Links und rechts der Langen Brücke: Kuscheln mit Nebenwirkung
Sabine Schicketanz findet, das Potsdamer Stadtparlament wird immer zahmer, seit die ganz große Koalition regiert
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Immer wieder hatte Potsdams SPD-Oberbürgermeister Jann Jakobs in vergangenen Jahren darüber geklagt, welch komplizierte Verhältnisse im Stadtparlament herrschten. Das Regieren sei aufreibend, die Mehrheiten nie sicher, eindeutige Entscheidungen zum Wohle der Stadt schwierig. Dies kompliziert zu nennen, ist freilich eine Frage der Perspektive. Denn vor allem störte Jakobs, dass er seine Politik nicht anhand einer ständigen, gefestigten Mehrheit im Stadtparlament verlässlich durchsetzen konnte. Wer Debatten und Abstimmungen beobachtete, konnte diesen Schluss durchaus teilen: Seien es die mehrfach durchgefallenen Beschlüsse zum Bau des Landtags(schlosses), der jährliche kommunale Haushalt – die Unberechenbarkeit der Stadtverordneten war legendär.
Damit ist seit mehr als zwei Jahren Schluss. Nach der Kommunalwahl im Herbst 2008 bildete sich die Rathaus-Kooperation. Darin haben sich SPD, CDU / ANW, Bündnisgrüne und FDP / Familienpartei vertraglich aneinander gebunden – unter anderem auf der Geschäftsgrundlage, dass CDU und Bündnisgrüne je einen Beigeordnetenposten besetzen dürfen. Für Jakobs ein lang ersehnter Erfolg: Endlich keine wechselnden Mehrheiten mehr.
Doch je länger die ganz große Koalition Potsdam regiert, desto mehr verstärkt sich ein Bild: Der vertraglich besiegelte Kuschelkurs dämpft das politische Handeln gemäß der Rechte und Pflichten der Stadtverordneten. Sie sind laut brandenburgischer Kommunalverfassung das „oberste Willens- und Beschlussorgan und somit die Vertretung der Bürgerinnen und Bürger“ und haben die Aufgabe, die Verwaltung zu kontrollieren.
Dabei wird der Ball – man bedenke die gegenseitigen Verpflichtungen, die „eigenen“ Beigeordneten – des Öfteren sehr flach gehalten. Manch Agieren der Verwaltung, das früher für scharfe Auseinandersetzungen gesorgt hätte, kommt jetzt im Plenarsaal kaum mehr zur Sprache. Meist widmet sich der Oberbürgermeister dem kritischen Thema gleich in seiner Parlaments-Erklärung. Die Gegenrede kommt – wenn überhaupt – von der Linken, vorausgesetzt, das Thema passt in ihr Politik-Raster. Melden sich „Splitter“-Gruppen wie Bürgerbündnis oder Die Andere zu Wort, wird das nur ertragen.
Einige Beispiele aus jüngerer Zeit: Die Stadt erteilt im Eiltempo Baugenehmigungen für die umstrittene Matrosenstation Kongsnaes, versichert, alles sei vorbildlich gelaufen – und muss dann die Genehmigungen zurücknehmen, weil ein Gericht sie als rechtswidrig bezeichnet. Wen das im Stadtparlament interessierte? Wenige. Im Sportareal Luftschiffhafen baut und entwickelt auf Stadtverordneten-Beschluss ein städtisches Unternehmen, es gibt Turbulenzen, vieles wird teurer. Die kritische Auseinandersetzung damit: dünn. Das Potsdam Museum zieht ins Alte Rathaus, immerzu fehlt Geld: Jüngst wurden erneut 800 000 Euro angemahnt. Warum hat die Verwaltung die Kosten nicht im Griff – oder richtig geplant? Nachfragen sind rar. Mal sehen, ob der aktuelle Streit ums Boardinghaus in der Schiffbauergasse Wellen schlägt – oder gleich versandet.
Verlässliche Politik ist gut für Potsdam. Ein zahmes Stadtparlament nicht.
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