Landeshauptstadt: „Kirche muss das hören wollen“
Die katholische Gemeinde diskutierte über sexuellen Missbrauch – und über einen Potsdamer Fall
Stand:
Ob gegen den ehemaligen Potsdamer Kaplan M. wegen Missbrauchs eines Jugendlichen doch noch ein kirchliches Strafverfahren eingeleitet wird, ist bislang nicht entschieden. Das berichtete Stefan Förner, Sprecher des Berliner Erzbistums, auf einer Veranstaltung der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul am vergangenen Mittwoch, auf der es um Möglichkeiten der Vorbeugung vor sexuellem Missbrauch innerhalb kirchlicher Gemeinschaften ging. Wie die berufliche Zukunft des einstigen Potsdamer Kaplans aussehe, sei noch ungewiss, so Förner.
Wie berichtet hatte M. im Jahre 1997 den heute in Süddeutschland lebenden Stefan Lüttke, damals 15 Jahre alt und Firmling der Potsdamer Gemeinde St. Peter und Paul, nach einem gemeinsamen Treffen mit Jugendlichen auf dem Nachhauseweg sexuell missbraucht. Nach Darstellung von Lüttke war es auf Veranlassung des Geistlichen zur gegenseitigen Masturbation gekommen.
Nachdem sich Lüttke im Jahre 2010 mit seinem Fall an die Hotline der Deutschen Bischofskonferenz gewendet hatte, konfrontierten der Berliner Dompropst Stefan Dybowski und Weihbischof Matthias Heinrich den einstigen Kaplan und späteren Pfarrer der Tegeler Gemeinde Herz Jesu mit dem von Lüttke erhobenen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Nach Angaben des Erzbistums gab der Beschuldigte dabei die ihm vorgeworfene Tat zu. Die ebenfalls eingeschaltete Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren allerdings ein. Der Fall war bereits verjährt. Und auch kirchenrechtlich schien der Beschuldigte zunächst mit einem glimpflichen Ausgang des Verfahrens rechnen zu dürfen: Der Vatikan entschied im vergangenen Jahr, der Geistliche dürfe wieder als Priester arbeiten, wenn er verschiedene Bußauflagen erfülle und ein forensisches Gutachten ergebe, dass er keine Gefahr für Kinder und Jugendliche darstelle. Im Berliner Ordinariat drängten die Verantwortlichen dennoch auf einen Amtsverzicht des Priesters.
Dass der Tegeler Herz-Jesu-Gemeinde in der Folge schließlich vom Bistum verkündet wurde, M. verlasse sein Amt aus gesundheitlichen Gründen, bezeichnete Förner am Mittwoch als klaren Fehler. Auf der Veranstaltung im katholischen Gemeindehaus am Bassinplatz, zu der nur wenig mehr als zehn Besucher gekommen waren, meldete sich ein Mann aus dem Publikum und berichtete, sein inzwischen längst erwachsener Sohn habe damals ebenfalls, unter anderem als Ministrant, Umgang mit Kaplan M. gehabt. Er habe jedoch nie etwas von derartigen Übergriffen erzählt. Als Vater wolle er seinen Sohn bald nun einmal danach fragen. „Das mache ich noch“, sagte der Katholik. Burkhard Rooß, Präventionsbeauftragter des Erzbistums Berlin, ermunterte den Vater am Mittwoch zu einem solchen Gespräch: „Ich kann Sie nur animieren, ihren Sohn zu befragen.“ Pressesprecher Förner erläuterte in diesem Zusammenhang, das Bistum habe bislang nicht von sich aus damalige jugendliche Kontaktpersonen von M. befragt, ob auch sie Opfer des Kaplans geworden sind. Hinweise auf weitere Übergriffe durch M. gibt es allerdings offenbar nicht.
Mehrere Wortmeldungen auf der Veranstaltung verdeutlichten, dass es angesichts der massiven Missbrauchsvorwürfe in der katholischen Kirche nicht immer einfach ist, sich in einer weltlichen Umgebung als Katholik zu bekennen. Eine Frau meinte, „diese Fälle machen es einem nicht leichter“, öffentlich zur katholischen Kirche zu halten. „Das wird ja alles zum Kollektivvorwurf“, beklagte sich ein Veranstaltungsteilnehmer.
Die beiden Referenten des Abends, Rooß und Förner, machten dennoch unmissverständlich klar, dass die Kirche mit dem Thema des sexuellen Missbrauchs trotzdem sehr offen umgehen müsse. „Kirche muss diese Geschichten hören wollen“, sagte Förner. Dass es sich längst nicht nur um ein Problem der katholischen Kirche handelt, zeigen die erschreckenden Zahlen, die Rooß am Mittwoch vorstellte: In Deutschland seien jedes vierte bis achte Mädchen und jeder zehnte bis zwanzigste Junge von sexuellem Missbrauch betroffen. Mitarbeiter in katholischen Gemeinden und Einrichtungen würden zunehmend geschult, um Missbrauchssituationen frühzeitig zu erkennen und Übergriffe von Erwachsenen zu verhindern. So sei beispielsweise das Kollegium der Potsdamer Marienschule bereits geschult worden, berichtete Rooß.
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