Landeshauptstadt: „Kultur ist ein magersüchtiges Modell“
Ein Gespräch mit Bärbel Dalichow über Personalkürzungen und die schwierige Kulturarbeit
Stand:
Frau Dalichow, bis Ende des Jahres 2010 soll die Zahl Ihrer Mitarbeiter im Filmmuseum von 27 auf 21 reduziert werden. Was bedeutet dieser Einschnitt für Ihre Arbeit?
Ich erkläre das am besten an einem Bild. Wir bauen jahrelang an einer Art kunstvollem Netz aus 27 Fäden, die jeweils nach außen hunderte Fäden verbinden und halten. So ein Netz webt man langsam und beharrlich. Man braucht eine Ewigkeit. Und wenn davon nun sechs Fäden gezogen werden, hat man entweder ein löchriges Etwas oder es schrumpelt ganz zusammen.
Das ist nachvollziehbar. Doch das Land Brandenburg muss sparen. Gibt es im Filmmuseum keine Einsparmöglichkeiten?
Wir sind schon mehrere Male evaluiert worden. Da ist nie festgestellt worden, dass wir irgendwo zu viel Speck angesetzt haben. Im Gegenteil.
Im Gegenteil?
Wir haben wirklich engagierte Leute. Zurzeit rennen uns nicht nur Potsdamer am Wochenende die Tür ein, wenn wir die alten Filme der unzerstörten Stadt zeigen. Dafür müssen mehrere Kollegen zusätzlich arbeiten. Jeden verdammten Sonntag! Denn so lange diese Nachfrage besteht, werden wir natürlich zaubern, damit wir den Gästen genügen können. Von Normarbeitszeiten sind gerade die Mitarbeiter, die Verantwortung tragen, ganz weit weg. Und nach 17 Jahren gibt es immer noch keinen Westlohn. Ich kann dieses Engagement nur mit guten Worten vergelten, denn andere Möglichkeiten habe ich nicht.
Sie arbeiten also schon jetzt am Limit?
Ja, unsere Einheit ist viel zu klein, um sie weiter „gesund“ zu sparen. Alles ist randgenäht. Einschränken? Geht gar nicht. Gewöhnlich haben größere Museen eine Abteilung, die eine Ausstellung durch Recherchen und wissenschaftliches Arbeiten langfristig vorbereitet. Das ist uns sofort nach der Wende gestrichen worden. Und wir haben versucht, das Kunststück hinzukriegen, trotzdem ein Museum zu machen, das dem internationalen Standard genügt und konkurrenzfähig ist.
Und was sagen die Verantwortlichen im Finanzministerium dazu?
Ich brauche die Herren, die für die ökonomischen Gegebenheiten des Landes zuständig sind, gar nicht anzusprechen. Die sagen mir dann, ich solle ihnen sagen, wen man an unserer Stelle killen soll. Das ist auch so eine Gegenwartserscheinung, die ich für sehr bedrohlich halte. Weil alle unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit stehen, wird man mitleidlos. Hauptsache, es erwischt mich nicht. Ich werde natürlich nicht vorschlagen, wen man stattdessen umbringen soll – ich bin für das Museum zuständig.
Gibt es nicht auch zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten?
Wir organisieren schon Geld von außen, so viel wir können. Aber je weniger Menschen wir sind, umso weniger können wir das leisten. Frau Wanka (die brandenburgische Kulturministerin, Anm. d. Red.) hat uns immer wieder geholfen, an irgendwelche Sondermittel und Projektförderung heranzukommen. Und immer wieder heißt es von Unbeteiligten: Besorgen Sie sich doch Drittmittel. Da kann ich nur lachen. Denn Anträge bei Stiftungen zu stellen, ist mittlerweile eine Wissenschaft für sich. Dazu braucht man Mitarbeiter, die sich nur damit beschäftigen. Da muss man hunderte Male anrufen, denn jedes Mal ist es wieder anders. Das Neueste ist, dass die Stiftungen zum Teil drei Kostenvoranschläge für jede Kleinigkeit sehen wollen, die man in drei Jahren machen will. Bis dahin sind diese Kostenvoranschläge längst Makulatur. Das ist eine unglaubliche Fitzelarbeit.
Trotz dieser Widrigkeiten gelingt es Ihnen, internationale Künstler wie den Londoner Fotografen Andy Gotts für das Filmmuseum zu interessieren.
Ja, weil unser Haus tiptop ist. Andy Gotts kam unangemeldet aus London und hat sich unerkannt das Haus angeschaut, unsere Programme und die Website und dann hat er entschieden, das Filmmuseum ist es wert, seine Ausstellung mit Fotos von Hollywood-Ikonen zu bekommen.
Wären bei solchen Ausstellungen Einsparungen möglich?
Natürlich könnten wir die Ausstellungen aufgeben. Dann ist das Museum aber kein Museum mehr.
Sie haben auch ein Archiv mit Sammlungen. Könnte da nicht eingespart werden?
Ein Museum ist per definitionem eine Dauereinrichtung. Denn wenn es das nicht wäre, würde kein Künstler oder dessen Erben Werke und Sammlungen einem Museum anvertrauen. Wer vertraut sein Lebenswerk einem Projekt an, das morgen vielleicht schon zu Ende ist? Wie Ilse Werner oder Frank Beyer hat auch Regisseur Andreas Dresen uns seine Arbeitsunterlagen und Filmpreise anvertraut, weil wir ihn schon seit langem begleiten. Damit sind Verträge verbunden. Und eine solche Sammlung hat nur Sinn, wenn sie aufgearbeitet wird, denn sonst ist das nur ein undefinierbarer Haufen Zeugs. Wenn ich nicht weiß, was in den Kisten ist, nützt es gar nichts. Man muss den Inhalt verzeichnen, zugänglich machen und der Welt per Website zeigen, was dort zu finden ist.
Und wenn Sie am Kino sparen?
Sollen wir das für einen sechsstelligen Betrag sanierte Kino schließen? Das ist die Galerie unseres Hauses. Man hängt Filme doch nicht an die Wand wie ein Bild – schauen Sie nach Paris oder Turin. Das Kino ist auch Veranstaltungsraum, den man braucht, um ein Bein in der Gegenwart zu haben. Wenn man sich nur in der Vergangenheit bewegt, ist man bald tot.
Wie sieht es beim Betreuungspersonal aus?
Da improvisieren wir schon lange. Die Besucherbetreuung ist überhaupt nur noch möglich mit 1-Euro-Kräften und Ehrenamtlichen. Sonst könnten wir das Filmmuseum nicht jeden Tag im Jahr, außer am Heiligabend, offen halten. Unsere Frontfrauen und -männer, die in den Ausstellungsräumen oder an der Kasse stehen, sollen freundlich sein, Kultur haben, Wissen. Doch heutzutage ist es oft so, dass man irgendwo hinkommt, alles ist todschick, den Bauwerken geht es prima, dann kommt man rein und da sitzt ein unterbezahlter, verstimmter Wachmann, der keine Frage beantworten kann. Dieser Kontrast deprimiert jeden.
Und wenn Sie nicht mehr jeden Tag öffnen?
Um den geforderten Personalabbau umzusetzen, müssten wir zwei Schließtage pro Woche einführen. Dann fehlen aber Einnahmen in Höhe von 50 000 Euro, das ist unser gesamter Filmmietenetat.
Das sind keine rosigen Aussichten für die Kultur.
Die Kultur im Land Brandenburg ist eine Art magersüchtiges, hübsches Modell. Da ist nichts mehr dran, was noch weg kann – weiter hungern wird lebensgefährlich.
Wären gewinnbringende Großveranstaltungen eine Alternative für das Filmmuseum?
Wir werden von der Ökonomisierung schon immer weiter in Richtung Kommerz gedrängt. Für massenkompatible Veranstaltungen braucht es aber keine staatlich subventionierte Kultur, sondern nur zur Erhaltung der Artenvielfalt. Außerdem: Wenn ich nur noch solche Vorstellungen anbiete, bekäme ich natürlich eine Konkurrenzklage der Privatkinos an den Hals.
Gibt es schon Gespräche mit den Verantwortlichen?
Wir besprechen mit den Mitarbeitern im Kulturministerium detailliert, was man weglassen könnte. So ist die Lage. Ich habe keinen Plan, was ich nun tun soll.
Wie gehen Ihre Mitarbeiter mit den angekündigten Einsparungen um?
Unsicherheit verbreitet natürlich Angst und zerstört Motivation. Wer kommt dann noch sonntags freiwillig hier her und investiert seine Freizeit? Wozu das führen wird, ist, zusätzlich zu immer weiterer Arbeitsverdichtung, eine Demotivation der Leute.
Hat der geplante Personalabbau schon jetzt Auswirkungen auf das Programm?
Da denke ich nicht im Traum dran. Ich mach doch nicht mit Absicht selbst was kaputt. Das muss schon ein anderer machen. Warum arbeite ich mich hier 17 Jahre krumm? Nein, ohne mich. Wir planen bis 2012. Wir sind bei „Friedrich300“ zum 300. Geburtstag Friedrich II. im Jahr 2012 dabei. Da sagen manche, ich sei ja wohl sehr optimistisch. Nein, ich mache einfach meinen Job.
Das Gespräch führte Dirk Becker
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