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Inseln der Gerechtigkeit. In der Schulmediation werden Konflikte von der ganzen Klasse gemeinsam bearbeitet.

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FH-Pädagogin Angela Mickley über Konflikte an Schulen, Schulmediation und Erfahrungen aus Nordirland

Stand:

Frau Mickley, „Standard oder Sahnehäubchen“ so der Titel des 2. Berlin-Brandenburgischen Schulmediationstages der FH. Ist das Verfahren nicht längst Standard?

Nein, eben nicht. An vielen Schulen ist das Verfahren zur Konfliktbearbeitung heute noch eine freiwillige Aktion, meist auch selbst finanziert. Es ist nach wie vor kein regulärer Bestandteil der Lehrerausbildung.

Sollte es das denn werden?

Dringend. Denn Lehrer werden damit enorm erleichtert. Sie sehen, wie schnell und effektiv sie Konflikte bearbeiten können. Und wie nachhaltig sie Situationen verändern können, die in der Klasse immer wieder Schwierigkeiten bereiten.

Zum Beispiel?

Inzwischen gibt es viele Fälle von Cyber-Mobbing, dem sehr erfolgreich mit dem „No Blame Ansatz“ begegnet wird, der auf Schuldzuweisungen und Bestrafungen verzichtet. Aber auch schlichte Erpressung, wie wir sie schon seit langem an Schulen kennen kommt auch an sehr gut aufgestellten Schulen vor. Etwa der Fall in einem Gymnasium wo Schüler eine ganze 7. Klasse terrorisierten. Sie ließen sich Geld geben, Schüler wurden bedroht und verprügelt. Das wurde über Monate effektiv verdeckt.

Hier half die Mediation weiter?

Die Situation konnte dadurch aufgelöst werden. Die Lehrer lernten genauer hinzusehen und zu hören, was Schüler zueinander sagen, wie sie sich verhalten. Ein langfristiges Dranbleiben am Verhalten der Schüler half hier weiter. Wenn ein Schüler dem anderen Geld lieh, wurde gefragt, wie oft das passiert und wie es zurückgegeben wird, ob die Eltern das wissen und so weiter. Wichtig war, dies mit der ganzen Klasse zu bearbeiten, um den Sozialraum mit einzubeziehen. Und: Durch das Mediationsverfahren wurde den Schülern eine Kompetenz mitgegeben, die sie ein ganzes Leben lang behalten.

Wie sieht die aus?

Es ist eine elementare soziale Kompetenz, Konflikte verträglich zu regeln. Das ist eine personelle Kontinuität, die Schüler sofort nutzen können und in ihr späteres Leben mitnehmen.

Wie läuft solch ein Verfahren ab?

Die Beteiligten besprechen, was passiert ist und was sie mit dem Verfahren erreichen wollen. Die Beziehung dauert an, man muss weiter in der Klasse miteinander klar kommen. Man sucht eine Regelung, die das gemeinsame Arbeiten und Leben ermöglicht. Dann wird weiter nachgefragt, wer wem was getan hat. Wer etwas getan hat, muss Verantwortung für seine Taten übernehmen. Etwa dafür, dass er einen Mitschüler die Treppe heruntergeschubst hat, und der sich dabei einen Arm gebrochen hat. Eine Entschuldigung steht dann aus. Die Frage, wie man das wieder gut machen kann, macht die Sache wesentlich leichter.

Inwiefern?

In der Mediation arbeiten wir uns von der Konfrontation über die Begegnung zum gegenseitigen Verständnis vor und gelangen damit zur Entwicklung sozialer Phantasie, aus deren Ideen Wege zur gemeinsamen Beziehungsgestaltung gewählt und umgesetzt werden. Es geht beispielsweise darum, wie der Täter dem Opfer helfen kann, während der Arm eingegipst ist. Es geht um einen tatsächlich faktischen Ausgleich der Tat. Das Negative soll durch etwas Positives wieder in Ordnung gebracht werden. Das bringt den Schülern etwas, das macht sie stärker. Sie bekommen das Gefühl, die Sache im Griff zu haben. Sie können wieder in Ordnung bringen, was sie angerichtet haben. Und es schafft eine außerordentlich konstruktive Basis für das weitere Miteinander in der Klasse. Das Verfahren ist relativ kurz und ergebnisorientiert. Es ist transparent, alle Beteiligten sehen jederzeit was gerade passiert. Und: Die Mediatoren geben nur die Methoden vor, die Beteiligten bestimmen alle Inhalte selbst.

Welche Rolle spielt das Offenlegen der Taten?

Eine sehr wesentliche. Wenn genau hingeschaut wird, trauen sich die Täter nicht mehr weiter zu machen. Manchmal verspürt man geradezu eine Erleichterung in der Klasse, wenn endlich gesehen wird, was jemand macht. Mit der Frage danach, wie das passiert ist, was den Täter dazu gebracht hat, schafft man ihm gegenüber eine Offenheit. Mit der Trennung von Tat und Täter erhalten Täter Raum, Verantwortung zu übernehmen. Und man weckt bei den Betroffenen die Bereitschaft, den Täter wieder aufzunehmen. Ich bin oft sehr erstaunt, wie leicht das geht, wenn erst einmal ein Feld eröffnet wird, auf dem sich alle mit den Absichten, Taten und Wirkungen befassen. So wird gegenseitiges Verständnis geschaffen.

Sie haben bereits im Nordirland-Konflikt Erfahrungen gesammelt.

Das war Ende der 1970er Jahre, eine sehr heiße Phase mit viel offener Gewalt. Damals hat mich die Frage umgetrieben, wie ich einen Täter dazu bringen kann, von seinen Taten abzusehen und seine Interessen mit anderen Mitteln zu vertreten. Das prägt mich bis heute. Dieses Moment der Motivationsänderung habe ich in die Bearbeitung von Gewaltsituationen an Schulen mit eingebracht.

Sie arbeiten seit 1991 in Berlin mit Schulmediation. Hat sich die Situation zugespitzt?

Die Pressemeldungen sind heute wie auch damals erschreckend. Das würde ich aber weniger auf die Schüler zurückführen, als auf das Konflikt generierende Umfeld. Trotzdem lohnt es sich, bei akuten Problemen mit den Schülern zu beginnen. Wir betrachten das Schul- und Bildungssystem und auch das gesamte Umfeld. Wenn die Verhältnisse an den Schulen weiter so unzureichend organisiert sind, werden wir auch weiter Gewaltprobleme haben. Mit einer umfassenderen pädagogischen Ausbildung der Lehrer, mit Konfliktkompetenz der Pädagogen wären viele Konflikte viel früher bearbeitet und würden gar nicht erst eskalieren. Ich sehe das als eine Verpflichtung des Staates seinen Lehrern gegenüber.

Was zusätzlicher finanzieller Anstrengungen bedarf.

Die sich kurzfristig mit besserer Lernatmosphäre und langfristig mit erheblich reduzierten Kosten für Gewaltfolgen und Schulabbrecher lohnen. Das bedarf vor allem einer anderen Haltung. Hirnforscher betonen, dass unsere Schulen komplett reformiert werden müssten. In unseren Bildungsstrukturen gibt es konfliktbildende Faktoren, etwa das eng getaktete Schulstundensystem oder die Form, in der gelernt wird. Möglichst viel Wissen hineinzuschütten und dann abzuprüfen, das funktioniert nach wie vor nicht. Die Folgen lassen sich nicht alleine mit Mediation abfangen. Schüler lernen am besten selbst. Wir beobachten, dass ab der dritten Klasse die Lust am Lernen stark abnimmt. Das trägt zur Konfliktentstehung mit bei. Dass Schule Freude macht, ist immer noch nicht Ziel der Bildungspolitik.

Sie favorisieren den Montessori-Ansatz, der selbständiges Lernen in den Vordergrund stellt?

Zum Beispiel, oder Waldorfpädagogik, die die Umwelt gezielt mit einbezieht und die Konzentrationsfähigkeit der Schüler im Epochenunterricht stärkt. Diese Schulen arbeiten frei und haben sehr gute Ergebnisse.

Reicht es aus, wenn die Lehrer in Mediation geschult sind?

Das ist ein wichtiger erster Schritt. Das kann den Unterricht erleichtern. Zusätzliche Sozialarbeiter können aber auch vieles auffangen, was Lehrer im Unterricht nicht erledigen können. Das schafft bessere Bedingungen. Beide Pädagogen können sich zusammen beim WIB-Potsdam in Mediation schulen lassen, das geht nicht überall. Es gibt auch Ursachen von Gewalt, die außerhalb der Schule liegen. Da sollte man ebenfalls genau hinschauen: Kommt ein Kind ohne Frühstück, gibt es häusliche Gewalt, welche Bedingungen bringen die Schüler mit. Dies außerhalb des Unterrichts zu bearbeiten gibt den Lehrern mehr Freiraum und die Schüler sind entlastet, weil sie diese Dinge im gemeinsamen Unterricht nicht ansprechen wollen.

Kann Mediation in der Schule überhaupt etwas ausrichten, wenn die Probleme schon vom Elternhaus kommen?

Auf jeden Fall muss auch bei den Eltern angesetzt werden. Solange dazu aber die Ressourcen fehlen, sind die Schulen umso mehr gefragt. Ich nenne die Mediation auch Inseln der Gerechtigkeit. Die Schüler erleben eine Erfahrung und merken, dass etwas anders geregelt werden kann. Sie merken, dass sie als Person respektiert werden. Sie können selbst bestimmen, wie sie mit ihren Klassenkameraden umgehen. Das schafft eine innere Sicherheit und eine Kompetenz, die nicht mehr verloren geht. Die Schüler, die das erreicht haben, verbreiten das in ihrem Umfeld. Sie merken, dass es mehr Eindruck macht, wenn sie einem Konflikt mit einem Gespräch begegnen als mit Schreien und Schlägen. Den eigenen Entscheidungsraum zu vergrößern kommt bei Kindern und Jugendlichern sehr gut an.

Wie ist die Situation in Brandenburg?

Die Schul-Mediation hat hier einen guten Stand. Bereits 1992 sind zwei Kripo-Beamtinnen nach einem Seminar an den Schulen beratend tätig geworden. Mitte der 90er Jahre führten wir mehrere umfassende Weiterbildungen für Lehrer, Sozialarbeiter und Polizisten durch. Das hat den Jugendlichen verdeutlicht, dass es nicht nur eine Aufsicht gibt, die Taten sieht, sondern auch eine Fürsorge, eine lebensbegleitende Verhaltenshilfe. Hier ist Brandenburg bereits viel weiter als Berlin.

Ist das Konfliktpotenzial an Brandenburgs Schulen anders als in Berlin?

Nein, es gibt die gleichen Probleme. Pubertät ist überall schwierig, vor allem für die Erwachsenen.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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Angela Mickley ist Professorin für Ökologie und Friedenspädagogik am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Potsdam. Bereits 1991 hat sie an Berliner Schulen Mediationsverfahren gemeinsam mit anderen Beteiligten eingeführt. Mickley war Schirmherrin des 2. Berlin-Brandenburgischen Schulmediationstages, der vergangenen Freitag an der FH Potsdam stattgefunden hat.

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