Homepage: Leidenschaft heißt auch leiden
Preisgekrönte FH-Designerin Judith Schalansky zeigt Projekt zur Frakturschrift auf der Buchmesse
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Lesen ist nicht nur das Verstehen von zusammenhängenden Wörtern in einem Buch. Lesen ist Kunst. Schöne Kunst. Wenn die Potsdamer Fachhochschulstudentin Judith Schalansky ein Buch kaufen will, dann schaut sie zum Beispiel „automatisch“ auf den Zeilenabstand. Wenn der für ihr Auge nicht passt und zu klein oder groß wirkt, dann wartet sie auf eine neue Edition des Buches oder sucht nach den älteren Ausgaben. Judith Schalansky sagt selbst über sich, dass sie eine Berufskrankheit hat. Typografie, die Gestaltung von Seiten mit Schrift, Bildern, Linien und Flächen. Doch die Kommunikationsdesign-Studentin hat mit dieser Marotte für das möglichst Lesbare jüngst eines ihrer selbst entworfenen Bücher prämiert bekommen.
Ihre Arbeit für die 21. Ausgabe des traditionsreichen Designtheorie-Magazins „form+zweck“ wurde von der Stiftung Buchkunst im vergangenen Dezember als eines der 43 „schönsten deutschen Bücher 2005“ prämiert. Der nächste Ruhm könnte bald folgen. Denn nun wird das neue Projekt von Schalansky auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt: „Fraktur mon Amour“, heißt es. Und soll eine Liebeserklärung an die „gebrochenen Schriften“ in 648 Seiten sein.
Wenn die 25-Jährige über die jeweils drei Monate ihrer Arbeit an den beiden kreativen Großprojekten spricht, dann klingt das auch wie ein Kampf – gegen die Müdigkeit, gegen Ideenlöcher, letztlich gegen den eigenen Kopf. „In dem Wort Leidenschaft steckt nicht umsonst der Begriff Leiden“, sagt sie. Denn bei der Arbeit mit Text und Bildern sind eben nicht nur Ideen wichtig, meint sie. Irgendwann müssen alle Einfälle umgesetzt werden. „Da braucht es dann einfach die Kraft durchzuhalten.“
Bis tief in die Nacht hat sie an den beiden Büchern jeweils gearbeitet, monatelang. Bei dem prämierten Buch für das „form+zweck“-Magazin hatte sie die Aufgabe, viele Texte in ein schwarz-weißes Umfeld zu packen, ohne dabei eine öde Buchstabenwüste zu erschaffen. Denn Lesen soll ihrem Anspruch nach „sinnliche Freude“ bereiten. Schalansky hat dafür große weiße Flächen freigehalten, die Buchstabenmasse in dem Heft hat Luft zu atmen. Bilder lockern die Texte auf, bei denen durchweg spezielle Themen wie die Arbeitsmarktsituation von Designern angesprochen werden. Das Schwarz-Weiß-Design bezeichnet die junge Frau dabei als eine bewusste Haltung: edel, nicht ärmlich oder austauschbar sollte das Magazinbuch wirken.
Im vergangenen Juli war Judith Schalansky mit dem Projekt fertig. pünktlich vor den Semesterferien der Fachhochschule. Denn eigentlich soll die in Berlin lebende Designerin ja studieren. Doch gleichzeitig verlangen die Studienordnung und zukünftige potenzielle Auftraggeber so viel Praxiserfahrung wie möglich. „Es ist immer wieder schwer sich nach so viel praktischer Arbeit wieder zurück in das Hochschulleben zu finden“, sagt sie. Und spricht von Fragen, die sie gestellt bekommt, wie sie alle Studenten irgendwann einmal hören: Wie weit bist du? Wann wirst du fertig?
Doch gerade eine kreative Arbeit nebenbei lässt das Erwerben von Leistungsnachweisen an der FH schnell in den Hintergrund treten. So war es mit dem Buch über Frakturschriften, dass nun erscheint. Schalansky sagt, sie sei schon immer fasziniert von dieser Art Buchstaben gewesen, die verschnökelt und verschlungen in Laienkreisen „altdeutsch“ genannt werden. „Ich wollte diese oft fälschlich als Nazischrift bezeichneten Schriftarten würdigen, schließlich feiern sie gerade ihr Comeback“, sagt sie. Etwa bei der Werbung von Nike oder Reebok. Jeder Art von Frakturschrift hat sie eine Doppel-Seite gewidmet: Jeweils ein geordnetes Alphabet steht neben einem obskuren Muster aus der Schrift. Mehr als 600 Seiten hat sie so gestaltet. Sie sagt, dass die letzten drei Wochen vor der Abgabe „schlimm“ waren. Ausnahmezustand in der eigenen Wohnung, die zum Büro wurde. „Die sozialen Kontakte sind in solchen Phasen gleich null, ein gewisser Zustand der Verwahrlosung setzt ein“, sagt Schalansky lächelnd.
Jetzt hat sie wieder etwas mehr Freizeit. Ganz nebenbei erwähnt sie an dieser Stelle ein zusätzliches Kunstgeschichte-Studium an der Freien Universität Berlin. Doch nun soll erst einmal das FH-Studium abgeschlossen werden, sie braucht nur noch „ein paar“ Scheine. Wie lange also noch die tägliche Fahrt mit dem Zug nach Potsdam? Ihre Antwort zeigt, dass sie es nicht genau weiß – und auch dieser Lebensabschnitt ein kreativer Prozess sein wird, mit ungewissem Ausgang. „Ich fange an, fertig zu werden.“
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