
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Manchmal hilft Singen
Helga Zimmer besucht Menschen, die an Demenz erkrankt sind, und hilft bei der Betreuung einer Tagesgruppe. Das ist nicht immer einfach: Denn die Damen, die für die Ehrenamtlerin nach fünf Jahren schon „fast wie Familie“ sind, erinnern sich nicht an sie
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Heute hat Helga Zimmer Mandalas zum Ausmalen mitgebracht und, zum Vorlesen, ein Buch über Tiere in der Stadt. „Tiere sind immer gut“, sagt sie, dann hören die Bewohner der Wohngemeinschaft interessiert zu. „Aber nach zwei Minuten haben sie es vergessen, das ist der Unterschied, das ist die Krankheit“, sagt Helga Zimmer.
Die 68-Jährige ist eine von etwa 70 ehrenamtlich tätigen Helferinnen – es sind zumeist Frauen – die sich mehrmals im Monat stundenweise um Menschen mit Demenz kümmern. Diese zusätzliche Betreuung ist als Entlastung der pflegenden Angehörigen oder professionellen Pflegekräfte gedacht. Organisiert wird diese Hilfe über die Kontakt- und Beratungsstelle für Menschen mit Demenz und deren Angehörige von der Volkssolidarität.
In der Sozialstation in der Zeppelinstraße gibt es eine Gruppe für Demenzkranke, die dreimal in der Woche mit Betreuern spazieren gehen, basteln, singen oder Bewegungsübungen machen. Das sei ein bisschen wie im Kindergarten, sagt Helga Zimmer. Diese Menschen würden im Alter wieder so hilflos wie kleine Kinder: „Das Anziehen dauert lange, bis jeder seine eigene Jacke und seine Mütze hat, und bis der Letzte fertig ist, schwitzt der Erste.“
Helga Zimmer fährt zwei bis dreimal im Monat quer durch die Stadt, um bei den Gruppennachmittagen mitzuhelfen. Außerdem besucht sie zweimal in der Woche eine Wohngemeinschaft der Alzheimergesellschaft. In der großen, hellen Dachwohnung in Babelsberg wohnen acht Menschen, rund um die Uhr von Pflegepersonal betreut. Doch es ist nicht der körperliche Verfall, der vordergründig problematisch ist, sondern der geistige: „Es ist verdammt schwer, mit dieser Krankheit zurechtzukommen“, sagt Helga Zimmer. Und es ist nicht ganz klar, wen sie meint: die Erkrankten oder die Angehörigen und die Menschen im Umfeld.
In der Wohnung duftet es nach Kuchen, Schwester Stefanie Nagel backt wie am Fließband. „Morgen feiern wir einen 100. Geburtstag, es kommt viel Besuch, vielleicht ja auch der Oberbürgermeister“, sagt die junge Frau in schwarzen Leggins und Turnschuhen. Auf dem Herd stehen schon die Kartoffeln, fertig geschält, während der lange Esstisch im großen Wohnbereich noch nicht vom Frühstück abgedeckt ist. „Jeder darf so lange schlafen, wie er will“, sagt Helga Zimmer. Hier werde kein Stress gemacht.
Drei Frauen sitzen in der Sofaecke, gleich wird sich Helga Zimmer mit ihrem Tierbuch dazusetzen und vorlesen, auch wenn sich Frau E. – der volle Name soll nicht in der Zeitung erscheinen – am Nachmittag nicht mehr daran erinnern wird, dass sie heute Besuch hatte. Das sei manchmal schwer, sagt Helga Zimmer. Denn Frau E. ist für sie „ fast wie Familie“, sie hat die Frau schon zu Hause betreut, bevor sie in die Wohngemeinschaft ziehen musste, weil es allein nicht mehr ging. Vor Kurzem verstarb ein WG-Bewohner, „das geht einem schon nahe, wenn man jahrelang so dicht dran ist“, sagt Helga Zimmer. Den Bewohnern fällt es hingegen weniger auf, sagt Stefanie Nagel, wenn plötzlich einer fehlt. „Sie fragen noch ein paar Tage, dann vergessen sie“.
„Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse“, sagt Helga Zimmer über ihre Entscheidung für diese Tätigkeit. Als Bürokauffrau war sie immer in Einrichtungen des Gesundheitswesens tätig gewesen. Dann, im Ruhestand, die Kinder und Enkel groß, hörte sie von dieser Beratungsstelle und wusste, dass sie das wollte. Dafür nahm sie an mehreren Schulungen teil.
Mit der Zeit hat sie gemerkt, dass jeder Einsatz anders ist: Es gibt Tage, da sind die Bewohner zufrieden mit sich oder weinerlich oder haben in der Eingewöhnungszeit noch Heimweh. „Dann gehen wir spazieren und ich lasse sie viel von sich erzählen, wenn das noch geht. Das lenkt sie ab“, sagt Zimmer.
Auch Singen hilft, sagt sie, wie bei Frau K: Die Dame ist oft ruhelos, dann läuft sie den langen Flur auf und ab und singt mit einer hohen Mädchenstimme leise vor sich hin. „Wenn Sprechen nicht mehr geht, geht vielleicht Singen und Laufen, sie spürt das und tut das eben.“
Noch hat Stefanie Nagel die Kartoffeln nicht aufgesetzt, aber am Tisch sitzen, geduldig, schon ein Mann und eine Frau. „Die haben eine innere Uhr und wissen, demnächst gibt es Mittag“, sagt Zimmer. Es ist leise und heimelig in der Wohnung, in der Sofaecke lesen sich zwei Frauen vor. „Manches geht natürlich noch, aber eine Frau meinte einmal, sie merke genau, wie sie alles vergisst“, sagt Helga Zimmer nachdenklich. Wenn es mit ihr oder ihrem Mann mal so weit kommen sollte, dann – Helga Zimmer beendet den Satz nicht. Sie wird ihre Betreuer-Tätigkeit weitermachen, solange es gesundheitlich geht. „Wenn ich nach einem Einsatz nach Hause komme, mache ich immer ein Kreuzworträtsel. Das ist meine Entspannung.“
Am kommenden Dienstag stellen wir in unserer Serie Elisabeth Kuck vor, die sich im Flüchtlingsheim am Schlaatz engagiert.
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