"Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses": Mehr als eine Lücke
Herbert Posmyk dokumentierte den langsamen Verfall des Stadtschlosses, das Sterben eines prächtigen Baus. Mitautor Jörg Kirschstein fand auf den Fotos viel Neues.
Stand:
Potsdam - Ein weiteres Buch über das Potsdamer Stadtschloss und noch dazu ein Bildband ausschließlich mit Ruinenfotos – braucht man das? Unbedingt, sagt Jörg Kirschstein. „Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses“, herausgegeben von Christian Thielemann, werde sicherlich auch nicht die letzte Publikation dazu sein. „Ich glaube, dass das Schloss immer Forschungsobjekt sein wird“, sagt Kirschstein.
Der Potsdamer Hohenzollern-Experte, Buchautor und seit diesem Jahr Kastellan im Schloss Babelsberg, hat auch an dem neuen Buch über das Schloss mitgearbeitet. Kirschstein verfasste die Texte und Erläuterungen zu den etwa 150 Fotografien, die den Zustand des Schlosses nach dem Krieg bis zu seinem Verschwinden dokumentieren. Die Fotos stammen von Herbert Posmyk. Der heute 87-jährige Fotograf und Bauingenieur gehörte Ende der 1950er-Jahre zu den Unterstützern eines Wiederaufbaus des Schlosses. Noch einen Tag vor dem Beginn der Sprengungen, die einen monatelangen Abriss des in der Bombennacht im April 1945 zerstörten Gebäudekomplexes einleiteten, wandten sich Posmyk und andere Potsdamer mit einem Brandbrief an die Entscheidungsträger in der Republik. Vergeblich. Die Architekten und Ingenieure hatten Glück, dass sie mit einer vergleichsweise glimpflichen Abfuhr davonkamen. Das Schloss aber wurde weggeräumt. Was tat Posmyk? Er wurde zum Protokollanten. Schon all die Jahre zuvor hatte er immer wieder die Ruine, Potsdams Wunde in der einst so prächtigen Innenstadt, fotografiert. Als klar war, dass es nichts mehr zu retten gab, machte er erst recht weiter.
Posmyk selber sei sich des Schatzes, den er da zu Hause hatte, wohl gar nicht bewusst gewesen
Die Obrigkeit sah das nicht gern, mindestens einmal wollte man ihm das Fotografieren verbieten. Doch als ein Polizist Posmyk, damals 30 Jahre alt, die Kamera wegreißen wollte, drückte er trotzdem ab. Die verwackelte Aufnahme wurde zu einem kleinen historischen Moment. Und findet sich jetzt auch in dem Buch. „Bisher wurden mal hier, mal da ein paar Aufnahmen gezeigt, aber nie in diesem Umfang“, sagt Kirschstein. „Das ist etwas Besonderes.“ Am heutigen Donnerstagabend wird das Buch im Beisein aller Beteiligten im Potsdam Museum vorgestellt. Auch Herausgeber Christian Thielemann, Potsdamer und Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, wird dabei sein. Er war es, der Posmyk überredete, seine Bilder zur Verfügung zu stellen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Posmyk selber sei sich des Schatzes, den er da zu Hause hatte, wohl gar nicht bewusst gewesen, vermutet Kirschstein. Die Fotos sind – neben dem Fakt, dass es sie überhaupt gibt – in vielerlei Hinsicht besonders. Da ist der lange Atem, den Posmyk hatte, sodass eine Chronik über sieben Jahre, von 1953 bis 1960, entstand. Zudem zeigen sie etwas, das es so heute nicht mehr gibt, denn auch wenn das Schloss wiederaufgebaut wurde, ist das originale, historische Innenleben doch verloren. Der Ort, der bewohnt und beseelt war, an dem gelebt und geliebt wurde, an dem Politik, Kunst und Gesellschaft aufeinandertrafen. Die Texte von Kirschstein helfen, das zu verinnerlichen. „Wenn man liest, hier befand sich das Konzertzimmer Friedrichs des Großen oder diese oder jene Königswohnung, die dann samt kostbarem Inventar ausbrannte, dann sieht man mehr als nur eine Lücke in den Ruinen“, sagt Kirschstein. „Dann wird es interessant für den Leser.“
Der Turm der Garnisonkirche gab Orientierung
Für Kirschstein war das Verfassen der Texte gar nicht so einfach, obwohl er vertraut mit der Geschichte ist und den Grundriss des Schlosses aus dem Kopf aufzeichnen könnte. Aber Ruinen einzuordnen ist noch mal etwas ganz anderes. Also verglich er Posmyks Fotos mit Messbildern aus Archiven. Schaute sich jede Skulptur, jeden Schlusssteinkopf genau an. Welcher könnte es gewesen sein? Lächelt er? Schaut er grimmig? „Ich wollte ja keine Fehler machen.“ Überrascht hat ihn, dass manche der Aufnahmen Neues offenbarten, obwohl man doch meint, das Schloss schon so oft gesehen zu haben. „Aber wenn dann ein Flügel fehlt, ergibt sich plötzlich eine neue Perspektive“, sagt Kirschstein. Oft kam er dabei ins Grübeln. Legte Bilder nebeneinander. Verglich die Umgebung, Häuser, Ruinen. Der Plögersche Gasthof mit seiner markanten Fassade mit zierlichen, spitz in den Himmel ragenden Skulpturen – mal ist er da, auf anderen Bildern ist auch er schon abgeräumt. Was damals noch steht, ist der Turm der Garnisonkirche, er gibt Orientierung.
Zudem hat Posmyk eben nicht nur voyeuristisch draufgehalten, sondern bewusst geschaut. Hat Stimmungen eingefangen, Melancholie, Trauer, Gleichmut. Machtlosigkeit. Schönheit. Posmyk hatte ein Gefühl für Sichten und Perspektiven. Er spielte mit Vordergrund und Hintergrund, mit Unschärfen und Lichteffekten. Unter einem blauen Spätsommerhimmel wirken Ruine, Ringerkolonnaden und dahinten die Kuppel der Nikolaikirche wie ein antikes Ensemble. Auf einem anderen Bild wird der Bogen des Fortunaportals zum Rahmen für den zerfressenen Kopfbau des Nordwestflügels. Im Nebel gelingen besonders melancholische Aufnahmen, menschenleer und geheimnisvoll. Dann wieder spiegelt sich das Ruinen-Panorama im sanften, bewegungslosen Wasser der Alten Fahrt. Nahaufnahmen zeigen Säulen- und Skulpturenfragmente auf dem Boden, drumherum Gräser und Himbeergestrüpp.
Schloss-Schutt wurde auf die Nuthewiesen gekippt
Trotz Fokussierung auf den langsamen Verfall, das Sterben eines prächtigen Baus, blendete Posmyk den Alltag in der sich neu findenden Stadt nicht aus, sondern bezog ihn ein. Da ist zunächst der heute wacklig anmutende Staketenzaun, der Eindringlinge wie Posmyk fernhalten sollte. Man sieht die zugemauerten Fenster im Erdgeschoss. Man sieht Straßenbahnen und Autos, Menschen hasten vorbei, es ist kein Ort zum Verweilen, nur zum Passieren. Dann stehen zuletzt Schilder auf dem Areal, „Achtung Sprengung“, Zuschauer sammeln sich. Baufahrzeuge, Bagger, Lastwagen. Um den Schutt abzutransportieren. Zwei untergehakte Damen in eleganten Pelzmänteln flanieren an Bauarbeitern vorbei. Und dann ist alles weg. Freie Sicht. Auch den Blick von der Nikolaikirche zum neuen Thälmannstadion hinüber hat er fotografiert. Eine nekrotische Brache, die später zum Aufmarschier- und Parkplatz wurde. Der Schutt wurde übrigens im Zementwerk Rehbrücke zerbröselt, sagt Kirschstein, und dann, weil er nicht, wie erhofft, für den Straßenbau taugte, unter anderem auf die Nuthewiesen gekippt.
Buchvorstellung am heutigen Donnerstagabend um 18 Uhr im Potsdam Museum.
– Herbert Posmyk, Christian Thielemann: Der Untergang des Potsdamer Stadtschlosses. Edition Braus, Berlin 2016, 96 Seiten, 150 Abbildungen. 29,95 Euro
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: