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Landeshauptstadt: Mein Potsdam

Wie die PNN-Praktikantin Irina Philippova aus dem russischen Kaliningrad die Stadt erlebte

Stand:

Man sagt, Berlin ist keine typische deutsche Stadt. In der Metropole bekommt man das Gefühl, es gibt mehr Ausländer als Einheimische. Ich bin nicht zum ersten Mal in Deutschland, aber zum ersten Mal in Berlin und ich habe eine Entdeckung gemacht: In Berlin reicht Deutsch nicht, man muss auch fließend Englisch beherrschen. Die meisten, die ich treffe, konnten kein Deutsch, sondern nur Englisch. Sogar in meiner eigenen Wohnung habe ich Mitbewohner, die kaum Deutsch sprechen. Aber ich habe das Glück, in der „echten“ deutschen Stadt zu arbeiten: Zwar wohne ich am Stadtrand von Berlin, arbeite aber in Potsdam, einer kleinen Stadt voller Kultur und Geschichte. Dort fühle ich mich wohler als im hektischen Berlin.

Obwohl es in Potsdam auch viele Touristen gibt, wirkt diese Stadt anders. Man kann in Ruhe durch die Straßen schlendern, es ist ein wenig wie zu Hause in Kaliningrad, wo ich herkomme. Es gibt viele kleine Straßencafés, in denen man sitzen und das schöne Wetter genießen kann. Die Kellner sind sehr nett und humorvoll und wenn man ein paar Male kommt, begegnen sie einem wie alte Bekannte. In Russland sind die Bedienungen unterschiedlich. Nicht alle Angestellten sind nett und der Service ist nicht immer gut, obwohl viele Kaliningrader den Westen als Vorbild bezeichnen.

Wenn man in Potsdam wohnt, braucht man nicht in andere Städten zu fahren, um etwas Sehenswürdiges zu finden – alles ist hier. Viele Potsdamer wohnen und arbeiten in geschichtsträchtigen Häusern. Alte, prächtige Gebäude werden durch öffentliche Einrichtungen genutzt, zum Beispiel die Villa Quandt, in der sich heute das Theodor-Fontane-Archiv befindet, oder die russische Kolonie Alexandrowka, wo es ein Museum gibt, andere Häuser aber auch bewohnt werden.

Was das Äußere der Potsdamer selbst betrifft, gibt es große Unterschiede zu Russland. Sogar ältere Menschen sind manchmal alternativ gekleidet, teilweise haben sie Tätowierungen, originelle Frisuren oder Piercings. In Russland sehen die Leute strenger aus, vielleicht haben sie noch aus Sowjetzeiten Angst, aufzufallen. Höchstens unter russischen Jugendlichen kann man so einen ausgeflippten Stil antreffen. Außerdem kleiden sich die Leute in Deutschland sportlicher, besonders die Frauen. In Kaliningrad tragen die Frauen sehr oft Röcke und hohe Absätze. Sie ziehen die Schönheit der Bequemlichkeit vor.

Die Potsdamer Trambahnen durchqueren diese schöne Stadt in einem bedächtigen Rhythmus. In Kaliningrad gibt es auch viele Trams, sie sind eines der ältesten Verkehrsmittel unserer Stadt. Vielleicht sind Kaliningrader Straßenbahnen Zeugen der Nachkriegszeit, denn sie sehen ziemlich alt aus. In Potsdam genießt man die Fahrt, denn oft haben die Bahnen eine Klimaanlage und elektronische Displays. In meiner Stadt hingegen ist das Verkehrsmittel – oft das einzig verfügbare – ohne Bequemlichkeiten. In einigen Trams kann man noch jetzt den Schriftzug „Hergestellt in der Tschechoslowakei“ lesen, was ihr Alter beweist. Bei den meisten Kaliningradern sind Busse beliebter als Trams. Die Menschen haben es immer eilig und die Trams stehen öfter im Stau, weil die Autos die Schienen blockieren.

Auch das Fahrradfahren ist in Russland nicht so verbreitet wie in Deutschland. In Russland ist es Prestigesache, mit dem Auto zu fahren. Das Fahrrad benutzen nur die Jugendlichen, meisten am Wochenende und zur Unterhaltung – um zur Schule oder Universität zu kommen, nehmen sie lieber den Bus. Es gibt auch sehr wenige Fahrradwege, deshalb müssen die Radfahrer auf der Straße zusammen mit den Autos fahren und das kann gefährlich sein. Im Jahre 2018 wird in Kaliningrad die Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden. Deswegen verbessert man die Wege, baut Autobahnen und neue Hotels. Die Regierung hat auch neue Trams eingekauft, möglicherweise verändert sich das Äußere der Stadt durch dieses sportliche Ereignis zum Besseren.

Was für mich in Potsdam merkwürdig ist, sind die vielen Demonstrationen. Für Russland ist das nicht typisch, denn bei uns ist es so kompliziert, eine Demonstration zu organisieren, dass es fast unmöglich ist. Hier in Potsdam ist das eine ganz gewöhnliche Sache. Allein in den ersten drei Wochen meines Praktikums in der PNN-Redaktion waren drei Streiks angemeldet – wegen zu niedrigem Lohn, gegen die Kündigung einer Lehrerin und wegen Asylcontainern. Daran kann man sehen, dass Meinungsfreiheit und Demokratie hier in die Tat umgesetzt werden. Das ist der Unterschied zu meiner Heimat.

Aber es gibt auch Ähnlichkeiten zwischen Potsdam und Kaliningrad. Kaliningrad hat eine deutsche Vergangenheit, denn es gehörte zu Ostpreußen und hieß früher Königsberg. Deshalb haben wir auch viele schöne alte deutsche Gebäude und auch einige Stadttore aus deutscher Zeit. Wahrzeichen von Kaliningrad ist der Dom, der in der Stadtmitte auf der Kant-Insel liegt, wo der größte Philosoph des 18. Jahrhunderts, Immanuel Kant, begraben liegt. Neben diesem Stadtteil befinden sich die Ruinen des Königsschlosses, das nach dem Krieg von der sowjetischen Regierung gesprengt wurde. Weil Kaliningrad ein attraktives Urlaubsziel ist, gibt es heute viele Diskussionen über den Wiederaufbau des Schlosses, aber es mangelt am Geld. Auch das Potsdamer Stadtschloss wurde von den Kommunisten gesprengt, heute wird es wieder rekonstruiert. Ich freue mich darüber, dass dieses prächtige Gebäude für die junge Generation wieder aufgebaut wird und so die Geschichte erhalten bleibt.

In den eineinhalb Monaten, die ich in Potsdam verbracht habe, erlebte ich eine kleine Stadt, in der man viele Entdeckungen machen kann. Jetzt existiert für mich eine freundliche Stadt auf der Welt mehr.

Irina Philippova kommt aus dem russischen Kaliningrad und ist über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Potsdam. Sechs Wochen lang machte sie ein Praktikum in der Redaktion der PNN.

Irina Philippova

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