Landeshauptstadt: L“amour kennt keine Grenzen
Sven Bittner aus Potsdam heiratet heute seine Marie-Claire, eine Französin. Vater Roger und Mama Michou haben ihren „choc“ überwunden. Potsdam sei eine „très belle ville“
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Sven Bittner aus Potsdam heiratet heute seine Marie-Claire, eine Französin. Vater Roger und Mama Michou haben ihren „choc“ überwunden. Potsdam sei eine „très belle ville“ Von Guido Berg Die deutsch-französischen Beziehungen waren zwar über Jahrhunderte von Kriegen geprägt. Doch die Beziehungen der einfachen Menschen dies- und jenseits des Rheins zeichneten sich mitunter durch große Herzlichkeit aus. Als Napoleons Soldaten auf ihrem Feldzug gen Osten deutsche Maiden zum „Besuch in meinem Zelt“ (visité a ma tente“) einluden, müssen diese sich nur selten geziert haben. Schnell jedenfalls hat sich im märkischen Raum herumgesprochen, was mit „Fiesematenten“ gemeint war: Etwas, wovor märkische Mütter ihre Sprösslinge noch heute eindringlich warnen: „Mach mir keene Fiesematenten“. Sven Bittner hatte solche Vorhaltungen freilich nicht mehr im Ohr, als er beim Urlaub in der Dominikanischen Republik am Nachbartisch drei sich neugierig langweilende Französinnen erblickte. Schnell war eine gemeinsame Rommé-Runde versammelt, schnell knisterte es zwischen dem Potsdamer und der schönen Marie-Claire Bagdard förmlich vor „Fiesematenten“. Das kein Zelt in der Nähe war, störte überhaupt nicht – man hatte beiderseits Hotel gebucht Heute geben sich Sven und Marie-Claire in der Petzower Kirche das Jawort. Aber der Reihe nach, denn am Anfang stand keineswegs das Wort, schließlich konnte er kein Französisch und sie kein Deutsch. Freundin Anni, wie Marie-Claire aus dem kleinen Ort Metzeresche in Lothringen („1500 Einwohner und 200 000 Kühe“), dolmetschte, so gut es ging – und es ging offenbar sehr gut, denn am Donnerstag, beim Polterabend im Vereinsheim einer Stahnsdorfer Kleingartensparte, war ihre Hilfe nicht mehr nötig. Denn nun mehr sind zwei Jahre vergangen, seit dem Marie-Claire den für französische Verhältnisse recht großen Schritt wagte, zu Sven nach Deutschland, nach Potsdam zu ziehen. Die Radiologie-Assistentin fand über das Arbeitsamt eine Stelle in einer Röntgen-Praxis im Holländischen Viertel, ihre Arbeitskollegen sind hin und weg von ihrem französischen Charme. „Un choc“, sagt Vater Roger und Mama Michou nickt, war es schon, als er hörte, dass seine Tochter „la France“ verlassen will, schließlich ist es eigentlich kaum vorstellbar, dass es in Deutschland so schön sein soll wie in Frankreich. „Da hatte ich ja ein Heimspiel“, schmunzelt der Bräutigam, während die gut zwei Dutzend Freunde aus Metzeresche und zahllose andere Gratulanten beim Polterabend Rock “n“ Roll tanzen. „Bei drei bis vier französischen Schlössern in Potsdam“ fiel es ihm nicht schwer, die Schwiegereltern vom neuen Wohnort ihrer Tochter zu begeistern. Eine „très belle ville“, eine sehr schöne Stadt ist Potsdam, sagt der Vater und die lothringischen Gäste sagen das auch, denn vor der Polterei, die sie in Frankreich als Brauch gar nicht kennen, haben sie umfangreiche Stadtrundfahrten unternommen. „Sanssouci“, findet Marie-Claire „ganz wunderbar“ und diese frankophil-entzückte „wunderbar“ lässt einen darüber nachdenken, doch auch mal wieder hinzugehen. Dass Marie-Claire katholisch ist und Sven konfessionlos, war elternseitig weder bei ihm noch bei ihr ein Thema: Die Kirche in Petzow bietet als einzige in Brandenburg die Möglichkeit der standesamtlichen Heirat. „Ein guter Kompromiss“, erklärt Vater Michael Bittner, der mit seiner Frau Bärbel am Donnerstag nicht nur Polterabend, sondern auch 27. Hochzeitstag feierte. Kein Abschied aus dem ledigen Stand ohne den Test, ob die Heiratswilligen sich auch gut kennen: In dem Vereinslokal werden zwei lange Stuhlreihen aufgestellt, die Männer inklusive Bräutigam setzen sich und lüften die Waden. Die Braut tastet sich mit verbundenen Augen an den haarigen Beinen entlang und – verfehlt ihren Liebsten. Dann ist er dran. Sven Bittner lässt sich mehr Zeit, der Saal johlt. Am Knie von Marie-Claire erhebt sich ein Blitzlichtgewitter, aber Sven tastet unbeirrt weiter. An ihren Schuhen müsste er sie erkennen: Da, das müssten sie sein. Richtig. Nur das Marie-Claire und Anni vorher die Schuhe getauscht haben, um ihn zu verwirren. Doch er nimmt es gelassen: Die er da ertastet hat, „ist ja immerhin auch eine Französin“.
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