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Gewalt: In Potsdam sind Kinder und Jugendliche immer häufiger davon betroffen.

© PNN-Archiv/Marcus Führer

Von Henri Kramer: Kinder als Opfer und Täter

Pädagogen: Steigender Betreuungsbedarf / Stadt will zu Kindeswohlgefährdungen informieren

Stand:

Beim Thema Kindeswohlgefährdung gibt es in Potsdam gegenläufige Tendenzen. Während die Polizei relativ konstante Deliktzahlen in diesem sensiblen Bereich registriert, melden Sozialarbeiter und Jugendamt eine wachsende Arbeitsbelastung, um Kinder zu schützen – die Kosten dafür steigen. Zugleich werden Potsdams Kinder gewalttätiger, warnen Experten

So sind in der Polizeistatistik des vergangenen Jahres für Potsdam 30 Fälle von Gewaltkriminalität bei Kindern aufgelistet. 2008 waren es noch 16. Allerdings warnt die Polizei trotz des Anstiegs vor vorschnellen Schlüssen. „Ein Grund ist der Amoklauf von Winnenden – danach hat sich die Sensibilität gegenüber auffälligen Kindern erhöht“, so Polizeisprecherin Katrin Laurisch. So hatte im Januar ein angeblich angedrohter Amoklauf an der Montessori-Schule für Bestürzung gesorgt – doch laut den Ermittlern gibt es bisher keinen Hinweis, ob es je eine Droh-SMS gab.

Dennoch passen die steigenden Fallzahlen der Polizei zu Beobachtungen von Kinderschutzvereinen wie dem Sozial-Therapeutischen Institut Berlin-Brandenburg (Stibb). Der Verein betreibt in Potsdam ein „Haus der Prävention“ in Babelsberg und den Kindertreff am Stern. „Wir erleben zunehmend Fälle, in denen Kinder in einem erheblichen Maße Gewalt anwenden oder androhen“, sagt Stibb-Leiterin Annelie Dunand. Das Einstiegsalter für Gewaltbereitschaft sinke rapide. So sei die Zahl der betreuten Kinder und Jugendlichen im vergangenen Jahr auf 290 gestiegen, 21 Prozent mehr als noch 2008, heißt es im Jahresbericht des Vereins.

Als besonders problematisch bezeichnet Dunand jene rund 15 Prozent solcher Fälle, in denen verbale oder körperliche Gewalt mit dem Handy gefilmt werde und diese Videos ins Internet gelangen. „In solchen Fällen trauen sich Betroffene oft nicht um Hilfe zu bitten“, so Dunand. Oft bekämen sie gar den Vorwurf zu hören, eine „Petze“ zu sein. Doch gerade solche Formen des „Mobbings“ unter Kindern seien bewusste Machtspiele – und nicht selten Handlungsstrategien der Täter, das „eigene Leid“ vergessen zu machen. Annelie Dunand will aus solchen Einzelfällen keine generelle Zunahme von Gewalt folgern. „Sehr gestiegen ist nur die Qualität, also wie Gewalt eingesetzt wird.“

Im Jahresbericht des Stibb-Vereins sind anonymisierte Einzelfälle über Fälle von kindlicher Gewalt geschildert – etwa die Geschichte eines Jungen der zweiten Klasse, der plötzlich über Ängste vor der Schule und über Schmerzen klagte. Die Gründe nannte er nicht. Zugleich erhielt seine Mutter aus der Schule mehrere Hinweise, ihr Sohn benehme sich aggressiv. Die Frau wendete sich an das Stibb-Institut: Erst bei diesem Beratungstermin habe der Junge erzählt, dass er in seiner Klasse immer wieder bedroht und angegriffen werde, heißt es im Bericht. Ein Wechsel der Schule löste das Problem.

Auch an anderen Stellen gibt es positive Tendenzen. So hat die Polizei sechs Fälle von gewalttätiger Kindesmisshandlung gelistet, 2008 waren es noch 12. Die Zahl des sexuellen Missbrauchs von Kindern stieg dagegen von 21 auf 29, so die Polizei. Unter anderem soll es nach PNN-Informationen einen Verdachtsfall auf sexuellen Missbrauch an einer Potsdamer Kita gegeben haben. Weitere Indikatoren für das Phänomen Kindeswohlgefährdung existieren bei der Polizei nicht.

Wie berichtet, hat die Stadtverwaltung im Jugendamt in diesem Jahr viereinhalb neue Stellen schaffen müssen, um der steigenden Zahl von Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung nachzugehen. Im nächsten Jugendhilfeausschuss in drei Wochen sollen dazu aktuelle Statistikzahlen bekannt gegeben werden, sagt Jugendamtschef Norbert Schweers.

Schon im vergangenen Jahr war bekannt geworden, dass sich Mitarbeiter des Jugendamts zunehmend mit mehr mit Fällen auseinandersetzen müssen, bei denen Eltern nicht mehr allein für ihre Kinder sorgen können. Steigend ist die Zahl der gewährten Hilfen zur Erziehung, die Eltern zustehen, wenn sie mit ihren Söhnen oder Töchtern überfordert sind: 55 solcher Maßnahmen bewilligte das Jugendamt noch 2007, 2008 waren es 188. Die steigenden Zahlen sind auch im Haushalt der Stadt spürbar, die in diesem Jahr für Hilfen zur Erziehung rund 12 Millionen Euro eingeplant hat, 2,2 Millionen mehr als 2009 und 3,9 Millionen mehr als 2008. Schweers begründet dies, dass vor allem der Bedarf bei der stationären Unterbringung von Kindern – etwa in Heimen oder Wohngruppen – gestiegen sei.

Solche Fälle wollen die Stibb-Berater unter anderem mit einem neuen Familien-Live-Training vermeiden helfen: Dabei sollen sich „problembelastete“ Eltern mit „gewaltgeschädigten“ Kindern an einem abgeschlossenen, schönen Ort treffen und sozialpädagogisch begleitet neu miteinander umgehen lernen.

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