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Landeshauptstadt: Kinderlos von Amts wegen

1937 verurteilte das Erbgesundheitsgericht, Lindenstraße 54, Emma Weidenbach zur Zwangssterilisation. Als Kind hatte sie den Tod ihres Vaters im I. Weltkrieg nicht verkraftet, sie galt als „geistesschwach“.

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1937 verurteilte das Erbgesundheitsgericht, Lindenstraße 54, Emma Weidenbach zur Zwangssterilisation. Als Kind hatte sie den Tod ihres Vaters im I. Weltkrieg nicht verkraftet, sie galt als „geistesschwach“. Von Guido Berg Ein der Rassenideologie des Nationalsozialismus verfangener Richter des „Erbgesundheitsgerichtes“ in der Potsdamer Lindenstraße 54 traf die Entscheidung: Emma Weidenbach darf keine Kinder zur Welt bringen. Er verurteilte sie 1937 zur Zwangssterilisation. In der Landesanstalt in der Heinrich-Mann-Allee kam die 1911 geborene Frau unters Messer. Der Grund: Ihr Arzt hatte sie als „hochgradig geistesschwach“ eingeschätzt und sie den robentragenden Herrenmenschen- Züchtern ausgeliefert. Was heute über das Leben Emma Weidenbachs bekannt ist, weiß Hannes Wittenberg vom Potsdam-Museum von der im Jahr 2004 verstorbenen Pfarrerin Gisela Opitz. Sie kannte die von Amts wegen ihrer Fruchtbarkeit beraubten Frau persönlich. Die Lebens- und Leidensgeschichte der Anfang der 90er Jahre verstorbenen Babelsbergerin steht dem Mädchen auf der überlieferten Schwarz-Weiß-Fotografie noch keineswegs ins Gesicht geschrieben. Die etwa Siebenjährige drängt sich an den Arm ihrer Mutter. Ihre Augen sind groß und klar, sie blicken unerschrocken in die Linse des Fotografen. Die Aufnahme klebt auf einem Ausweis, der die Witwe Johanna Weidenbach, geborene Philipp, und ihre Tochter Emma Weidenbach zum Aufenthalt im Ostseebad Zinnowitz berechtigen. Gültig ist das Papier vom 27. Juli bis zum 18. August 1918. Möglicherweise entstand das Foto einige Monate vor der Mutter-Kind-Kur auf Usedom, vielleicht noch vor dem Eintreffen der schockierenden Nachricht: Unter dem Datum 15. Februar 1918 erhält die junge Nowaweser Familie von der Front einen Brief folgenden Wortlauts: „Geehrte Frau Weidenbach! Leider muß ich Ihnen jetzt die traurige Mitteilung machen, daß Ihr Gatte, der Gefreite Erich Weidenbach, am 5. XI. 17 doch den Heldentod gestorben ist. Nehmen Sie bitte zu dem großen Verlust, der Sie betroffen hat, das allerherzlichste Beileid der Kompanie entgegen. Wir alle trauern mit Ihnen um den lieben Dahingegangenen. Ein von dem Bataillon nach der Kampfstätte entsandtes Kommando hat die traurige Nachricht mitgebracht “ Doch den Heldentod gestorben – offenbar war das noch nicht von Anfang an klar. Die Zeilen lassen den Schluss zu, dass der Vater der kleinen Emma von einer Schlacht nicht in die Stellungen zurückkehrte, er also als vermisst galt und das den Daheimgebliebenen auch so mitgeteilt wurde. Vermisst, das muss nicht Tod bedeuten. Der geliebte Vater und Ehemann könnte in Gefangenschaft geraten sein, es besteht also Hoffnung Plötzlich wird sie vom morgendlichen Boten hinweggefegt. Das dünne Feldpost-Briefchen schlägt einen Riss in die Kindheit der kleinen Emma Weidenbach, aus dem es selbst noch bluten wird, als sie längst erwachsen ist. Emma Weidenbach kann den Tod ihres Vaters nicht verwinden. Die Kur an der Ostsee soll ihr helfen, offenbar vergebens. Der Nowaweser Stadtarztes Dr. Trachte schreibt im Juli 1932 in einem engagierten Tonfall ein Attest, vermutlich für die soziale Unterstützungsstelle: „Emmi Weidenbach ist derartig geistesschwach und bildungsunfähig, dass sie ihren Unterhalt auch nicht annähernd verdienen könnte. Der Zustand dürfte voraussichtlich ein dauernder sein. Eine Untersuchung durch den Landesdirektor der Brandenburgischen Landesanstalt, Herrn Medizinalrat Gallus, bestätigte dieses.“ „Von 100 Mark haben ihr vielleicht zehn Pfennige gefehlt.“ So beschrieb die Pfarrerin Opitz dem Historiker Wittenberg den Grad der psychischen Erkrankung Emma Weidenbachs, „die Macke, die jeder hat“, sagt Wittenberg. Doch auf der einen Seite wollte das „Erbgesundheitsgericht“ „kein Papiertiger sein“ und auf der anderen war Stadtarzt Trachte wohl nicht der Typ, die Chance auszuschlagen, sich bei den Machthabern ins rechte Licht zu rücken. „Ich kann mir nur denken, dass Trachte in einem Akt voreiligen Gehorsams gesagt hat, ich hab“ da eine“, vermutet der Historiker. Sicher ist, dass am 16. Juni 1937 ein Justizangestellter mit Sitz in der Lindenstraße 54 ein an Emma Weidenbach gerichtetes Schriftstück folgenden Wortlauts aufsetzte: „Der Herr Amtsarzt des Kreises Teltow in Berlin hat Ihre Unfruchtbarmachung wegen angeborenem Schwachsinn beantragt. Es wird Ihnen anheimgestellt, sich hierzu innerhalb einer Frist von einer Woche zu äußern.“ Wenige Zeilen, die ein riesiges Maß an Inhumanität und Rechtlosigkeit ausdrücken. Grundlage dafür war ein Gesetz, das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, kurz „Erbgesundheitsgesetz“. Es war am 14. Juli 1933 verabschiedet worden, wenige Monate nach der Machtübernahme Hitlers und „noch vor den Nürnberger Rassegesetzen“, stellt Wittenberg fest. „Erbgesundheit“ sei schon in der Weimarer Republik ein öffentliches Thema gewesen, „der Gesetzentwurf lag schon im Schubfach“ – mit einer Ausnahme: Wie der Ausstellungstext in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 hinweist, eröffnete erst die nationalsozialistische Fassung die Möglichkeit der Zwangssterilisation. Erbkrank und daher durch einen chirurgischen Eingriff unfruchtbar zu machen war, wer unter „1. angeborenen Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressiven) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung“ litt. Ferner könnten Menschen mit schwerem Alkoholismus unfruchtbar gemacht werden. Im Weiteren heißt es in nachdenkenswerter Weise: „Antragsberechtigt ist derjenige, der unfruchtbar gemacht werden soll“. Zudem konnte das Verbrechen von Amts wegen durch Pfleger, Vormünder, Anstaltsleiter oder einen „beamteten Arzt“ beantragt werden. Ferner regelte das faschistoide Recht die Ansiedelung von „Erbgesundheitsgerichten“ an Amtsgerichten. Es habe aus einem Vorsitzenden Richter, einem beamteten Arzt „und einem weiteren für das Deutsche Reich approbierten Arzt, der mit der Erbgesundheitslehre besonders vertraut ist“ zu bestehen. Das Potsdamer „Erbgesundheitsgericht“ wurde 1935 im Haus Lindenstraße 54 gebildet. Es hatte bis 1941 Bestand. Überliefert ist, dass 1939 durch die Einberufung der Potsdamer Ärzte zur Wehrmacht 20 Fälle nicht mehr verhandelt wurden. Aus Ärztemangel hätten 1940 nur zehn bis zwölf von 272 anstehenden „Erbgesundheitsangelegenheiten“ verhandelt werden können – ein Hinweis auf hunderte Opfer des Rassenwahns in den Jahren zuvor. Hannes Wittenberg ist sich sicher, dass zum „Erbgesundheitsgericht“ und zum Schicksal Emma Weidenbachs noch geforscht werden kann. „Das ist ein großes Tätigkeitsfeld“, sagt er und hofft, eine Schulklasse nehme sich dieses Themas als Projekt an.

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