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Vielfältige Vergangenheit. Im Breslauer Rathaus befindet sich der geschichtsträchtige Schweidnitzer Keller.

© Library of Congress/USA

Homepage: „Kommissbrot mit pikantem Tatar“

Die Slawistin Birgit Krehl erklärt, wie der Krimiautor Marek Krajewski den Mythos Breslau aufbricht

Stand:

Frau Krehl, warum ist Breslau heute ein Mythos?

Der Mythos der Stadt Breslau konstituiert sich über Erzählungen, die bis ins Mittelalter und die frühe Neuzeit zurückgehen. Er ist natürlich auch in einem Mythos-Konzept der Verklärung zu sehen, in dem Breslau als eine blühende Metropole des Handels, der Kultur und Wissenschaft gezeigt wird. Später kommen dann im 18. und 19. Jahrhundert sehr stark ethno-politische Aspekte hinzu, das bedeutet etwa, dass der Aufstieg des Bürgertums mit deutschen „Tugenden“ verbunden wird wie in Gustav Freytags Roman „Soll und Haben“, erschienen 1855. Ich habe mich mit dem Mythos der Stadt Breslau anhand der Kriminalromane des heute in Polen sehr populären Autor und Altphilologen Marek Krajewski auseinandergesetzt. Krajewski verweigert sich letztlich in seinen Krimis einem Breslau-Mythos.

Inwiefern?

Wenn man Krajewskis Texte liest, wird deutlich, dass er diesen Mythos der Verklärung abwehrt, indem er das Breslau der 1920er und 30er Jahre in seiner Alltagsbeschaffenheit aufgreift. Dass dieser Alltag vor allem durch Deutsche geprägt war, wird dabei als historische Tatsache wahrnehmbar und nicht auf besonderen „Leistungen“ basierend dargestellt. Dennoch aber haben die Kriminalromane Krajewskis auch eine Identitätsrelevanz, denn sie markieren gerade im polnischen Text deutlich die deutsche Kultur als fremde Kultur.

Wie macht der Autor das?

Ortsbezeichnungen Breslaus werden im polnischen Text in ihrer deutschen Schreibung belassen und nicht ins Polnische übertragen. Das trifft auch für eine Reihe von Bezeichnungen von Behörden zu sowie die Wahl von deutschen Namen, die bei der Aussprache im Polnischen durchaus schwierig sind – der Name des Kommissars Mock etwa kommt einem polnischen Muttersprachler nicht ganz mühelos über die Lippen, er würde „Mozk“ ausgesprochen. Von dem Fremden geht so auch etwas Exotisches, Geheimnisvolles aus. Anderseits aber gibt es auch den Kriminalwachtmeister Smolorz, dessen Namen polnische Wurzeln verrät, oder das Haus am Ring, das als „Pod Gryfami“ („Zu den Greifen“) im Text erscheint. Auf diese Weise oszillieren die Texte Krajewskis zwischen dem Fremden und dem Eigenen, ohne das Fremde dem Eigenen unterzuordnen wie es im verklärenden Breslau-Mythos geschieht.

Breslau 1927: Die Welt des Kommissars Mock ist geprägt von Verbrechen, Ausschweifungen, Trunksucht, Prostitution, Opfer-Riten und Korruption. Ist das nicht ein recht finsterer Mythos?

Ich weiß nicht, ob das ein Mythos ist. Ich denke, dass man nicht alles unter diesen Begriff subsumieren kann. Ich würde eher von dem Topos der Großstadt/Stadt als Moloch sprechen. Der aber bei Krajewski häufig auch in Kommunikation mit Berlin auftaucht und damit auch Unterschiedliches markiert. Interessanterweise kommt bei ihm in Bezug auf Breslau so etwas wie Lokalkolorit hinzu. Wenn wir an die vielen Restaurants und Kneipen denken, die da auftauchen.

Der berühmte Schweidnitzer Keller etwa, den es seit 1273 gibt. Hier sitzt Kommissar Franz Mock, wie immer etwas bleich im Gesicht, isst Blutwurst mit Sauerkraut, saugt den Bierschaum ein und sinniert darüber, wie einst ein betrunkener Gast die Tische umgeworfen hatte. Heute befindet sich im Keller des Rathauses die Piwnica Swidnicka.

Genau. Aber Krajewski führt uns auch in Kneipen, die im Text durchaus auch polnische Namen tragen, wie etwa „Pod Zielonym Polakiem“ („Zum Grünen Polen“), in dem Kommissar Mock in „Tod in Breslau“ seine Lieblingsspeise Kommissbrot mit pikant gewürztem Tatar isst. Das ist dann aus polnischer Sicht nicht mehr diese „fremde“ Kultur, wie sie sich über den topographischen Raum eines ehemaligen deutschen Stadtplans erschließt.

Heute noch findet man alte deutsche Aufschriften an Häusern. Ist Breslau auch ein Mythos, weil es nun das polnische Wroclaw ist?

Krajewski hat für seine Bücher sehr genau in Archiven recherchiert. Er sagt, dass die Spuren des ehemaligen Breslaus ihn zu seinen Texten angeregt haben. Seine Krimis wollen die Leser auch zu einer solchen Spurensuche animieren, die durchaus für die Leser auch etwas Aufklärendes, um im Bild des Kriminalfalles zu bleiben, haben kann. Er geht davon aus, dass in dieser heute fremden Kultur auch etwas Faszinierendes liegt, das den Identitätsdiskurs im heute polnischen Wroclaw ergänzt.

Mythen haben oft auch etwas Sinn stiftendes.

Ich denke, bei Krajewski geht es eher um die Zerstörung von Mythen, weshalb ich neben dem postmodernen Spiel bei ihm auch einen durchaus dazu im Widerspruch stehenden aufklärerischen Gestus sehe. Er hat es geschafft, die Beschäftigung mit dieser Stadt in die Populärliteratur zu bringen. Sehr lange nach der politischen Wende wurde die Diskussion, in der man sich auf die Historie der Stadt besann, in „elitären Schichten“ von Wissenschaft und Kultur geführt. Krajewski hat das nun einer breiten Masse eröffnet. Heute begreifen die Einwohner Wroclaws die Vergangenheit von Breslau auch als Teil ihrer Stadt, mit dem dazugehörigen Lokalkolorit. Indem die Leser den Spuren nachgehen, werden sie zum Wahrnehmen in den Relationen von Fremdem und Eigenem angeregt.

Die ideologische Ablehnung der deutschen Vergangenheit tritt in den Hintergrund?

Es gab auch einen „Mythos Wroclaw“ zu sozialistischen Zeiten, der die Stadt historisch im polnischen Kontext des 11. bis 14. Jahrhunderts verortete, der den Mythos Breslau verdrängen sollte. Krajewski hat gegen diese ethno-politischen Verklärungsmodelle beider Seiten angeschrieben.

Krajewski entwirft in seinen Krimis eine düstere Welt, deren Faszination im Geheimnisvollen liegt.

Das ist der Reiz. Zum Teil sind die Kriminalgeschichten so angelegt, dass man zur Lösung nur über den Ort gelangt, wie in dem Roman „Der Kalenderblattmörder“. Mit dem Autor kann der Leser sozusagen in das Geheimnis des Ortes eindringen. Durch die gute Recherche haben Krajewskis Bücher auch eine Ebene, in der den Lesern historisches Wissen vermittelt wird, etwa über den Untergang Breslaus in „Festung Breslau“. Das gehört durchaus zum Genre der historischen Kriminalgeschichte.

Hier erhalten die polnischen Leser auch einen ganz anderen Blick auf die Vergangenheit dieser Stadt.

Ja, auf etwas, was dem heutigen polnischen Leser als faszinierend Fremdes erscheinen kann.

Mythen sind sagenhafte Geschichten. Das alte Breslau, das alte Berlin, inwiefern werden diese Orte heute zu Mythen?

Weil sie in der Vergangenheit immer wieder Identifikationsmuster gebildet haben. In der Diskussion um eine Identität bekamen sie Bedeutung. Womit nicht nur eine ethnische Identität gemeint war, sondern beispielsweise auch die Identität als Teil eines großen Handelsplatzes, einer prosperierenden Stadt. Solche Orte und Räume üben eine besondere Faszination aus, um solche mythisch-verklärenden Erzählungen immer wieder hervorzurufen, Karl-Heinz Stierle beschreibt beispielsweise in seinem Buch von 1993 den „Mythos von Paris“.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Die Kriminalromane von Marek Krajewski erscheinen bei dtv, zum Beispiel „Tod in Breslau“ (ISBN: 3-442-72831-2 . 317) oder „Festung Breslau“ (ISBN: 9783423211826).

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