Homepage: „Lernen, die Privatheit zu schützen“
HPI-Chef Christoph Meinel über Vertrauen im Internet, Datenspuren und die Welt der Maschinen
Stand:
Herr Meinel, Sie haben am HPI eine Tagung zum Vertrauen im Internet organisiert. Wie weit geht Ihr Vertrauen im Netz, etwa bei Online-Geschäften?
Dabei sollte jeder misstrauisch sein. Das ist für die Interaktion mit technischen Systemen eine ganz wichtige Botschaft. Beim Online-Banking ist es heute bereits oft so, dass Kunden ihre Bank nur über das Internet kennen gelernt haben. Bisher kannte man Menschen, die dahinter stehen. Nun findet oft der gesamte Geschäftsvorgang virtuell statt. Das HPI hat nun zusammen mit internationalen Fachleuten über das Trust-Management diskutiert, das es auch in der maschinellen Kommunikation erlaubt, Vertrauensbeziehungen zu entwickeln.
Oft weiß man gar nicht mehr, mit wem man kommuniziert.
Richtig. Und die Systeme im Internet kommunizieren auch untereinander. Um dem Kunden einen Wunsch zu erfüllen, sind am Ende mehrere eigenständige Systeme involviert. Auch zwischen diesen technischen Systemen muss es Möglichkeiten geben, einzuschätzen, wie vertrauenswürdig ein angebotener Service ist. Die Bezahlsysteme laufen meistens bei einem Drittanbieter, auch der muss sicher sein. Die Kreditwürdigkeit ist eine weitere Frage. Auch die Beziehung der beteiligten Anbieter untereinander muss verlässlich und zuverlässig sein. Um den Nutzer zu schützen, müssen Informationen über die Vertrauenswürdigkeit von Diensten und Anbietern bereitgestellt werden, auf die ein Trust-Management aufbauen kann.
Wann sollte sich eine solche Schranke einschalten?
Bei Informationssystemen verbindet man formalisierte Zugänge, also Passwort und Benutzernamen mit Sicherheit. Bevor es aber soweit kommt, einen Account mit Nutzernamen und Passwort einzurichten, passiert ja auch schon einiges. Um diese Vorphase der noch nicht formal abgesicherten Kommunikation geht es uns, dazu soll ein Vertrauens-Management geschaffen werden. Die Frage ist etwa, ob es sich beispielsweise um eine ehrliche E-Shopping-Seite handelt, oder ob der Anbieter nur meine Daten ausspionieren will, indem er mir ein interessantes Angebot vorgaukelt.
Betrug hat es schon immer gegeben.
Klar, aber der Unterschied ist, dass in der zwischenmenschlichen Kommunikation eine Einschätzung des Gegenübers möglich ist. Man trifft sich, sieht sich, wechselt ein paar Worte und dabei baut man eine Vertrauensbeziehung auf, oder man wird eben misstrauisch. Das geht sehr schnell. Das Problem im Internet ist, dass sich dies auf eine Kommunikation von Maschine zu Maschine verlagert. Es gibt keinen ersten Eindruck, man hört nicht die Stimme, sieht nicht die Mimik des anderen. Um herauszubekommen, wie man Vertrauensbildung in die Welt der Maschinen und ihre Kommunikation übertragen kann, muss man erst einmal genauer verstehen, wie das bei uns Menschen funktioniert, und dann fragen, wie diese Mechanismen zwischen Menschen auf Maschineninteraktion übertragen werden können.
Wo wollen Sie dabei ansetzen?
Ein wesentlicher Aspekt der Vertrauensbildung ist die Reputation. Wenn wir beispielsweise von verschiedenen Nachbarn hören, dass ein Handwerker seine Arbeit immer ordentlich ausgeführt hat, dann ist der Zugang zu ihm leichter als bei einem Unbekannten. Die Frage ist nun, wie man Reputation in der Welt der technischen Systeme aufbauen und messen kann. Erste Ansätze dazu im Internet sind die Gefällt-Mir-Option oder auch Empfehlungen. Dabei werden dann auch Punkte-Skalen verwendet, um differenzierter bewerten zu können. Das ist beispielsweise ein Ansatz für das Trust-Management.
Was macht die Sache so kompliziert?
Im persönlichen Umfeld weiß man, von wem die Empfehlung kommt und schätzt sie danach ein. Wenn mir jemand ohne Geschmack ein Restaurant empfiehlt, nehme ich das nicht ernst. Genau so eine Ebene muss nun in den technischen Systemen eingezogen werden. Denn hier kenne ich diejenigen nicht, die mir ein Hotel oder Restaurant empfehlen. Es könnte sogar sein, dass der Hotelbesitzer selbst sein eigenes Haus lobt. Hier helfen dann Mengenbeziehungen weiter, also wenn viele Personen das empfehlen, dann gibt es eine Mischung aus lauteren und unlauteren Aussagen. So etwas in der Welt der Technik, in der Server miteinander kommunizieren, nachzuempfinden, ist nicht ganz einfach. Das ist ein Forschungsfeld, das gerade erst im Entstehen ist.
Das Internet weiß heute schon mehr über uns, als wir denken.
Das hängt auch davon ab, welchen Anbietern ich mein Vertrauen schenke. Wenn ich mir beispielsweise von Google Suchanfragen beantworten lasse und gleichzeitig den E-Maildienst von Google nutze, können die Daten im Hintergrund zusammengebracht und verknüpft werden: Wonach sucht derjenige und mit wem kommuniziert er über was. Wenn man sich etwa über eine Krankheit informiert hat, kann dann ungefragt Werbung für eine bestimmte Medizin geschickt werden. Es kommt also darauf an, wie die Anbieter mit unseren Daten umgehen.
Man hat kaum die Wahl.
Dass ein kostenloser Email-Dienst über etwas finanziert werden muss, liegt auf der Hand. Dann muss man sich selbst fragen, worüber der finanziert wird. Die Nutzer müssen sich bewusst sein, dass die Datenspuren, die wir im Internet hinterlassen, wenn wir die Segnungen des Internets nutzen, ausgewertet sehr wertvoll sind. Man freut sich, wenn man auf ein Restaurant in der Nähe hingewiesen wird, aber das geht nur, wenn das System weiß, wo ich gerade bin. Wir müssen uns im Klaren sein, dass solche Angebote nur möglich sind, wenn unsere Daten bekannt sind.
Eigentlich also völliges Neuland, in dem wir uns ungeschützt bewegen.
So ist es. Wir müssen erst lernen, unsere Privatheit selbst zu schützen. Wir haben keine historischen Vorbilder für den Umgang mit der über das Internet erreichbaren digitalen Welt. Wir bewegen uns in einer fremden, noch nie dagewesenen Welt. Plötzlich können wir Bilder und Gedanken fast mit Lichtgeschwindigkeit um die Welt schicken. Dabei hinterlassen wir aber notwendig auch elektronische Spuren, die leicht zu verfolgen sind. Früher hat es dazu langwierig Detektivarbeit gebraucht, heute ist das alles sehr leicht nachvollziehbar.
Was kommt da noch auf uns zu?
Durch das Internet ist zu unserer physikalischen Welt eine digitale Welt hinzugekommen, in der wir Schatten erzeugen. Unsere Bilder, E-Mails, Gedanken: Wir gewinnen eine zusätzliche Existenz im Netz, Bilder etwa bleiben bestehen, sie vergilben nicht mehr. Den Umgang mit diesen digitalen Schatten können wir nicht in einer Generation erlernen. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass unser Handeln sehr viel stärker nachvollziehbar wird. Und wir müssen darüber nachdenken, wie wir damit umgehen. Es geht dabei um die Frage, wie wir uns in dieser Welt ein Stück Privatheit sichern. Vergleichen Sie es mit den Dampfmaschinen, die nach ihrer Erfindung auch noch jahrelang explodiert sind. So geht auch im Internet heute noch sehr vieles schief, weil wir noch nicht den richtigen Umgang mit dieser digitalen Existenz gefunden haben.
Ein Medienwissenschaftler hat unlängst gesagt, dass der Aussteiger von morgen offline geht.
Ich kenne niemanden, der es schafft, alles abzuschalten. Das wäre wie ins Kloster zu gehen, sich von der Außenwelt komplett abzuschotten. Das hilft aber nicht bei der Bewältigung unseres täglichen Lebens. Da müssen wir lernen, wie wir mit der ständigen Beschleunigung, hervorgerufen durch die aus der digitalen Welt auf uns einströmenden Daten und Informationen, umgehen. Denn das ist oft nur schwer mit unserer physikalischen Existenz in Einklang zu bringen.
Wie meinen Sie das?
Der Mensch in seiner Körperlichkeit ist nicht so schnell, wie uns Rechner und Internet immer neue Informationen und Handlungsalternativen bieten. Wir müssen immer schneller immer mehr Information verarbeiten. Das muss man lernen. Es kann sein, dass dies unsere Gehirne verändert. Es kann auch sein, dass dies bestimmte Krankheiten fördert, oder andere abschwächt. Den Gang der Entwicklung können wir als Einzelne nicht aufhalten. Im Gegenteil, die Menschen können in Zukunft über das mobile Internet noch mehr Informationen und Angebote aus dem Netz nutzen, weil die Geräte immer kleiner werden und in unsere Kleidung, Wohnungen und Autos hineinwachsen. Man muss sich als Einzelner in dieser Welt positionieren.
Eine enorme Herausforderung also.
Das interessante für uns: Wir stehen mit am Anfang dieser Entwicklung. Das gibt uns die Chance, sie ein Stück weit mitzugestalten.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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