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Landeshauptstadt: Manufaktur des Geistes

An einem geheimen Ort in Potsdam entsteht „Parzival“ – ein neues Politik-Magazin

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An einem geheimen Ort in Potsdam entsteht „Parzival“ – ein neues Politik-Magazin Von Sabine Schicketanz Das kulturelle Vorzimmer der Hauptstadt hat einen neuen Bewohner. „Parzival“ nennt er sich, und wo genau er wohnt, ist streng geheim. Allein ein Symbol dient bisher als Adressangabe, die Glienicker Brücke. In der Medienlandschaft sorgt „Parzival“ schon seit dem Sommer für Aufregung. Denn der Deckname steht für ein neues Medium, für ein großes Politik-Magazin, für einen „gedruckten Salon“, der ausgerechnet mitten in der Branchenkrise auf den Markt kommen soll. Zwanzig Journalisten und zahlreiche Autoren arbeiten seit Anfang des Jahres an „Parzival“, in einer Entwicklungsredaktion in eben diesem kulturellen Vorzimmer Berlins. In Potsdam. Vor allem ein Name verbirgt sich hinter „Parzival“: Wolfram Weimer, seit mehreren Jahren Wahl-Potsdamer und bis Ende 2002 Chefredakteur von „Berliner Morgenpost“ und „Welt“ des Springer Verlags. Bei „Parzival“ ist Weimer wieder Chefredakteur, und sein Verleger ist nahezu so potent wie es zuvor Springer war. Michael Ringier, Chef der größten Verlagsgruppe der Schweiz, steht hinter dem Vorhaben, ein verloren geglaubtes publizistisches Genre wieder ins Leben zu drucken. Gemeint ist das Autoren-Magazin, das interpretiert, analysiert, reflektiert. Hochkarätige, prominente Schriftsteller, Politiker, Philosophen, Journalisten und Wirtschaftsstrategen sollen in „Parzival“ ihre Vordenker-Rolle wahrnehmen, die großen Debatten des (politischen) Landes aufgreifen. Schon jetzt strömen sie jeden Montag an den geheimen Ort nahe der Glienicker Brücke, zur Autorenkonferenz. Martin Walser, so heißt es, gehört zum „Parzival“-Beirat, der Bundeskanzler soll hoch erfreut gewesen sein über die neue Öffentlichkeit für die Intellektuellen, ebenso die Chefin der Oppositionspartei. Alle journalistischen Genres sollen sich in „Parzival“ wieder finden, Essay, Interview, Kommentar, Porträt und, mit besonderem Gewicht, die Karikatur. Völlig abgeschrieben ist dagegen das, was der Leser bisher auch von den zwei großen Nachrichtenmagazinen, „Spiegel“ und „Focus“, gewohnt ist – kein Tratsch, kein Nutzwert, kein Festklammern an den Nachrichten. Themen sollen zählen, ein Stück Welterklärung will Chefredakteur Weimer liefern. Dass sich „Parzival“ im kulturellen Vorzimmer der Hauptstadt eingerichtet hat, liegt nicht nur am Symbol, der Glienicker Brücke. Potsdam hat eine Tradition als Stätte des „Intellektuellen-Reflektoriums“, verortet vor allem in der heutigen Hegelallee 53. Vor 116 Jahren wurde dort die älteste Druckerei der Stadt gegründet. Gedruckt wurde für den Verlag August Stein, für die Königliche Regierung zu Potsdam, das Königliche Oberpräsidium und das Finanzministerium. 60 Beschäftigte arbeiteten an den Maschinen – bis nach dem Ersten Weltkrieg. Dann wurde ein neues Geschäft entdeckt, der Zeitschriftendruck. Die Renommierteste in der Hegelallee gedruckte war „Die Weltbühne“, herausgegeben von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. Jeden Sonnabend kam Ossietzky in die Steinsche Druckerei, manchmal gemeinsam mit Erich Kästner, und schaute sich die „Fahnenabzüge“ des Werks an, das Berlin in den Zwanzigerjahren zum Zentrum des politischen Journalismus machte. Später, 1949, entstand vor den Toren Potsdams das „geheime Journal der Nation“ (Walter Jens), die von Peter Huchel gegründete Zeitschrift „Sinn und Form“. Im Hubertusweg in Wilhelmshorst trafen sich auch nach 1962, dem Jahr, in dem die SED Huchel das Magazin aus der Hand nahm, die Oppositionellen. Menschen wie Wolf Biermann, Günter Kunert, Reiner Kunze, aber auch Heinrich Böll und Max Frisch. Jetzt sollen die heutigen Intellektuellen Potsdam wieder entdecken, mit und durch „Parzival“. Der französische Philosoph, dessen Geist sich entfalten kann bei einem Spaziergang im Park Sanssouci, der brillante Linke, der ebenso kluge Konservative. Politisch verortet will und kann „Parzival“ nicht sein, Klugheit soll zählen, nicht die Richtung. Dazu passt Potsdam, finden die Macher. Dass man sich hier fühlen kann wie die „Ostküsten-Intellektuellen in den Hamptons bei New York“ (Spiegel) ist vielleicht ein wenig dick aufgetragen, doch Vergleiche mit Windsor, mit Versailles, seien tragfähig. Gerade in Zeiten der Krise, in der allerorten die „neue Ernsthaftigkeit“ beschworen wird, die Eliten zu dem zurückkehren, was „wirklich gut“ ist. Anfang 2004 soll „Parzival“ das erste Mal erscheinen, dann immer monatlich, in Deutschland, dem deutschsprachigen Ausland, aber auch auf Mallorca. Auf zwei bis vier Millionen gebildete, politisch interessierte und aktive Leser zählen die Macher. Dass es sie gibt, hat die Marktforschung bewiesen. Dass sie eine „Manufaktur des Geistes“ zum Lesen wollen, dessen ist man sich sicher bei „Parzival“.

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