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Landeshauptstadt: Leben mit Risiken und Nebenwirkungen

„HIV-positiv“ zu sein, hat Peter Schöneberg nicht umgehauen. Nun engagiert er sich für die Potsdamer Aids-Hilfe

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Es fing damit an, dass plötzlich alles salzig schmeckte: Kuchen, Kaffee mit Unmengen von Zucker, Desserts – einfach alles, selbst wenn kein bisschen Salz dran war. Da habe Peter Schöneberg geahnt, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Der Mann, der sich selbst als leidenschaftlichen Koch und Feinschmecker bezeichnet, wandte sich deshalb an seine Hausärztin. Nachdem mehrere Untersuchungen keine hinreichende Erklärung für das Problem hergaben, riet ihm die Ärztin schließlich zu einen Aids-Test. Als Peter Schöneberg dann an einem Dienstagvormittag zur Auswertung dieses Test in die Praxis kam, lautete das Ergebnis: positiv – und das schon seit mindestens 13 Jahren, wie die im Blut ermittelte Viruslast ergab.

Ein gutes halbes Jahr liegt diese Diagnose nun zurück, und wenn Peter Schöneberg über den Moment spricht, in dem ihm die Ärztin das Testergebnis mitgeteilt hat, dann wirkt er gefasst. „Das hat mich nicht umgehauen“, sagt Schöneberg und seine Stimme klingt dabei emotionslos. Während er fast beiläufig von ehemaligen Freunden erzählt, die bereits an der Krankheit gestorben sind, rührt er betont gelassen in einer Tasse Kaffee. Man weiß nicht, ob man ihm diese Gelassenheit wirklich abnehmen soll.

Aus seiner HIV-Infektion macht der groß gewachsen, hagere Mann keinen Hehl. Peter Schöneberg sagt, er wolle sich mit seiner Krankheit bewusst an die Öffentlichkeit wenden. Um die Menschen aufzuklären. Um ihnen die Angst und die Vorurteile gegenüber Infizierten zu nehmen. Um einen respektvollen Umgang mit den Erkrankten einzufordern. Deshalb hat der 44-Jährige, dem seine Frisur mit dem kurzen Pony einen jungenhaften Charme verleiht, zu einem Treffen in ein Café in der Potsdamer Innenstadt gebeten. Bereitwillig und offen erzählt er seine Geschichte. Blickt zurück auf seine Kindheit in Essen, an die er nur wenige schöne Erinnerungen hat. Spricht über sein Leben, das oft immer schlimmer, nie aber wirklich besser wurde, ein Leben, in dem es nur selten glückliche Momente gab, dafür aber viele schlimme Erfahrungen und Erlebnisse.

Wann genau dieses Leben begann zu entgleisen, kann Peter Schöneberg heute im Rückblick nicht mehr sagen. Vermutlich fing es aber bereits in der Kindheit an schief zu laufen. Immer öfter schlug die Mutter, die als Putzfrau arbeitete, ihre fünf Kinder, oft wegen Nichtigkeiten. Immer seltener ging der Vater dazwischen. Auch später verhinderte der Transportfahrer nicht, dass seine Gattin den gesamten Ausbildungslohn des Sohnes von seiner Tischlerlehre einbehielt. Für Schöneberg, der im Alter von 14 Jahren feststellte schwul zu sein, seine Homosexualität aber vor seinen Eltern verheimlichte, war da vielleicht zum ersten Mal der Punkt erreicht, an dem er sich für den falsche Weg entschied: Um mit seinen zumeist älteren Freunden und deren Lebensstil mithalten zu können, verdiente er sich Geld nebenher – als Stricher am Essener Hauptbahnhof. Mit dem ersten Freier, einem wesentlich älteren Italiener, verschwand der damals 17-Jährige auf der Bahnhofstoilette. Ob er Skrupel hatte? „Nein. Es hat mir zwar nicht gefallen, aber ich wollte ja mit meinen Freunden mithalten“, sagt Schöneberg mit ruhiger Stimme. Von dem schnell verdienten Geld kaufte er sich Anziehsachen, Zigaretten und Bier. Es war ein schwacher Trost für eine weitestgehend trostlose Jugend.

Wie viele Freier es insgesamt waren, kann Schöneberg heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Vieles scheint der Mann, der im Alter von 18 Jahren über Nacht „mit zwei Plastiktüten von zu Hause nach Mallorca abgehauen“ ist und dort als Kellner arbeitete, zu verdrängen. So auch die Tatsache, dass er sich seiner später diagnostizierten HIV-Infektion eigentlich schon früher hätte bewusst sein müssen. Nämlich spätesten 1999, als sein damaliger Freund und Lebensgefährte Hans-Jürgen, mit dem er eine Zeit lang in Berlin ein Bordell für Schwule betrieben hatte, starb und die Ärzte im Nachhinein die Todesursache diagnostizierten: Aids. Auf derartige Nachfragen reagiert Peter Schöneberg jedoch trotzig. „Mir ging es ja immer gut, und ich hatte nie Symptome.“

Seit einem halben Jahr hat sich das schlagartig geändert: Seither bestimmen die Medikamente, die Schöneberg morgens und abends einnehmen muss, sowie die vielen ärztlichen Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte zur Überprüfung des Krankheitsverlauf seinen Alltag. Auch bemerkt er nun erste Nebenwirkungen der Medikamente: Abgespanntheit und Magen-Darm-Probleme.

Ob er sich gelegentlich darüber Gedanken macht, in den sechs Jahren zwischen dem Tod seiner „großen Liebe“ und der HIV-Diagnose beim ungeschützten Sex mit verschiedenen Männern diese ebenfalls infiziert zu haben? „Sie wollten es ja selbst lieber ohne Kondom machen. Ich hoffe, dass ich niemanden angesteckt habe. Aber ausschließen kann ich es nicht.“ Auflösen kann oder Schöneberg diesen Widerspruch seiner Aussage jedoch nicht. Er zuckt nur mit den Schulter, versucht ein entschuldigendes Lächeln und zieht an einer Zigarette.

Nach mehrjährigen Auslandsaufenthalten in Spanien und der Dominikanischen Republik lebt Peter Schöneberg nun seit vier Jahren in Potsdam. Auf Teneriffa lernte er seinen heutigen Lebensgefährten kennen, der ihn überredete, nach Potsdam zu ziehen. Hier wohnt er mit Kater Mikesch in einer Ein-Zimmer-Wohnung Auf dem Kiewitt. Den Kontakt zu seiner Familie hat Schöneberg nach mehreren Versöhnungsversuchen vor 18 Jahren endgültig abgebrochen. „Ich bin ein Mensch, der Ruhe liebt. Außerdem habe ich selber genug mit mir zu tun.“ Manchmal fehle ihm nur sein jüngerer Bruder.

Vom einst Ersparten ist heute nichts mehr übrig geblieben. Derzeit lebt der Schlagerfan von 331 Euro Sozialhilfe und 25,56 Euro Mehrbedarfszuschlag für seine Krankheit. Weil diese Summe kaum reicht, nutzt Schöneberg zweimal wöchentlich das Angebot der Potsdamer Tafel. Zudem ist für ihn die Potsdamer Aids-Hilfe ein wichtiger Anlaufpunkt geworden. Dort trifft er nicht nur Leidensgenossen, sondern engagiert sich auch ehrenamtlich für den Verein. „Besonders die Präventionsarbeit mit Jugendlichen macht mir Spaß“, sagt Peter Schöneberg und über sein Gesicht huscht in diesem Moment ein Lächeln. „Endlich kann ich mal in meinem Leben etwas Sinnvolles machen und Menschen davor schützen, das Gleiche zu erleben wie ich.“

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