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Von Jana Haase: Lübke und die Schweine

Seit sechs Jahren ist Herbert Lübke Stadtjäger, davor lebte er auch in Sibirien. Heute sagt er, tun ihm die Schweine manchmal leid

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Als Herbert Lübke eintrifft, liegt der Verkehr lahm. Es ist Nacht an der Nutheschnellstraße und weder Blaulicht noch Hupen und Sirenen haben etwas genützt. Die Polizisten können nur hilflos zuschauen, wie eine ausgewachsene Bache seelenruhig Strohbüschel von einer Straßenseite zur anderen trägt und die Straße blockiert. Ein Fall für den Stadtjäger. Herbert Lübke steigt aus seinem Pickup und erspäht die Sau sofort an der Böschung: „Da steht sie ja“, sagt er. Und dann passiert, was Lübke schon oft beobachtet hat: Die Wildsau bläst vor Aufregung laut schnaubend, lässt auf der Stelle das Heu fallen und verschwindet. „Die Schweine erkennen mich an der Stimme“, glaubt der 56-Jährige: „Sobald ich was sage, sind die weg.“ Die Flinte bleibt in dieser Nacht im Wagen.

Geschichten wie diese hat Herbert Lübke viele erlebt. Und er erzählt sie gerne. Das verraten die lebhafte Gestik und die strahlenden Augen des 56-Jährigen in der beigefarbenen Outdoor-Kluft. Lübke und die Schweine, das ist eine Art Wettkampf. Dabei hat Lübke großen Respekt vor seinem Gegner. Und meistens den längeren Atem.

Aufgewachsen in einem Dorf bei Bremen verschlug es den gelernten Schlachter, Hafenarbeiter und Lkw-Fahrer in den 1990er Jahren unter anderem nach Sibirien, wo er zwei Jahre als „Jäger und Sammler“ lebte – und schließlich nach Potsdam. „Ich bin eher Nomade als sesshaft“, sagt Lübke. Seinen Unterhalt verdient er mit dem Handel von Holz-Paletten. Nebenbei ist er Potsdams Stadtjäger. Seit sechs Jahren schon.

„Ich habe einfach „ja“ gesagt und wusste gar nicht, worauf ich mich da einlasse“, erinnert sich Lübke an den Anruf damals vom Kreisjagdverband. Es ist ein Ehrenamt, das sich der Hobbyjäger mit zwei Stellvertretern teilt, als Entschädigung gibt es eine Kilometerpauschale von der Stadt. Die Hauptaufgabe: Dafür zu sorgen, dass sich Wildschweine und Füchse nicht im Stadtgebiet ausbreiten. Keine einfache Angelegenheit, wie das Beispiel Kleinmanchnow zeigt: Dort sind die Wildschweine zur Plage geworden und verwüsten regelmäßig Gärten.

Auch die Landeshauptstadt hatte ernste Probleme mit den Tieren, erinnert sich Lübke an seine Anfangszeit: „In Waldstadt gab es so viele Schweine, dass sich die Leute nachts nicht mehr rausgetraut haben“. In Klein Glienicke hätten die Schweine heimkommende Anwohner am Abend an der Bushaltestelle erwartet. „Die hatten jede Scheu verloren und sind den Leuten an die Einkaufstaschen gegangen“, erzählt Lübke. Und durch Babelsberg marodierte eine Rotte von fast 60 Tieren: „Die waren schon 15 Uhr unterwegs!“ Lübke schüttelt den Kopf.

Mittlerweile meint er die Wildschweine im Griff zu haben. Die Zahl der Tiere habe in den vergangenen Jahren um zwei Drittel abgenommen, schätzt Lübke. Wie viele Stunden er dafür auf der Pirsch war, an wie vielen Wochenenden er durch die Gärten gezogen ist auf er Suche nach den Schweinen und wie viele Tiere er dabei erlegt hat, all das kann Lübke nicht sagen. Aber in solchen Zahlen wäre seine Arbeit auch nicht messbar: Denn manchmal reiche schon eine gestreckte Leitbache, um die ganze Horde zu verunsichern und dauerhaft aus der Siedlung zu vertreiben. „Schweine haben ein gutes Gedächtnis“, weiß der Stadtjäger.

Was mit den geschossenen Tieren passiert? „Die werden gegessen“, sagt Lübke: „Von mir oder von Freunden.“ Dafür hat der 56-Jährige sogar einen Wildkühlschrank im Haus: Darin hängen die Tiere eine Woche lang ab, bevor Lübke sie weiterverarbeitet. 92 Kilo brachte sein bisher schwerster Fang auf die Waage. „Das ist Biofleisch, ohne Zusatzstoffe“, sagt Lübke.

Aber es geht ihm nicht nur um die Wildschweine. Der Ehrenamtler ist Ansprechpartner für alle möglichen Tier- Probleme, auch um eine „grüne Schlange“ hat er sich schon gekümmert. Die hatte eine Sekretärin der Uni im Neuen Palais entdeckt und die Polizei alarmiert. Wieder ein Fall für den Stadtjäger. Es sei ihm mulmig gewesen auf der Fahrt zum Neuen Palais, gibt Lübke zu. Als er das Tier dann sah, konnte er jedoch aufatmen: Es handelte sich um eine 20 Zentimeter lange junge Ringelnatter. „Ich habe sie in einen Karton gepackt und wieder nach draußen gebracht“, sagt Lübke und lacht.

Dass Städter manchmal Nachhilfe in Sachen Tiere brauchen, erlebt er oft: Ob es der Igel ist, der im Gartenzaun festklemmt oder das Vogeljunge auf dem Waldboden. Meistens hat Lübke dann einen einfachen Tipp: Den Igel etwa sollte man am besten in Ruhe lassen, weil er sich dann wieder auseinanderrollt und mühelos aus dem Zaun kommt. Ein Vogeljunge sollte man dort lassen, wo man es gefunden hat. Als Schutz vor Katzen nimmt man es vom Boden und setzt es in den nächsten Busch. „Die Eltern füttern das Junge auch, wenn es nicht im Nest sitzt“, weiß Lübke.

Stadtjäger gibt es in vielen deutschen Städten. Berlin leistet sich 30, Hamburg sogar 130 Ehrenamtler für die Aufgabe der „Gefahrenabwehr durch Wild“. Eigentlich darf in Wohngebieten nicht geschossen werden, erklärt Herbert Lübke. Deswegen weiß die Polizei immer Bescheid, wenn er unterwegs ist. Auch die untere Jagdbehörde muss Lübke jeden Monat über seine Aktivitäten informieren. Damit er im Einsatz leicht zu erkennen ist, trägt er eine orangefarbene Weste. Nach seiner Genehmigung werde er trotzdem häufig gefragt.

Was er von dem langen Mann in Shorts halten sollte, der plötzlich vor ihm stand und die Videokamera auf ihn richtete, wusste Lübke allerdings nicht gleich. Im März diesen Jahres war das, Lübke hatte gerade eine Bache erlegt, der er seit Tagen auf den Fersen gewesen war. In einem Garten am Griebnitzsee hatte er das verletzte Tier aufgespürt und zur Strecke gebracht. „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“, fragte ihn nun der Mann hinter der Kamera, der sich gleich darauf als BILD-Chef Kai Diekmann vorstellte. Der Film mit der Jagdszene ging als Video- Blog online. „Wildschweine haben in der Stadt nichts zu suchen“, stand am nächsten Montag in der BILD-Zeitung: „Deshalb schieße ich sie ab.“

Lübke steht zu solchen Aussagen. Obwohl er manchmal auch Zweifel bekommt. Dann ärgert es ihn, wenn sich Leute, die ihr Haus „wegen der Natur“ in Potsdams neuen Ortsteilen haben bauen lassen, über ein Wildschwein im Garten aufregen: „Die Schweine sind viel länger hier als die Menschen“, sagt Lübke. Der Platz für die Tiere sei in den letzten Jahren wirklich knapp geworden, erklärt er und klingt plötzlich richtig besorgt: „Eigentlich tun sie mir auch leid, die Schweine.“

Vielleicht hört Lübke irgendwann auf mit dem Job, so wie er damals keine Lust mehr auf den Schlachterberuf hatte, als sich die Massentierhaltung durchsetzte und plötzlich immer mehr Fleisch her sollte. Schließlich ist das Jägerehrenamt auch sehr zeitaufwendig. Für seine Hobbys, Touren mit dem Rad oder im Wanderkajak, hat der 56-Jährige kaum noch Muße. Zumindest am Osterwochenende soll die Büchse im Keller bleiben. „Ich arbeite im Garten“, sagt der Stadtjäger. Und am Sonntag wird gegrillt. Wildschwein natürlich.

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