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Der Verleger Herbert Ullmann.

© Manfred Thomas

ZUR PERSON: „Man merkte, dass es unter der Decke brodelt“

Verleger Herbert Ullmann über Potsdams Verlockungen, eine Überforderung seiner Einwohner und die Kunst, heute noch Bücher zu verkaufen

Stand:

Herr Ullmann, Sie sind Anfang 2010 mit Ihrem Verlag von Königswinter nach Potsdam gezogen. Die Stadt habe eine besondere Aura, verkündeten Sie. Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Ich fühle mich mit meiner Familie in Potsdam sehr wohl. Ich bin ein historisch sehr interessierter Mensch, deswegen finde ich es hier sehr ansprechend. Potsdam ist ein Freilichtmuseum der deutschen Geschichte.

Hat das Einfluss auf Ihre Arbeit?

h.f.ullmann ist unser internationaler Publikumsverlag. Für ihn konnten wir in Potsdam Mitarbeiter gewinnen, die wir in Königswinter wahrscheinlich nicht bekommen hätten. Wir haben hier mehr als 20 Menschen eingestellt. Allerdings haben uns auch mehr als zehn Mitarbeiter verlassen und sind wieder ins Rheinland gezogen.

Warum das?

Es hatte auch mit Verdienstmöglichkeiten zu tun. Die Mitarbeiter sind erst mitgekommen und dann wieder zurückgegangen, weil es hier für ihre Partner keinen adäquaten Job gab. In Köln beispielsweise ist der Gehaltsspiegel deutlich höher als in Potsdam. Wenn man Gehalt A und B addiert, muss man sich die Frage stellen, ob es nicht besser ist, zurückzugehen.

Doch Ihre Geschäfte haben sich in Potsdam gut entwickelt?

Wir sind hier mit zwei Unternehmen zu Hause: dem Tandem-Verlag und dem h.f.ullmann-Verlag. Wir haben sie jüngst voneinander getrennt. Vorher war Ullmann ein Imprint von Tandem, aber wir haben dies aufgelöst, da die Branche national und international immer schwieriger wird. Wir haben zwei Gesellschaften geschlossen, im vorigen Jahr die französische in Paris und Anfang diesen Jahres die Gesellschaft in Madrid. Die Geschäfte haben sich zum Teil nach Asien verlagert, und Südamerika und Skandinavien wachsen stabil. Wir entwickeln, produzieren und vertreiben unsere Bücher direkt in nahezu 40 Ländern in 15 verschiedenen Sprachen.

Und Sie produzieren für die Discounter in Deutschland und Europa.

Mit dem Tandem-Verlag, der eine Mischung aus Kreativagentur, Produktionsunternehmen und Vertriebsgesellschaft ist und auch hier in Potsdam sitzt. Für diesen Verlag wäre der Standort eigentlich egal gewesen - wenn auch selbst Großkunden wie Aldi neugierig sind, wenn sie erfahren, dass wir in Potsdam sitzen.

Das heißt, Potsdam ist ein Unternehmenswert?

Für h.f.ullmann auf jeden Fall. Insgesamt arbeiten jetzt hier 60 Mitarbeiter für uns. Wir haben uns im Onlinebereich verstärkt und verbessert - dank sehr kreativer Leute aus der Region. Ansonsten spricht es natürlich für die Stadt Potsdam, dass man sie beachtet.

Wie sehen Sie die Entwicklung Potsdams?

Die Entwicklung ist sehr positiv. Doch man merkt auch, dass hier noch eine besondere Stimmung vorhanden ist. Dies hat sich vor allem bei der Debatte um Hasso Plattners Kunsthalle im Stadtzentrum gezeigt. Mit dem Vorhaben hat man Menschen überfordert. Man merkte, dass es unter der Decke brodelt. Mir tat es dabei leid um Herrn Plattner. Jeder Mensch hat doch Emotionen.

Haben Sie anderswo ähnliches Engagement von Mäzenen erlebt?

Nein. Das ist vielleicht auch der Punkt. Oft ist es so, dass der Öffentlichkeit Gutes zugetan wird, wenn auch das eigene Interesse im Vordergrund steht. Sie werden Adam Smith kennen, den Moralphilosophen und Volkswirtschaftler, der Ende des 18. Jahrhunderts verstorben ist. Der sagte, dass das Interesse der Person im Vordergrund stehen muss. Sie muss nach ihrem eigenen Nutzen trachten, denn davon hat die Gemeinschaft meist mehr als von jenen, die vorgeben, für das öffentliche Wohl zu handeln.

Sie sagten, Potsdam sei vom Angebot Plattners überfordert gewesen.

Dass da jemand kommt, der der Öffentlichkeit Zugang zu einem Teil seines privaten Besitzes verschaffen will, das war einfach zu viel. Menschen dachten, Herr Plattner mache das nur, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Außerdem ist er von der Politik etwas instrumentalisiert worden – und dann stand er da. Dass Potsdam mit dem Angebot nicht umgehen konnte, hat aber auch etwas mit einer problematischen deutschen Verhaltensweise zu tun. Der Erfolg eines Unternehmers wird mitunter nicht gewürdigt. Da ist es besser, im Stillen zu agieren. Wenn alles fertig ist, öffnet man die Türen und alle sagen: „Das ist ja toll.“

Das deutsche Neidproblem?

Das ist vielleicht auch Unsicherheit. Vielleicht auch Misstrauen, Missgunst. In den USA und in China gibt es stattdessen ein Wir-Gefühl an den Orten, wo erfolgreiche Unternehmer ansässig sind. Mein Sohn Florian und ich können das aus Erfahrungen in den beiden Ländern beurteilen. Und durch dieses Wir-Gefühl entsteht kreative Energie.

Das fehlt hier?

Ja. Nicht nur in Potsdam. Aber hier ist es noch schärfer, noch kantiger, als ich das in anderen Ländern kennengelernt habe. Das ist Reliktdenken, dass man sagt, der hat es geschafft und der nicht.

Waren Potsdamer auch überfordert, weil das Hotel Mercure als DDR-Relikt fallen sollte?

Ob das Gebäude jetzt noch hilft, die alte Zeit besser verarbeiten zu können? Ich bin kein Psychologe. Meine Wahrnehmung war, dass das Mercure als Teil der DDR-Geschichte sehr gut für Populismus getaugt hat - samt der Emotionen der Menschen. Zudem wäre in der Diskussion eine andere Reaktion von den prominenten Potsdamern wie Günther Jauch und Wolfgang Joop gut gewesen. Zu sagen, Potsdam sei rückständig, der Fall Kunsthalle ein Trauerspiel, das war der falsche Tenor und fast eine Beleidigung der Bürger und Unternehmer der Stadt. Die beiden Herren haben das gut gemeint und wollten es anders platzieren, aber sie haben sich selbst damit in den Fokus der Kritik gerückt.

Zurück zum Verlagsgeschäft. Kann man in Zeiten von eBooks und Internet überhaupt gedruckte Bücher verkaufen?

Bücher müssen so gemacht werden, dass die Leute emotional erreicht werden und sie bereit sind, ein Buch für 100 oder 200 Euro zu erwerben, weil ihnen das keine digitale Verwertung bieten kann.

Man muss in die Extreme gehen?

Wir müssen in die exzeptionellen Extreme gehen. Das Mittelmaß fällt völlig weg.

Normale Bücher also?

Romane und Belletristik wird es immer geben, auch Kinderbücher. Aber es gibt ein großes Buchhandelssterben in Deutschland. Wir sehen bereits die extreme Entwicklung des Internethändlers Amazon in den USA. In Deutschland hat Amazon derzeit mehr als zehn Prozent Umsatzanteil beim Buchverkauf. In vier bis fünf Jahren werden es um die 20 Prozent des Gesamtumsatzes sein. Und die Menschen verlieren zum Teil die Beziehung zu Büchern. Die Emotionen, die das Buch bietet, zum Beispiel das haptische Erlebnis, das Anfassen, der Geruch, die lassen sich logisch nicht erklären.

Das bedeutet?

Wir müssen die Bücher exzeptionell machen. h.f.ullmann ist erfolgreich mit Büchern wie „Ars Sacra“ – es hat 800 Seiten, ist 29 mal 44 Zentimeter groß und bietet einmalige Fotografie. Auf „Ars Sacra“ folgt jetzt eine „Bibliothek der Kunstepochen“ vom Frühchristentum bis zur Moderne. Die ersten Bände „Gotik“ und „Barock“ sind bereits zum Preis von je 99 Euro erschienen. Die Menschen sind sehr interessiert am Transzendenten.

Ein Phänomen in Krisenzeiten.

Ja. In Zeiten von Finanz- und Wirtschaftskrisen, in denen die Leute weniger Halt haben, bieten die Bücher noch eine stabile Größe – wenn sie exzeptionell gemacht werden, so wie wir es machen. Wenn in Krisen der Verlässlichkeit das Bedürfnis nach Information und Orientierung wächst, gewinnt das besondere Buch an Bedeutung.

Ist diese Ausrichtung tragfähig?

Wir sind drei bis fünf Jahre im Vorfeld eines solchen großen Buchs beschäftigt. Das ist ein gigantisches Wagnis, es fallen einige Millionen Vorkosten an. Doch wir produzieren in verschiedenen Sprachen parallel, statten Verkäufer mit sehr aufwendigen Materialien aus. „Ars Sacra“ ist da unser erfolgreiches Referenzwerk.

Und wenn es bald kaum noch Buchhändler gibt, die Ihre außergewöhnlichen Bücher verkaufen?

Der Buchhandel ist eine Großbaustelle. Doch in den USA ist es noch schlimmer. Dort gibt es Universitätsstädte mit über 200 000 Einwohnern und keiner einzigen Buchhandlung. In Deutschland gibt es Städte wie Tübingen, Marburg oder Göttingen, die haben 50 000 bis 70 000 Einwohner und zum Teil mehr als zehn Buchhandlungen. Deswegen wird das eBook in Deutschland nicht einen solchen Erfolg haben. Wir haben immer noch mehr als 4000 geistige Tankstellen, also Buchhandlungen. Doch es werden dort spektakuläre Bücher fehlen. Daher braucht der Buchhandel die exzeptionellen Bücher und er setzt sich deshalb, schon im eigenen Interesse, für unsere besonderen Bücher sehr ein.

Sie haben mit dem Reiseführer „1000 Places to see before you die“ auch ein eBook im Angebot. Wer das Buch kauft, kann es sich gleichzeitig herunterladen.

Das funktioniert. Wir haben 100 000 Exemplare produziert und jetzt 70 000 Exemplare an den Buchhandel ausgeliefert. Etwa die Hälfte sind beim Endkunden und davon haben etwa 20 Prozent den Download realisiert. Das ist ganz schön viel.

Sie werden, wie berichtet, in etwa einem Jahr auch ein monumentales Potsdam-Buch herausgeben. Wie ist das Interesse daran?

Gut, auch im Ausland. Potsdam hat eine riesige Chance. Die Asiaten, die rasten aus, wenn sie hier sind. Die Historie, der blaue Himmel – die wollen gar nicht mehr weg. Diese Chance gilt es in die Hand zu nehmen und auszubauen. Nicht nur aus wirtschaftlichen Aspekten, sondern auch, um Kostbarkeiten zu erhalten.

Sehen Sie eine andere Stadt in Deutschland, die Sie so gut verkaufen könnten?

Ich bin seit zweieinhalb Jahren fast jeden zweiten Tag unterwegs. Ich sehe da keine andere Stadt.

Weil Sie in Potsdam verliebt sind?

Ich denke ja. Es gibt kaum eine andere Stadt, die so viele historische Gebäude, Momente und Emotionen in einer so starken Dichte hat. Potsdam passt aber auch in den Zeitgeist. Gerade in diesen unsicheren Zeiten schaut man sich gerne Schönes und Beständiges an.

Das Interview führten Sabine Schicketanz und Dirk Becker

Herbert Ullmann, 57, ist Geschäftsführer der h.f.ullmann Publishing GmbH und der Tandem Verlags GmbH.

1994 gründete Ullmann die Tandem Verlags GmbH, eine Mischung aus Kreativagentur, Produktionsunternehmen und Dienstleistungsfirma. Die Firma konzipiert, entwickelt und produziert sogenannte Medienfrequenzartikel.

2007 entsteht h.f.ullmann als Imprint – also Wortmarke – von Tandem. 2012 werden die Marken zu getrennt geführten, unabhängigen Familienunternehmen. Sie sind mit 60 Mitarbeitern seit Februar 2010 in Potsdam ansässig.

Herbert Ullmann ist in Bonn geboren, verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder.

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