Nahverkehr in Potsdam: Lob für die Idee des Bürgerfahrscheins
Für seinen Vorschlag eines ticketfreien Nahverkehrs erhält Oberbürgermeister Jakobs viel Unterstützung. Die AfD sprach dagegen von einer "Ökodiktatur".
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Potsdam - Ein Bürger-Fahrschein für Potsdam? Die Ankündigung von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), für die Stadt einen über eine Pflichtgebühr finanzierten ticketfreien Nahverkehr prüfen zu lassen, hat am Dienstag für positive Reaktionen gesorgt. „Wir würden so ein Modell befürworten“, sagte etwa der Grünen-Klimaexperte und Fraktionsgeschäftsführer Andreas Walter den PNN. Auch CDU-Fraktionschef Matthias Finken sagte, einer Prüfung so eines Tickets stehe er „grundsätzlich positiv“ gegenüber.
Lob, wenn auch etwas vergiftet, kam von der Fraktion Die Andere: „Erfreut entnahmen wir der Presse, dass OB Jakobs ankündigt, die Forderungen unserer Wählergruppe für eine alternative Verkehrspolitik umzusetzen.“ Denn schon vor einem Jahrzehnt habe man vorgeschlagen, den Nulltarif in Bus und Tram einzuführen und Deckungslücken mit einer Nahverkehrsabgabe zu schließen, teilte die Wählergruppe bei Facebook mit. Auch der Ex-Linke-Kreischef Sascha Krämer, der mehrfach ein ähnliches Modell vorgeschlagen hatte, begrüßte den Vorstoß und schlug eine repräsentative Bürgerbefragung vor – „um herausfinden, unter welchen Bedingungen ein fahrscheinloser Nahverkehr für die Potsdamer akzeptabel wäre“. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn hatte erklärt, so könnten mehr Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr bewegt werden. Die AfD sprach dagegen von einer „Ökodiktatur“.
Für Potsdam sind noch viele Fragen offen
Wie berichtet hatte Oberbürgermeister Jakobs am Montag bei der Vorstellung der neuen Klimaschutzziele der Stadt auch die Prüfung eines ticketfreien Nahverkehrs angekündigt, bei dem alle Einwohner der Stadt eine monatliche Pflichtgebühr für die freie Nutzung von Bussen und Trams zahlen. Anlass für den Vorstoß sind auch die zunehmenden Probleme mit dem Autoverkehr in der schnell wachsenden Stadt. Auch in anderen Kommunen sind solche Ideen debattiert worden, auch der rot-rot-grüne Senat im benachbarten Berlin will eine solche „solidarische Umlagefinanzierung“ von Gutachtern prüfen lassen. Erst vor wenigen Tagen hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace in einem Beitrag ihres Magazins auch das Modell eines ticketfreien Nahverkehrs in der estnischen Hauptstadt Tallinn gewürdigt – anders als gestern berichtet ist dies nicht gescheitert. Dort müssen Anwohner für die Nutzung von Bussen und Bahnen zwei Euro plus höhere Steuern zahlen, Touristen zahlen die regulären Preise. Andere Städte dagegen scheiterten, wie auch Greenpeace einräumt – weil die Zahl der Fahrgäste und damit die Kosten explodierten. In Tallin selbst seien acht Prozent der Einwohner vom Auto auf Bus oder Bahn umgestiegen, hieß es in dem Beitrag.
Bei dem Modell für Potsdam wären noch viele Fragen offen, etwa wie Touristen bei einem ticketfreien Nahverkehr zur Kasse gebeten werden können. Ebenso ist die Frage, wie und ob die Zehntausenden Pendler beteiligt werden, die täglich zwischen Berlin und der Landeshauptstadt unterwegs sind. Jakobs hatte deutlich gemacht, dass ein Bürgerticket für den Nahverkehr nicht kurzfristig umsetzbar sei, sondern mit der Landesebene und dem Verkehrsverbund in der Region umfangreich abgestimmt werden müsse.
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Ganz neu ist die Idee ja nicht: der ticketfreie öffentliche Nahverkehr. Dennoch ist es richtig, dass Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs jetzt auch dieses Modell auf den Prüfstand stellen will, meint PNN-Autor Marco Zscieck in seinem Kommentar.
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