZ/DDR“ eröffnet werden, wie Kuratorin Gabriele Schnell sagte. Darin widmen sich die Macher den in der Lindenstraße Inhaftierten der Jahre zwischen 1945 und 1989. Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete der sowjetische Geheimdienst (NKWD) in dem Haus ein Untersuchungsgefängnis ein. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nutzte es von 1952 bis 1989 für die Inhaftierung und Folter von politisch Andersdenkenden.
Die Schau ist Teil einer Neukonzeption des Hauses, das seit 1995 dem Museum-Potsdam angehört. Momentan werde schrittweise eine Dauerausstellung erarbeitet, sagte Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF). Die Präsentation sei für Ende 2009 geplant. Dann werde Besuchern die breite Geschichte des barocken Hauses von 1734 bis zum 1990 präsentiert. Insgesamt sollen fünf zeitliche und thematische Module die Geschehnisse in dem Haus dokumentieren. Momentan stehe aber das Gesamtkonzept noch in der politischen Diskussion, räumte Hertle ein. Der Kulturausschuss der Stadtverordnetenversammlung werde sich mit den Plänen befassen.
Die Dauerausstellung ist ein Projekt, das unter anderem von der Stadt Potsdam, vom Land, dem Potsdam-Museum und der ZZF konzipiert wird. Insgesamt wurden 70 000 Euro dafür beantragt. Gefördert wird das Projekt mit 35 000 Euro von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, mit 10 000 Euro von der Stadt sowie mit 8 000 Euro vom Land Brandenburg. Oberbürgermeister Jann Jakobs begründete das Engagement der Stadt für den „zeithistorisch wichtigen Ort“ damit, dass „wir es denen, die viel Leid erfahren mussten, schuldig sind, ihn als Gedenkstätte zu erhalten“.
Dieter Drewitz wurde wegen „Verbindungsaufnahme zu einer verbrecherischen Organisation“ zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte an den Westberliner Radiosender Rias Berlin zwei Briefe geschrieben. Unter dem Kennwort „Alpenveilchen“ nahm er an einer Hörerdiskussion über die Chancen der deutschen Wiedervereinigung teil, denn „ich habe unter der Teilung gelitten“.
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