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Von Jan Brunzlow: Leben und Tod entlang der Mauer

Wissenschaftler haben den Mauerverlauf, authentische Orte und Maueropfer in Potsdam erforscht. Im Stadtbild spielen die Ergebnisse leider kaum eine Rolle

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Der Stein steht am Wegesrand. Unscheinbar, einen Hinweis auf seine Herkunft gibt es nicht. Kein Gedanke an einen Zusammenhang mit früheren Grenzsicherungsanlagen der Mauer kommt dabei auf. Aber irgendwo hier muss sie gestanden haben, die Berliner Mauer mit ihrer Todeszone. Der Weg schlängelt sich von der Stubenrauchstraße hinunter zum Griebnitzsee, auf einer Schneise für Radfahrer und Fußgänger. Nur wenige Segmente des früheren Walls, den die DDR errichten ließ, stehen noch an dieser Stelle und nehmen dennoch der Idylle ihre Gelassenheit. Sie sind sichtbarstes Zeugnis des DDR-Regimes. Es gibt zahlreiche Überreste dieses sozialistischen Übels, an dem auf Potsdamer Boden zwischen dem 13. August 1961 und dem 9. November 1989 mehr als ein Dutzend Menschen ihr Leben verloren haben. Nur sind die Orte kaum gekennzeichnet und somit nicht erkennbar.

Es sind kleine Hinweise, mal ein Grenzstein, mal die Überreste eines Vorderlandzaunes, mal eine Laterne, die früher Grenzsoldaten die Schussbahn beleuchtete und heute Passanten den Weg weist. Gleich mehrere davon stehen noch am Bahnhof Griebnitzsee. Wo seit Jahren wie selbstverständlich Studenten in die Regionalbahn nach Golm einsteigen und die S-Bahn auf dem Weg von und nach Berlin hält, gibt es keinen offiziellen Hinweis auf die jüngste deutsche Geschichte. Dabei gehört der Bahnhof zu jenen 121 Kilometern Berliner Mauer, die das Land Brandenburg durchzog. Und zu jenen Orten in Potsdam, denen wegen des Transitverkehrs eine besondere Bedeutung im Rahmen der Grenzsicherung zukam.

Neuerlich dokumentiert hat der Lehrstuhl für Denkmalpflege der Technischen Universität Cottbus den gesamten Grenzverlauf der Berliner Mauer und damit auch in Potsdam. Im Internet ist er dargestellt mit all seinen Überresten, mit all seinen Schikanen für die Bewohner und mit Fotos, die nahezu lückenlos den Zustand der Mauer aus den Jahren 1988 und 1989 widerspiegeln. In der virtuellen Mauerwelt sind Grenzverlauf, verschiedenste Zäune, Grenzübergänge, Kontrollpunkte, selbst Stromkästen und Streckentelefone sowie systemerhaltende Orte eingezeichnet. So weisen die Wissenschaftler der Uni Cottbus beispielsweise auch auf die DDR-Vergangenheit der Gebäude auf dem Sago-Gelände hin, das bis 1985 als Kaserne des Grenztruppenkommandos für Diensthunde und zentrales Materiallager genutzt worden ist.

Für Potsdam haben die Mitarbeiter um Projektleiter Professor Leo Schmidt mit dem Griebnitzsee, Groß Glienicke, Sacrow und Bertini-Enge inzwischen vier sogenannte Befundschwerpunkte zum Mauerbau und Grenzverlauf erarbeitet. Haarklein werden Vergangenheit und Gegenwart dieser Orte im Internet gezeigt. Der Wandel vom Gestern zum Heute. Beispiel Bertini-Enge, ein strategisch wichtiger Punkt im Grenzsystem, da sich hier ein Sperrteil einer Grenzübergangsstelle für Schiffe befand. An der Bertini-Enge war eine Wassersperre aus zwei Sperrkähnen, die beiderseits des Ufers verankert waren, installiert. Die lange Infotafel der Wissenschaftler dazu liest sich wie die Anleitung zum Bau eines Hochsicherheitsbereichs. „Zwischen den Sperrkähnen befand sich eine Öffnung, die mittels eines versenkbaren Kettennetzes abgesichert wurde. Vor beiden Sperrkähnen befand sich ebenfalls ein Kettengitter, welches mit dem Ufer befestigt war um ein Unter- bzw. Umschwimmen der Kähne zu verhindern “ Es war ein Hochsicherheitsbereich.

Noch heute sind Gebäude erhalten, die in der teuren Wohnlage am Jungfernsee allerdings eher unter dem Namen ihrer Erstbesitzer bekannt sind als unter den Nutzungen während der DDR-Zeit. So ist die Truppenunterkunft für die Bootskompanie des Grenzregiments 44 Walter Junker heute eine sanierte Villa, um die herum Luxusvillen und eine Marina entstehen sollen. Von der Grenzstelle erhalten sind bis heute auch Führungsstelle, Verwaltungsgebäude und Transformatorenhaus. Einen Hinweis darauf finden Touristen oder Neu-Potsdamer allerdings nicht. Weder zu den Gebäuden, noch zu den Resten der Mauer, Pfosten und Laternen, die an der Bertinistraße die Zeit überlebt haben. Dabei sind an einigen der Stellen sogar Menschen, die dem totalitären System entfliehen wollten, ums Leben gekommen.

Mehr als ein Dutzend Maueropfer auf dem heutigen Potsdamer Stadtgebiet sind es, deren Lebens- und Todesumstände das Potsdamer Zentrum für zeithistorische Forschung in den vergangenen Jahren ermittelt hat. Mit ausführlichen Berichten zum Hergang, gesicherten Aktenmaterial der Staatssicherheit und Grenztruppen sowie persönlichen Dokumenten und Bildern haben die Wissenschaftler den Opfern ein Gesicht und eine Persönlichkeit gegeben. Sei es Hans-Peter Hauptmann, der am 24. April 1965 in Babelsberg erschossen wurde. Er wollte nicht fliehen, sondern wohnte im Grenzgebiet. Sei es Rainer Liebeke, der bei einem Fluchtversuch im Sacrower See ertrank und dessen Leiche einen Tag nach seinem 36. Geburtstag von zwei Schülern entdeckt wurde. Seien es die Offiziersschüler Peter Böhme und Jörgen Schmidtchen, die am 18. April 1962 am Gleisdreieck Griebnitzsee von ihren eigenen Leuten erschossen wurden. Oder sei es Günter Wiedenhöft, der bei seiner Flucht am 6. Dezember 1962 husten musste, die Aufmerksamkeit der Soldaten auf sich zog und vermutlich durch die abgegebenen Schüsse im Eis auf dem Griebnitzsee einbrach. Erst drei Monate später wurde seine Leiche gefunden. Seine Uhr, die nicht wasserdicht war, blieb bei 0.14 Uhr stehen. Ende eines Lebens. Schicksale die berühren – leider nur im Internet und nicht an authentischen Orten.

www.chronik-der-mauer.de

www.denkmallandschaft-berliner- mauer.de

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