Missbrauchsverdacht in Potsdam: Kita-Träger weist Vorwürfe zurück
Eltern kritisieren den Umgang des evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks mit einem dreifachem Missbrauchsverdacht an Potsdamer Kitas. Neue Details der sich ähnelnden Verdachtsfälle kommen ans Licht
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Nach Missbrauchsvorwürfen an mittlerweile drei der sechs Potsdamer Kitas des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF) gerät der Träger zunehmend in die Defensive. Betroffene Eltern fühlen sich und ihre Kinder bei der Aufarbeitung unzureichend einbezogen und kritisieren die Informationspolitik. Neue Details der sich ähnelnden Verdachtsfälle kommen ans Licht. Der Sozialträger weist die Vorwürfe zurück. Zugleich sorgen Interviewäußerungen der EJF-Pressesprecherin für Kopfschütteln.
Anlass ist ein Fernsehbericht des RBB, in dem betroffene Eltern anonym über ihre Erfahrungen mit dem EJF und über die Verdachtsfälle berichteten. Demnach soll bei dem bekannt gewordenen Fall in der Kita „Am Heiligen See“ (PNN berichteten) in den Sommermonaten zwei Jungen in Räume im Erdgeschoss gebracht worden sein, um dort an ihnen sexuelle Handlungen vorzunehmen. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Unbekannt, wie ihr Sprecher Nils Delius sagte. Derzeit sei ein Zusammenhang zu einem weiteren Missbrauchsverdacht an Potsdamer EJF-Kitas nicht erkennbar, betonte der Sprecher.
Ein weiterer Fall
Zugleich ermittelt die Staatsanwaltschaft seit rund einem Jahr in einem weiteren Fall an EJF-Kitas, bestätigte Delius. Dabei steht nach PNN-Informationen ein inzwischen suspendierter Hausmeister unter Verdacht, der an mehreren Einrichtungen des Trägers tätig war – unter anderem in den beiden Innenstadt-Kitas „Am Kanal“ und „Clara Zetkin“.
Dort hatten Eltern zwei Strafanzeigen erstattet. Im RBB schilderte ein Paar seinen Verdacht, dass ihr damals gerade zweieinhalb Jahre altes Kind missbraucht worden sei – wie „Am Heiligen See“ mutmaßlich in der Mittagspause. Die Eltern erklärten, ihr Kind habe sich plötzlich auffällig verhalten, unter anderem unruhig geschlafen und später die Misshandlungen nachgespielt. Dem Träger werfen die Eltern vor, dass dieser die Vorwürfe zunächst nicht habe wahrhaben wollen. Zudem habe sich die Kita nicht transparent verhalten. Von einer weiteren Strafanzeige anderer Eltern im Zusammenhang mit dem Fall habe man nur zufällig auf der Straße erfahren, erklärte das ebenfalls anonymisierte Paar gegenüber dem RBB – anders als abgesprochen habe das EJF über die weiteren Vorwürfe nicht von sich aus informiert. Eine Elternvertreterin an EJF-Kitas bestätigte am Mittwoch gegenüber den PNN, dass der Informationsfluss speziell in diesen Fällen verbesserungswürdig sei. Bereits im vergangenen Winter hatten sich betroffene Eltern gegenüber den PNN äußerst enttäuscht über den Umgang des EJF mit dem Fall geäußert – das Geschehen werde verharmlost, so ihr Vorwurf.
Der EJF weist die Vorwürfe zurück
Das EJF wies diese Vorwürfe am Mittwoch zurück. Sprecherin Julie von Stülpnagel sagte, seit man von den Verdachtsfällen wisse, sei der Träger damit befasst, die erhobenen Vorwürfe sorgfältig aufzuklären. „Der Schutz der von uns betreuten Kinder steht im Mittelpunkt unserer Sorge“, so von Stülpnagel. Insofern habe das EJF – „nach unseren Möglichkeiten“ – die betroffenen Eltern transparent und unverzüglich informiert. So gab es nach PNN-Informationen auch Elternvollversammlungen in den betroffenen Kitas. „Das EJF vertuscht nichts“, so die Sprecherin. Es liefen allerdings staatsanwaltliche Ermittlungen „über deren Inhalt wir selbst keine Kenntnisse haben“.
Zugleich geriet die Pressesprecherin durch eigene Aussagen vor der RBB-Kamera zusätzlich unter Druck. Angesprochen auf den Verdacht in der Kita „Am Heiligen See“ gegen Unbekannt sagte sie: „In diesem Fall sind es keine Mitarbeiter, die betroffen oder beschuldigt sind. Ich denke, wir sind verantwortlich für unsere Mitarbeiterschaft.“ Und einen Schnitt später sagte sie: „ Wir haben insgesamt 30 Kitas, wo über lange Zeiträume überhaupt nichts, noch nicht einmal ein Verdachtsfall, entstanden ist – das finde ich eigentlich eine relativ gute Quote.“ Vor allem dieser Satz sorgte unter anderem im sozialen Netzwerk Facebook für Empörung. Den PNN sagte von Stülpnagel, sie bedaure die missverständliche Wortwahl ihres Zitats. Die Äußerung sei aber völlig aus dem Zusammenhang gerissen gesendet worden. „Selbstverständlich ist jeder Missbrauchsverdacht einer zu viel.“
In einer Erklärung verwies das EJF zudem auf „umfangreiche Präventions- und Sicherheitskonzepte gegen Kindesmissbrauch“ in seinen Einrichtungen. Für deren Umsetzung in den Kitas seien eigens geschulte Kinderschutzbeauftragte verantwortlich. Eine spezialisierte EJF-Beratungsstelle veranstalte zudem verbindliche Fortbildungen für Mitarbeiter, um sachgerecht mit Kinderschutzfällen umzugehen. Vorstandschef des EJF ist der frühere Potsdamer Jugendamtsleiter Norbert Schweers. Er selbst wollte sich am Mittwoch nicht äußern.
Was Kinderschützer sagen
Das Potsdamer Jugendamt und auch die Landes-Kita-Aufsicht sind jedenfalls über die Vorwürfe informiert, wie beide Behörden bestätigten. Die Vorwürfe gegen das EJF wurden – auch aufgrund des laufenden Verfahrens – nicht kommentiert.
Regelmäßig mit Missbrauchsverdachtsfällen solcher Art zu tun hat das Sozial-Therapeutische Institut Berlin Brandenburg (Stibb e.V.), das Opfer berät und auch präventiv tätig ist. Stibb-Vizechef Robert Müller sagte den PNN, bei Ermittlungen in dem Bereich komme es generell auf Fingerspitzengefühl an. Da Kinder erst Vertrauen aufbauen müssten, könnte sich die Aufklärung länger hinziehen. Bei der Aufarbeitung solcher Fälle in den Kitas sei es wichtig, die Kinder und auch die Eltern mit einzubeziehen, betonte Müller.
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