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Von Kay Grimmer: Mehr als nur „trocken, warm, satt“
Potsdamer Sozialträger begrüßen Neubewertung der Hartz-IV-Sätze und fordern mehr Geld für Bildung
Stand:
Potsdams Sozialträger, aber auch die Verwaltung begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgericht, dass die derzeitige Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder als verfassungswidrig einstuften. „Die Entscheidung ist absolut nachvollziehbar“, erklärte gestern Potsdams Sozialbeigeordnete Elona Müller (parteilos). Es gehe um die Würde und die Interessen der Kinder, so die Beigeordnete. Die Chefin der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt (Awo), Angela Basekow, bezeichnete das Urteil als „einmalige Chance, endlich das System umzustellen, damit jedes Kind die gleichen Leistungen erhält, unabhängig vom Status der Eltern.“
In Potsdam leben derzeit in rund 3840 Hartz-IV-Haushalten Kinder. Allein 1473 davon sind bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern untergebracht. Laut bisheriger Regelung galt für Kinder unter sechs Jahren ein 60-prozentiger Regelsatz eines Erwachsenen, also 215 Euro. Im Alter bis zu 14 Jahren gab es 251 Euro, also 70 Prozent. Jugendliche erhielten bis zur Volljährigkeit 287 Euro, das entspricht 80 Prozent der Regelsätze vom Staat. Sozialbeigeordnete Müller: „Ich habe schon vor Jahren deutlich gemacht, dass die Regelung ,Kleines Kind, kleiner Regelsatz’ schon im Ansatz falsch ist.“
Wie nun die künftige Regelung aussehen wird, ist derzeit noch offen. Die Forderungen von Potsdamer Sozialträgern sind indes deutlich. „Viel stärker müssten künftig Bildungs- und Freizeitausgaben berücksichtigt werden“, berichtete Sandra Wittwer von der Sozialen Beratungsstelle des Diakonischen Werks Potsdam von ihren Erfahrungen aus der Beratungsarbeit. Solche Ausgaben wurden in der Berechnung der Hartz IV-Regelsätze bislang überhaupt nicht berücksichtigt. In diesem Zusammenhang müsse auch über die Definition des Existenzminimums diskutiert werden, forderte Sozialbeigeordnete Müller. „Das wurde in den 60er Jahren festgelegt und umfasste lediglich die Begriffe ,trocken, warm, satt’.“ Für eine gesunde Gesellschaft von heute sei das allerdings „viel zu wenig“.
Awo-Geschäftsführerin Angela Basekow machte deutlich: „Bildung ist nur noch mit Zusatzfinanzierung möglich: Schulsachen, Nachhilfe, Museumsbesuche, die Sportkleidung für Hortkurse. All das wird im Hartz-IV-Regelsatz bislang nicht berücksichtigt.“ Allerdings, so Müller, sei die Situation in Potsdam vergleichsweise komfortabel, da „es für Kinder einige kostenlose Angebote durch soziale Träger gibt“. Zudem gäbe es einen Einschulungszuschuss von 100 Euro.
Potsdams Sozialträger-Vertreter gehen zudem davon aus, dass sich die Bezüge für Kinder in Hartz-IV-Familien erhöhen – auch wenn im Bundesverfassungsgerichts-Urteil explizit gesagt wurde, die Bezüge seien „nicht evident unzureichend“. Sandra Witter von der Diakonie erklärte „pro Kind müssten es monatlich rund 100 Euro mehr sein.“ Awo-Geschäftsführerin Basekow forderte, „die Erhöhung auch wirklich den Familien und den Kindern zu gute kommen zu lassen und nicht wie bei der Kindergeld-Erhöhung den gesamten Beitrag auf die Hartz-IV-Bezüge anzurechnen“. Beigeordnete Elona Müller befürwortete, „wenn es zu einer höheren Unterstützung für Kinder kommen sollte, diese auch in Geldleistungen und nicht in Gutscheinen an die Familien auszureichen“. Schließlich wolle man Verantwortung und Selbstständigkeit der Eltern fördern. „Natürlich gibt es Familien, die mit dem Geld nicht so gut umgehen, aber für diese Fälle muss es Hilfestellungen und Beratungen geben“, so Müller. Man dürfe nicht von einem kleinen Prozentanteil auf alle schließen, sagte auch Basekow.
Sozialträger und Stadt wollen nicht nur appellieren. So werde die Awo über ihre Spitzenverbände Druck ausüben, um in den Verhandlungen die Forderungen umzusetzen, erklärte Basekow. „Ich hoffe, man nimmt sich in den nächsten Monaten die Ruhe, um die dringend notwendigen Verbesserungen im Hartz-IV-Bereich umzusetzen.“ Auch die Stadt Potsdam werde sich über den Deutschen Städte- und Gemeindetag „Gehör verschaffen“, sagte Beigeordnete Müller. „Schließlich sollen die Verbesserungen wirklich den Kindern zugute kommen.“
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