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Homepage: Kleine Forscher

Heute weiß man, dass Kinder früher und anders lernen als bislang angenommen. Eine Tagung für Erzieher

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Kinder sind kleine Forscher. Denn der Arbeitsweg der Wissenschaftler – eine Fragestellung, eine Hypothese, ein Experiment und die Schlussfolgerung – ist den Kleinen gar nicht so fremd. Schon ab einem Alter von fünf Jahren sind sie am Erkennen von Regelhaftigkeiten interessiert. Beobachten Kinder beispielsweise beim Anheben eines Blumentopfes, dass sich darunter lebende Asseln schnell unter den nächsten Topf flüchten, kann man mit ihnen eine Fragestellung entwickeln: Warum flüchten die Asseln? Weil sie dunkle oder feuchte Plätze bevorzugen, könnte die Vermutung lauten. Was sich im Experiment überprüfen lässt und dann zu einer Schlussfogerung führt.

Der Versuch wurde von Dr. Regine Illner für die Tagung „Naturwissenschaftliche Bildung in Kita und Grundschule“ entwickelt, die am vergangenen Freitag an der Universität Potsdam stattfand. In Workshops mit Erziehern und Lehrern wurde das Experiment neben anderen durchgespielt. Ausgangspunkt der Tagung waren wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Entwicklungs- und Lernpsychologie sowie der Hirnforschung. Sie sprechen für eine frühe naturwissenschaftliche Förderung. Regine Illner vom Institut für Biologie und Biochemie der Uni Potsdam erklärte den weit über 100 anwesenden Erziehern und Lehrern, dass nicht nur die schlechten PISA-Ergebnisse, sinkende Studierendenzahlen bei den Naturwissenschaften und der Fachkräftemangel für eine frühe Förderung der Kinder sprechen würden. „Die Ansicht, dass Kinder erst ab einem Alter von zwölf Jahren zu abstraktem, logischen Denken fähig sind, gilt heute als überholt“, so Illner.

Bereits ab einem Alter von fünf Jahren seien Kinder in der Lage, den für die Naturwissenschaft typischen Erkenntnisweg zu beschreiten. Wobei das Lernen selbst die kognitive Entwicklung fördere. „Kinder mit besseren Schulleistungen sind nicht unbedingt intelligenter, sondern haben früher Wissen erhalten“, erklärt Illner, die an der Potsdamer Universität zusammen mit Kollegen das „Kinderlabor“ betreibt. Es gehe nicht darum, die Grundschule in die Kitas zu verlagern, sondern darum, das Lernen in der Schule schon vorher anzubahnen. „Dafür sind Kooperationen zwischen den Kitas und Grundschulen enorm wichtig“, sagt sie.

Auch noch jüngere Kindern könnten schon zum Lernen animiert werden. Einerseits spricht die Neugier der Kinder auf die Phänomen der Welt dafür, andererseits die Existenz so genannter „kognitiver Fenster“. Schon in der Phase zwischen drei und fünf Jahren finde die Ausbildung der neuronalen Vernetzungen im Gehirn statt. Zu diesem Zeitpunkt sei unter anderem das Erlernen von Zweitsprachen, die Entwicklung von räumlichem Vorstellungsvermögen und musikalischen Fähigkeiten besonders einfach. In diesem Alter schon würden Nervenverbindungen geknüpft, die ein Leben lang von Bedeutung sind. Der Spruch, „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, sei nicht ganz verkehrt. Auch wenn man heute weiß, dass diese „kognitiven Fenster“ teilweise bis in die Pubertät offen stehen. Danach findet nur noch ein Festigung bestehender Netze statt. Beziehungsweise deren Schrumpfen, wenn sie nicht genutzt werden.

Bei den Drei- bis Vierjährigen steht nach Erkenntnissen von Regine Illner das Tun und Erleben im Vordergrund. Die Kleinen seien noch nicht an Regelhaftigkeiten interessiert, Sprache spiele eine untergeordnete Rolle. In dieser Phase sei es eher falsch, die Kinder in ihrem Erlebnisdrang mit Fragen zu stören: „Hier geht es Vordergründig um das Sammeln von Erkenntnissen.“ Grundsätzlich müssten Erzieher und Lehrer wissen, dass Lernende ihr Wissen nicht passiv vermittelt bekommen: „Sie konstruieren es sich vielmehr selbst.“ Dafür sei es für Pädagogen wichtig zu wissen, an welchem Wissen sie anknüpfen können.

Illner hat ein anschauliches Beispiel. In einem Kinderbuch erzählt der Frosch dem Fisch von der Welt außerhalb des Wassers, von den Kühen, Vögeln und Menschen. Diese stellt sich der Fisch in Gestalt von Fischen vor, weil er es nicht anders kennt. „Für Lehrer ist das eine Katastrophe“, so Illner. Denn sie wissen nicht, was die Kinder schon an Vorwissen im Kopf haben. Heute sei klar, dass es sinnlos sei, ein Füllhorn von Wissen über den Kindern auszuschütten. Vielmehr müsse man lernen, den Selbstlernprozess zu unterstützen. „Die Erzieher müssen umdenken und dabei einen Schritt zurücktreten.“

Was Prof. Brunhilde Marquardt-Mau von der Universität Bremen nur bestätigen kann: „Ohne eigene Erfahrungen entsteht bei Kindern kein Wissen.“ Experimente alleine reichen nach ihrer Auffassung aber nicht aus: Gespräche mit den Kindern müssten sich daran anschließen. Prof. Marquardt-Mau vertritt einen Ansatz, der Vorerfahrungen und Interessen der Kinder miteinbezieht. Entdeckendes Lernen steht hier ganz oben. Die Inhalte, aus denen die Kinder ihr Wissen konstruieren sollen, kommen aus der Natur. Naturbegegnungen und -erfahrungen spielen eine große Rolle. So orientieren sich Lernprozesse beispielsweise an den Phänomen der Jahreszeiten. „Kinder brauchen einerseits eine haltende Beziehung zu nahestehenden Menschen, andererseits aber auch eine haltende Struktur in der Natur“, schließt die Erziehungswissenschaftlerin.

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