
© Andreas Klaer
Thusnelda-von-Saldern-Haus Potsdam: Laufen lernen mit 33
Seit fünf Jahren gibt es das Thusnelda-von-Saldern-Haus für junge Erwachsene nach schweren Krankheiten.
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Potsdam - Mit der rechten Hand greift Stephanie Kunze ihre Linke, hebt sie ein wenig in die Höhe und lässt sie dann in ihren Schoss plumpsen. „Da geht noch gar nichts“, sagt sie. „Aber das Bein wird langsam besser.“ Das konnte sie am gestrigen Freitag vor großem Publikum zeigen: Die drei Stufen aufs Podium schaffte sie allein.
Noch sitzt sie im Rollstuhl. Stephanie Kunze aus dem Spreewald ist eine von 67 Klienten des Thusnelda-von-Saldern-Hauses im Oberlinhaus. Gestern wurde das fünfjährige Bestehen der Einrichtung, die verschiedene Wohn- und Pflegemodelle für Erwachsene anbietet, gefeiert. Auch Stephanie Kunze war dabei und erzählte, warum sie hier ist.
Alles änderte sich von gleich auf jetzt: Vor etwa eineinhalb Jahren brach sie bei Freunden mit heftigen Kopfschmerzen zusammen. Im Krankenhaus diagnostizierte man eine Hirnblutung. Sie wurde notoperiert, später folgten weitere OPs. Kunze, heute 33 Jahre alt, zeigt auf einem Foto, wie ihr Schädel damals deformiert war. Heute sieht man nur noch eine kleine Delle. Schlimmer war und ist die halbseitige Lähmung. „Ich bin Restaurantfachfrau, bin jahrelang auf Arbeit rumgerannt – und jetzt das hier“, sagt sie. So plötzlich immobil zu sein, das findet sie furchtbar. Im Saldern-Haus ist sie seit einem Jahr und kann das linke Bein seit Kurzem wieder etwas bewegen. Das Lauftraining nimmt sie sehr ernst, am liebsten trainiert sie mit einem Therapiehund, der sich ihr vor die Füße legt, damit sie große Schritte übt.
„Forschung und Erfahrung haben gezeigt, dass man vieles wieder lernen kann. Man kann das Gehirn trainieren“, sagt Dörte Meißner, Leiterin des Übergangswohnheims mit zehn Plätzen. Der Name Übergangswohnheim drückt aus, was das Ziel ist: Der Aufenthalt ist zeitlich begrenzt. Nach spätestens drei Jahren muss es weitergehen, in ein eigenes Zuhause oder eine neue Wohnform. Wer hierherkommt, ist nicht dauerhaft behindert. Es sind Menschen, die nach einer plötzlichen Krankheit oder einem Unfall Körperbehinderungen oder Hirnschädigungen erlitten und wieder lernen sollen, ein weitestgehend selbstständiges Leben zu führen. Das müssen sie sich hart erkämpfen, Therapeuten und Pfleger arbeiten eng zusammen, um ihre Klienten fit zu machen.
Für Stephanie Kunze stellte sich nach über einem Jahr medizinischer Reha die Frage, wie es weitergehen soll. Sie wusste eins ganz sicher: In ein „normales“ Pflegeheim wollte sie keinesfalls. Sie bewarb sich um einen der heiß begehrten Plätze in Potsdam. Als sie die ersten Fotos sah, die ihre Eltern im Haus gemacht hatten, dachte sie: „Boah, da will ich hin!“
Es sei längst bekannt, dass es für hilfsbedürftige junge Erwachsene eine Betreuungslücke gibt, sagt Meißner. „Die gehören nicht in ein Pflegeheim für Senioren. Auch das Personal ist für solche Fälle nicht ausgebildet.“ Das Thusnelda-von-Saldern-Haus ist eines der ersten in Deutschland für diese Klientel, die Bewohner kommen aus dem ganzen Land, es gibt eine Warteliste. Die Kosten, auch für monatliche Heimfahrten, trägt in der Regel das Sozialamt.
Am Freitag besuchte auch Clemens von Saldern das Haus, das nach seiner Urgroßtante, erste Oberin der Diakonissen im Oberlinhaus, benannt ist. „Wenn Sie es in die fünfte Etage geschafft haben, nehmen Sie sich die sechste vor“, sagte er, als Stephanie Kunze von ihren Lauf-Fortschritten erzählte. Noch etwa zwei Jahre wird sie hier sein, von einer Umschulung will sie nichts wissen. „Ich will unbedingt in meinem Beruf bleiben. Ich will ja hinterm Tresen stehen. Sie werden sehen, in ein paar Jahren zapfe ich wieder Bier.“
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