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5. Potsdamer Kongress-Preis: Killermücken und Murmelgruppen

Die Jury für den 5. Potsdamer Kongress-Preis hatte es nicht leicht, sie musste aus 28 Bewerbungen die neun besten nominieren.

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Potsdam - Mit einer Rekordbeteiligung startet der Potsdamer Kongress-Preis in die diesjährige Ausscheidung. 28 wissenschaftliche Symposien, Tagungen sowie Kongresse und Treffen der Wirtschaft und Kultur haben sich in diesem Jahr um den Preis beworben. Der Preis wird in den Kategorien Regelmäßige Veranstaltungen, Einzelveranstaltungen sowie Innovative oder außergewöhnliche Veranstaltungen vergeben. Hinzu kommt ein Sonderpreis für interdisziplinäre Veranstaltungen. Alle vier Preise sind mit jeweils 1000 Euro dotiert. Seit Dienstag stehen nun die neun Nominierten fest. Die PNN haben sie sich genauer angeschaut.

Die Dauerbrenner

Für den Preis der wiederkehrenden Veranstaltungen hat die achtköpfige Jury unter anderem das Beilstein Glyco-Bioinformatics Symposium. Das Symposium des Beilstein-Instituts zur Förderung der Chemischen Wissenschaften findet alle zwei Jahre statt, mit dem Ziel, Wissenschaftler aus dem Gebiet der Glycochemie- und Biologie mit Experten der Bioinformatik zu vernetzen. Die Jury fand, dass die Zusammenführung von Biologie und Glycochemie mit Informationstechnologien, um das junge Forschungsgebiet der Zucker-Bioinformatik international zu etablieren, Strahlkraft für einen Wissenschaftszweig hat, der sich in Potsdam mit jungen Ausgründungen und Forschungsstellen am Standort Golm zukunftsweisend entwickelt.

Die zweite Nominierung erhielt der Thinkshop Satelite Galaxies and Dwarfs in the Local Group des Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP). Ziel war es dabei, die Entwicklungen und Ergebnisse der beobachtenden als auch der theoretischen Kosmologie auf einen Kurs zu bringen. Besonders im Blick des internationalen Treffens war dabei der Status von Zwerggalaxien. An fünf Tagen nahmen 120 Wissenschaftler im Sommer 2014 teil. Die Jury wertete das Treffen als wissenschaftlich hochkarätig besetzt und in fast allen Kriterien – vom Rahmenprogramm bis Imagewirkung für Potsdam und Berücksichtigung von Gleichstellung – erfolgreich.

Zum drittens nominierten PHDay der Potsdam Graduate School trafen sich 143 Promovierende im Juli 2014 in der Wissenschaftsetage, um sich gegenseitig ihre Projekte vorzustellen. Überzeugen konnte diese Veranstaltung durch ihren integrativen Aspekt in Gleichstellungsfragen und die Familienfreundlichkeit. „Die hohe Imagewirkung für Potsdam hilft, das Profil der Landeshauptstadt als Magnet für wissenschaftlichen Nachwuchs weiter zu schärfen“, so die Jury.

Die Gastauftritte

Bei den Einzelveranstaltungen fand die Jury den Weltkongress der Dipterologen besonders erwähnenswert, für den im August des Vorjahres 368 Forscher aus der ganzen Welt nach Potsdam kamen, um sich über Fliegen und Mücken (Diptera: Zweiflügler) auszutauschen. Hier gab es nicht nur interessante Erkenntnisse zu Schädlingen wie etwa der Tigermücke, die aus Südeuropa bei uns eingeschleppt wurden, und potenzielle Überträger von gefährlichen Krankheiten sind, sondern auch zum Potenzial von Insektenlarven als Eiweißlieferant für Viehfutter. Potsdam war neben Oxford der bisher einzige europäische Austragungsort, entsprechend hoch sei das internationale Renommee, so die Jury.

Weiterhin nominiert wurde auch die Ikebana-International-Konferenz zu der im August 2014 289 Teilnehmer nach Potsdam kamen, um sich in Workshops zur japanischen Kunst des Blumenarrangierens weiterzubilden. Sicher eher ein Exot unter den vielen streng wissenschaftlich ausgerichteten Bewerbern, doch der Preis steht explizit auch Veranstaltungen aus der Wirtschaft und Kultur offen. Die Jury vermerkte hier eine große Begeisterung des Organisationsteams.

Die dritte Nominierung ging an die Tagung der Internationalen Gesellschaft für Geodäsie, bei der auf Einladung des Potsdamer Geoforschungszentrums (GFZ) im September vor zwei Jahren 522 Experten zusammenkamen, um sich über Neuigkeiten zur Ausmessung und Abbildung der Erdoberfläche (Geodäsie) auszutauschen. Die Ursprünge der Geodäsie gehen auf grundlegende Messungen von Wissenschaftlern vor 150 Jahren auf dem Potsdamer Telegrafenberg zurück – insofern hatte die Großveranstaltung eine starke historische Anbindung an die Stadt.

Neuland und Originelles

Als innovativ wurde von der Jury unter anderem eine dreitägige Konferenz an der Universität eingestuft, die sich im März 2015 mit Verschwörungstheorien in der europäischen Krise befasste. Hier galt zum einen das ewige Thema der Verschwörung als eher ungewöhnlicher Gegenstand akademischer Betrachtung, zum anderen fiel auf, mit welcher Aktualität die Wissenschaft wenige Monate nach Erstarken von Euro-Krise und Pegida-Auswüchsen kommunikativen Stereotypen in diesem Bereich auf den Grund gegangen ist. Diskutiert wurde auf dem Treffen unter anderem, warum Verschwörungstheorien gegenwärtig so florieren und wie man ihnen begegnen kann.

Als innovativ wurde auch die Beschäftigung an der Fachhochschule Potsdam mit dem Thema Forschendes Lernen bewertet. Im September 2013 war man auf einer Tagung der Frage nachgegangen, wie sich Forschendes Lernen in den Hochschulen verankern lässt. Lernen wird dabei nicht als bloße Wissensanhäufung verstanden, sondern als ein ergebnisoffener und dynamischer Prozess, bei dem das forschende Individuum im Mittelpunkt steht. Bei der Tagung wurden neben klassischen Elementen auch neue Konferenz-Formate genutzt, wie etwa Murmelgruppen – eine Art Brainstorming in kleinen Diskussionsgruppen.

Schließlich nominierte die Jury auch das Jahrestreffen der Society of Mathematical Psychology. Im August 2013 waren 203 Mathematische Psychologen aus aller Welt in Potsdam zusammengekommen, um sich mit einem ganz neuen Gebiet ihrer Forschung, der Modellierung von Verhalten und Hirnaktivität, auseinanderzusetzen. Eine der gewagten Thesen dabei: Auch die menschliche Seele, die Psyche, der Geist wird von physiologischen Vorgängen hervorgerufen. Menschliche Entscheidungen lassen sich demnach berechnen, sie werden als kontinuierliche Prozesse betrachtet. Die Frage der Bewusstheit der Entscheidungen ist ein Thema, das in den Neurowissenschaften zurzeit boomt. Die Jury befand, dass damit Überzeugungen aufgebrochen werden, an welche die Gesellschaft seit Jahrzehnten glaubt: „Mehr Innovation ist kaum möglich.“

Zwischen den Disziplinen

Zum Preis für Interdisziplinarität wurden keine Nominierungen vorgenommen, er wird aus allen 28 Einreichungen ermittelt. Da Interdisziplinarität heute in der Wissenschaft grundlegend ist, finden sich unter den Einreichungen viele, bei denen zumindest ein Austausch zwischen den verschiedenen Disziplinen angestrebt war. So war beispielsweise die Tagung zu den Verschwörungstheorien auf Beiträge verschiedener Forschungsrichtungen angewiesen. Stark interdisziplinär angelegt waren auch die Konferenzen der Insektenforscher, zum Forschenden Lernen und das Treffen der Mathematischen Psychologen. Eine andere Tagung der Universität Potsdam fragte nach potenziellen säkularen Funktionen von Religion aus philosophischer, religionswissenschaftlicher, soziologischer, psychologischer, fachdidaktischer und medienwissenschaftlicher Perspektive. Ein Treffen von Politik- Verwaltungs-, Sozial- und Rechtswissenschaftlern an der Potsdamer Uni wiederum setzte sich mit Reformen des öffentlichen Sektors auseinander. Es bleibt also spannend, worauf sich die Jury geeinigt hat.

Die Jury-Vorsitzende Silke Engel, Pressesprecherin der Universität Potsdam, betonte nach der Jurysitzung, dass es nicht unbedingt Massentagungen sein müssen, die punkten. „Es gibt durchaus hochkarätige Kongresse mit innovativen Formaten für Feinschmecker, die den Nerv der Zeit treffen.“ Jeder Kongress trage auf seine Weise zum Imagegewinn der Stadt Potsdam bei. „So profiliert sich die Landeshauptstadt weiter als Standort für wissenschaftlichen und kulturellen Austausch.“

Der Autor ist verantwortlicher Redakteur für Wissenschaft und Hochschule der PNN und war Mitglied der Jury des diesjährigen Kongress-Preises

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