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Landeshauptstadt: Mädchendisko und Murmelbahn

Potsdamer Schüler bauen Erinnerungslandschaft „Kindheit in Brandenburg“ als Rauminstallation

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Man kann nur hoffen, dass sich keine Putzkolonne hierher verirrt. Denn was auf den ersten Blick wie eine Materialschlacht aus Packpapier und Klebeband aussieht, ist tatsächlich Kunst und kann nicht weg, um es mit den Worten des Komikers Mike Krüger zu sagen.

Drei Wochen lang haben im Schaufenster der Fachhochschule Potsdam 75 Schüler der Goethe-Gesamtschule und des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, der Steuben-Gesamtschule und der Montessori-Oberschule an Papierinstallationen gearbeitet. Jede Klasse hatte für eine Woche den Raum für sich, bis nun das Untergeschoss, ein Versammlungsraum mit karger, fast roher Ausstattung nicht mehr wiederzuerkennen ist.

Der Auftrag des Schüler-Kunst-Projekts: Entwickle eine große Rauminstallation zum Thema „Spiel und Ernst, Ernst und Spiel – Kindheit in Brandenburg“, angelehnt an das gleichnamige Themenjahr von Kulturland Brandenburg. Der Verein hat neben der Stadt Potsdam und der Stiftung Großes Waisenhaus das Projekt finanziert, die Potsdamer Künstlerin Claudia Hajek unzählige Rollen braunes Packpapier, weißes Makulaturpapier, Malerfolie, bündelweise dickes Seil, dünnere Schnüre und viele Rollen Klebeband im Baumarkt eingekauft. Dieses Material und der nackte Raum mit seinen rohen Wänden und dem rauen Betonfußboden, was wie eine Fortsetzung der Baustelle vor dem Haus wirkt, bildeten die Ausgangssituation. Die Schüler sollten sich auf den Ort einlassen, ebenso Eigenschaften und Strukturen des Materials entdecken – und daraus Ideen entwickeln.

Am Dienstag, dem zweiten Tag für die Montessori-Schüler, ist von der Erinnerungslandschaft Kindheit schon viel erkennbar. Ein Stuhlkreis deutet darauf hin, dass hier auch theoretisch gearbeitet wird. Dort entstand der Bauplan für das Zelt-Haus, an dem gerade eine Jungsgruppe arbeitet. „Es sollte zu den Begriffen idyllisch, Wildnis und Freiheit passen“, sagt Jason. Die Wildnis um das Haus herum soll als Nächstes gestaltet werden. In Abgrenzung zum Projekt der benachbarten Mädchen, die eine „weiße Disko“ kreieren, haben sie einen Fluss geschaffen: mehrere Meter Malerfolie auf dem Boden drapiert und festgeklebt. Die Mädchendisko ist noch im Rohbau, doch eine Kugel hängt schon von der Decke. Etwas ganz anderes hängt bei Muriel, Marlene und Undine von einem Deckenhaken: eine große Spinne, innen Papier, außen Klebeband. Die meisten Mädchen wie auch sie selbst haben wohl Angst vor Spinnen, statuieren sie, und bauen schon am nächsten Gruseltier, einem kleinen Drachen.

Unendlich viele Ideen haben die Schüler bereits umgesetzt, und auch den letzten Teilnehmern, die in den bereits vollen Raum kommen, gehen sie nicht aus. Im Gegenteil, sagt Claudia Hajek, sie arrangieren sich mit dem Vorhandenen und suchen sich bewusst „nette Nachbarn“ , also Objekte, die zu ihnen passen, für ihre eigene Idee. Respektvoll bewegen sie sich durch die Kunstlandschaft ihrer Vorgänger, die ihr Kind-Sein auf jeweils ganz verschiedene Weise erinnern und künstlerisch umgesetzt haben: Kinderzimmer für Jungs und Mädchen, mit Papierbahnen zwischen Säulen abgegrenzt, teils mit mehreren Ebenen. Murmelbahn und Hängematte, kuschelige Buden und eine gruselige Dunkelkammer, die sie in einen langen, komplett lichtlosen Schacht hineingebaut haben. Dazwischen windet sich auf dem Boden ein Weg, geklebt aus Papierfetzen, teilt sich, führt mal in die Irre oder die Wand hoch: Wie es eben im echten Leben sei, fanden die Schöpfer.

Zur Vernissage am morgigen Freitag um 18 Uhr werden sich die Schüler zum ersten Mal alle sehen. Dass sie sich hier auf so viel Platz ausleben können, ist etwas Besonderes, findet Organisatorin Thea Moritz, Potsdamer Künstlerin, und empfiehlt: sich für die Ausstellung unbedingt viel Zeit nehmen und auf Entdeckungstour gehen. Steffi Pyanoe

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