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Die 83-jährige Maria Luise Damrath erzählt den Potsdamer Schülern von ihren Erlebnissen als Kind im Zweiten Weltkrieg. 

© Ottmar Winter

Als hier Bomben fielen: „Meine Mutter sagte: Wir müssen weg“

In der Nagelkreuzkapelle berichteten zwei Zeitzeuginnen Schüler:innen von ihren Kriegserfahrungen. Auch die Geschichte der Garnisonkirche wurde behandelt.

Potsdam - Maria Luise Damrath weiß, wie es ist, vor Bomben fliehen zu müssen: Im Februar 1945 verließ sie Potsdam zusammen mit ihrer Mutter und ihren drei Geschwistern. „Meine Mutter sagte: Wir müssen weg, bevor Potsdams Mitte zerbombt wird“, sagt die heute 83-Jährige. Doppelt und dreifach angezogen, nur mit dem Nötigsten im Handgepäck, wartete die Familie in der Kälte auf einen Zug Richtung Westen, ein Kohle-Zug nahm sie schließlich mit. Doch in Rathenow war Schluss: „Der nächste Zug kam erst drei Tage später“, sagt Damrath. Mitten im Winter musste die Familie zwei Nächte auf dem Bahnhof verbringen.

Gebannt hängen die Schüler:innen der Montessori-Oberschule Potsdam an den Lippen der Zeitzeugin, die es gut versteht, spannend und ganz konkret von ihrer Kindheit im Krieg zu erzählen. Es ist eines von zwei Zeitzeugen-Gesprächen, die am Montag im Rahmen des Schulprojektes „Krieg und Frieden“ in der Nagelkreuzkapelle und im Rechenzentrum stattfanden. Durchgeführt wird es in Zusammenarbeit mit der Stiftung Garnisonkirche und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). An mehreren Tagen sollen sich die Jugendlichen der 7. und 8. Klasse mit den Ursachen und Folgen von Kriegen auseinandersetzen, aber auch mit der Bewahrung des Friedens und Übungen zur gewaltfreien Konfliktlösung.

Traumatische Flucht aus Potsdam

1945 hatte Maria Luise Damrath bereits viel durchgemacht: Als kleines Kind hatte sie Bombenabwürfe auf ihr Haus miterlebt, kurzzeitig hatte sie auch in einem Waisenhaus leben müssen, wo sie wegen Nichtigkeiten mit einer Peitsche geschlagen worden war. Auch die Flucht aus Potsdam war traumatisch: Als ihre Familie nach drei Tagen in Rathenow endlich in einen überfüllten Zug nach Stendal einsteigen konnte, kam es nachts zu einer Katastrophe: „Unser Nachbarwaggon wurde von einer Bombe getroffen“, sagt Damrath. Die Familie verließ den Zug, rundherum war die Luft erfüllt von Weinen und Schreien. „Da hat meine Mutter zu uns gesagt: Wir singen jetzt einen Kanon.“ Die fünfköpfige Familie stimmte „Herr, bleibe bei uns“ an. „Nach und nach wurde es um uns herum immer stiller“, sagt Damrath.

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Die Schüler:innen sind beeindruckt von dem Gehörten: „Ich fand krass, dass sie so ruhig geblieben ist, als die Bombe auf ihr Haus gefallen ist und dass sie dann als Dreijährige das Feuer mitgelöscht hat“, sagt die 14-jährige Tallulah. Auch ihr Opa habe ihr schon oft Geschichten aus dem Krieg erzählt: „Allerdings hat er auf dem Dorf gelebt, deshalb fand ich es spannend, heute mal etwas aus einer anderen Perspektive zu hören.“

US-Soldaten warnten Maria Luise Damrath vor den Russen

Da das Projekt in der Nagelkreuzkapelle stattfindet, wurde auch die Geschichte der Garnisonkirche behandelt: „Als Militärkirche für Soldaten spielt dieser Ort für das Projekt natürlich eine Rolle“, sagt Hana Hlásková, Bildungsreferentin der Stiftung Garnisonkirche. Viele der Jugendlichen hatten bereits Wissen um die Geschichte und auch über den Streit um den Wiederaufbau, sagt sie. „Sie wussten auch schon, was der Tag von Potsdam ist.“ Auch Zeitzeugin Maria Luise Damrath hat eine persönliche Verbindung zur Garnisonkirche, denn ihr Vater Rudolf Damrath war hier als Pfarrer tätig.

Die Debatte um die Garnisonkirche und das Rechenzentrum nimmt kein Ende.
Die Debatte um die Garnisonkirche und das Rechenzentrum nimmt kein Ende.

© Ottmar Winter PNN

Als Damrath im Herbst 1945 mit ihren Geschwistern in Stendal lebte, wurde die Stadt von den USA kontrolliert. Ein amerikanischer Soldat sagte eines Tages zu ihrer Mutter: „Fliehen sie heute Nacht nach Westen, die Russen bekommen dieses Gebiet.“ Dieses Detail ist bei dem zwölfjährigen Mattes hängengeblieben: „Ich kenne solche Erzählungen auch aus meiner Familie, ein Teil der Familie kommt aus der DDR.“ Sein Urgroßonkel war Doppelagent, sein Uropa wurde deswegen von der Stasi verhört; in der Familie kursierten viele ungute Geschichten über russische Soldaten und Sicherheitsbehörden.

Projekt wurde schon vor dem Ukraine-Krieg geplant

Der Krieg in der Ukraine war nicht der Anlass für das Schulprojekt: Geplant wurde es auf Wunsch der Schüler:innen schon Ende letzten Jahres. Die Jugendlichen sollten sich vor allem mit den Weltkriegen beschäftigen und allgemein über Krieg und Frieden diskutieren. An der Wand der Nagelkreuzkapelle hängt ein Plakat mit der Überschrift „Was ist Frieden?“, darauf stehen Schlagworte wie „Kein Hunger“, „Zusammenhalt“, „Keine Gewalt“, „Freiheit“, „Kein Waffenhandel“. Auf einem anderen Plakat mit der Frage „Was bedeutet Krieg für dich?“ stehen Antworten wie „Angst“, „Kein Zuhause“, „Hilflosigkeit“, „Tod“.

„Manche sind das erste Mal überhaupt mit dem Thema konfrontiert“, sagt eine Klassenlehrerin. Man habe in der Schule bereits über den Ukrainekrieg gesprochen: „Manche wollten sofort alles darüber wissen, andere waren damit emotional total überfordert.“ Auch während des Zeitzeugen-Gesprächs kam das Thema auf, denn die zweite Zeitzeugin, die 83-jährige Maria von Pawelsz-Wolf, engagiert sich wegen ihrer eigenen Kriegserfahrungen für Menschen in der Ukraine: Sie erzählte von dem ukrainischen Pfarrer Rostyslav Dudarenko, der vor kurzem von russischen Soldaten auf offener Straße erschossen wurde, als dieser mit einem erhobenen Kreuz auf sie zugelaufen war.

Viel zu verarbeiten für die Schüler.innen: „Mich beschäftigt der Krieg in der Ukraine auf jeden Fall, aber ich rede eher ungern darüber“, so Tallulah. „Ich finde es ist ein ziemlich beängstigendes Thema.“

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