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Landeshauptstadt: „Leistungssportler sind psychisch stabiler“

Der Sportpsychologe Ralf Brand über seine Studie zur Gesundheit von Schülern an den Brandenburger Spezialschulen, die Herausforderung an Eltern, deren Kinder sportliche Weltklasse werden sollen – und wie Abbrecher das Schulklima verbessern

Stand:

Herr Brand, Sie sind Professor an der Universität Potsdam und leiten das Landesteam Sportpsychologie, das unter anderem für die Betreuung der Spezialschulen in Brandenburg zuständig ist. Warum müssen junge Sportschüler psychologisch begleitet werden?

Weil sich die Sportpsychologie als ganz wichtiger leistungsbestimmender Baustein etabliert hat. Die Leistungsdichte im internationalen Spitzensport ist so groß geworden, dass es oftmals die Kleinigkeiten sind, an denen es hängt. Das gilt für Weltklasseathleten genauso wie für unsere besten Nachwuchssportler. Wenn Sie in die Endkämpfe wichtiger Meisterschaften schauen, dann sind mit Blick auf Athletik, Taktik oder Spielverständnis die Unterschiede zwischen einzelnen Spitzensportlern und -mannschaften oftmals sehr gering. Sodass wirklich entscheidend sein kann, ob man im richtigen Moment seine volle Konzentration auf den richtigen Punkt aufbringen kann oder wie schnell die Sportler im Trainingsverlauf Neues aufnehmen können.

Das heißt, Sportpsychologie dient vorrangig der Leistungssteigerung?

Nein. Nicht vorrangig. Es wäre ganz schlimm, dagegen kämpfen wir als Berufsstand, wenn Sportpsychologie auf die Beiträge zur Leistungssteigerung reduziert würde. Sie dient vor allem auch der Gesunderhaltung im Sinne des subjektiven Wohlbefindens der Betreuten. Denn zum Leistungssport ist einiges an Willen und Anstrengung notwendig. Gerade Sportpsychologen bieten Schutzräume, um über Dinge zu reden, die man mit Erziehern im Wohnheim nicht anspricht oder die man eher mit seiner Familie besprechen würde, die aber nicht immer da ist.

Wie funktioniert die psychologische Betreuung an der Sportschule Potsdam?

Für die Schulleitung und die Lehrenden und die Schüler ist es transparent, dass es Sportpsychologen gibt, die angesprochen werden können. Es gibt offizielle Sprechzeiten und außerdem gibt es in der Sekundarstufe I von der siebten bis zur zehnten Klasse in jedem Schuljahr an jede Schulklasse gerichtet ein mehrtägiges Angebot, wo in Projektform Sportpsychologie angeboten wird.

Was wird da gelehrt?

In der 7. Klasse geht es darum zu erläutern, was Sportpsychologie kann und wie Schüler sie nutzen können. In den darauffolgenden Schuljahren werden die Grundlagen des Angebots vermittelt; also wie lässt sich die Konzentration steigern, wie kommuniziert man, wie motiviert man sich? Daneben besteht die Möglichkeit, dass die Lehrer Angebote bei uns abfragen, etwa: Es steht der erste große Wettkampf auf Bundesebene für die Klasse dort an, man setzt sich zwölf Wochen vorher zusammen und überlegt, was man den Schülern Besonderes dafür mitgeben könnte und das wird dann gemeinsam erarbeitet.

Nutzen die Schüler denn auch von sich aus das Angebot?

Die Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die von dem sportpsychologischen Angebot präventiv Gebrauch machen, ist im vergangenen Jahr zum zweiten Mal in Folge höher gewesen als die Anzahl derer, die mit einer konkreten Problemlage zu uns kamen. Wir bewerten das als Ausdruck dessen, dass Sportpsychologie nicht mehr nur damit assoziiert wird, erst hinzugehen, wenn man schon Schwierigkeiten hat, sondern dass es eine Ressource ist, zu der man als Leistungssportler auch vorausschauend greifen kann.

Sie haben kürzlich eine Studie zur psychischen Gesundheit von Schülern an Spezialschulen veröffentlicht. Das Ergebnis ist erstaunlich: Die Schüler kommen trotz hoher Belastung gut mit den Anforderungen zurecht – besser sogar als ihre Altersgenossen an Schulen, die keinen Leistungssport betreiben. Wie erklären Sie sich das?

Die Untersuchung ist in der Debatte verortet, ob Leistungssportförderung in Verantwortungsübernahme des Landes tatsächlich für eine gelingende und gute Entwicklung der Kinder Sorge trägt. Schadet es also den Kindern und Jugendlichen, wenn sie noch neben der Schulausbildung vor allem solche Zeitumfänge auf sich nehmen müssen? Und wir können jetzt zeigen, dass Kinder, die regelmäßig an Spezialschulen Leistungssport treiben, im Hinblick auf die wichtigsten Symptome psychischer Gesundheit in der Tat gesünder und stabiler sind als Kinder, die keinen Leistungssport treiben.

Welche Gründe kann das haben?

Das kann zwei Gründe haben. Der eine Grund kann sein, dass Leistungssport dazu führt, dass die Kinder zusätzlich profitieren, beispielsweise an Selbstvertrauen und Persönlichkeit hinzugewinnen. Der andere Grund könnte aber auch sein, dass es diejenigen sind, die den Schritt an eine Schule des Leistungssport geschafft haben, weil sie eben so stabil sind. Zu der Frage, was dort ursächlich ist, kann die Studie keine Aussage machen und dazu gibt es auch keinerlei Daten in der Psychologie oder in der Sportwissenschaft.

Welche psychischen Symptome zeigen die Kinder und Jugendlichen in Ihrer Studie?

Das unterscheidet sich bei Jungen und Mädchen. Bei Jungen ist es oft soziale Angst, die Sorge, nicht zu genügen und zu versagen. Bei Mädchen auch erhebliche Niedergeschlagenheit, Traurigkeit aufgrund einer Erfahrung des Scheiterns. Gleichermaßen beobachten wir bei beiden eine besondere Empfindlichkeit gegenüber tatsächlichen oder eingebildeten körperlichen Beschwerden.

In den kommenden Monaten müssen sich Eltern und Kinder für eine weiterführende Schule entscheiden. Wie können Eltern feststellen, ob der Besuch einer Sportschule günstig für das Kind wäre?

Eine realistische Einschätzung darüber, ob das Kind tatsächlich die Anlagen mitbringt, das zu schaffen, im Sinne einer leistungssportlichen Karriere – ohne eine Aussage, wie lange die dauern wird –, das ist das Allerwichtigste. Kinder lassen sich sicherlich schnell begeistern, wenn sie im eigenen Verein die Erfahrung gemacht haben, besonders gut zu sein. Für die Eltern aber ist es wichtig, sich so gut wie möglich rückzuversichern, dass es der Wunsch des Kindes ist, und dass sie es dem Kind zutrauen. Nicht gering zu schätzen ist sicherlich die Einschätzung der Trainer und des Fachpersonals an den Sportschulen.

Worauf müssen die Eltern achten, wenn das Kind eine solche Schule besuchen soll?

Schüler an solchen Eliteschulen des Sports haben weniger Freizeit als andere, die nicht Leistungsport treiben. Insofern ist es für solche Kinder und Jugendliche besonders wichtig, dass sie eine ausreichende Anzahl an Freundschaften und sozialen Beziehungen entwickeln, und dass diese, wenn es weniger sind, von Qualität sind. Viele psychische Probleme entstehen erst gar nicht, wenn die Möglichkeit besteht, auf ein Netz sozialer Unterstützung zurückgreifen zu können und sozial gut eingebunden zu sein – auch außerhalb des Leistungssports.

Wann würden Sie von einer Sportkarriere abraten?

Wenn das Kind und auch andere, die das Kind beurteilen können, Zweifel haben, ob die sportliche Leistungsfähigkeit, also das Talent ausreicht. Leistungssport ist etwas Kompetitives, etwas Hochselektives. Es wird kein Schüler davon ausgehen, dass er auf jeden Fall Olympiasieger wird, wenn er auf solch eine Schule geht. Man weiß natürlich, dass es nicht reichen kann. Aber wichtig ist, dass Schüler in ihren ersten Jahren das Gefühl entwickeln können, dass sie vielleicht dazu in der Lage sein könnten. Jemand, der von Anfang an zweifelt, trägt ein größeres Risiko, Schwierigkeiten im Psychischen zu entwickeln.

Es ist also nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit sondern auch die psychische Stabilität zu berücksichtigen?

Genau. Wenngleich: Wenn Sie in diese Schulen hineinschauen, dann gibt es natürlich sportliche Konkurrenz, aber sie erleben dort nicht weniger Freundschaft und gutes Miteinander als in jeder anderen Schulklasse auch. Der Druck erwächst nicht dadurch, dass die Schüler nebeneinander sitzen und um den letzten verbliebenen Platz in der Mannschaft konkurrieren, sondern dass ihre Schulkameraden, mit denen sie täglich zu tun haben, bei vielen vielleicht auch die besten Freunde sind – diejenigen sind, bei denen es klappt, während es bei einem selber eben nicht klappt.

Was ist, wenn das Talent nicht reicht?

Die Schulen bieten ein großes Angebot für Schüler, die aus dem Leistungssport ausscheiden. Häufig sind es dann sogar die Schüler und Schülerinnen, die nicht mehr durch den Leistungssport eingebunden sind, die dafür sorgen, dass diese Schulen menschlich bleiben und alle eine intakte Schulwelt vorfinden. Für diese Personen sind die Schulen auch gebaut. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sie in erster Linie Bildungseinrichtungen sind. Im Vordergrund steht die schulische Ausbildung. Da Leistungssport notwendigerweise auch Drop-outs produziert, bleibt deswegen nicht ein trauriger Rest, der die Schule zu Ende machen muss. Sondern es entsteht eine Gruppe, die auch wertvoll für diese Schule ist.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

Ralf Brand, Jahrgang 1971, ist promovierter Sportpsychologe. Seit 2008 leitet er die Professur für Sportpsychologie im Exzellenzbereich Kognitionswissenschaften an der Universität Potsdam.

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