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Neue Masche. Studentinnen der Fachhochschule verkleideten gestern das Geländer am Hotel Mercure. Das Mitmachprojekt ist eine Hausarbeit – und soll Potsdam bunter machen.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Mercure wird Insektenhotel

Am Donnerstag wurde vor dem Hotel gestrickt – demnächst sollen auf dem Dach Bienen wohnen

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Die Situation erinnert an die Sit-ins der 68er: Studenten auf dem Boden sitzend, rauchend, strickend. Doch die jungen Leute, die am gestrigen Donnerstagnachmittag vor dem Hotel Mercure sitzen, wollen nicht protestieren – sie wollen ein Kunstprojekt vollenden. Wochenlang haben die Initiatoren Manuel Hornauer, Stephanie Respondek, Carolin Stiller und Amelie Wägerle, die an der Fachhochschule Kulturarbeit studieren, diese Aktion vorbereitet, Stoff gesammelt, gestrickt und gehäkelt. Um damit letztlich das Geländer der Treppe, die vom Fußweg der Langen Brücke hinauf zum Hoteleingang führt, bunt zu verkleiden.

Die Semesterhausarbeit der Studenten stand unter dem Motto „Potsdam, wir stricken“. Möglichst viele Potsdamer sollten mitmachen, damit sie sich als Teil der urbanen Kunstszene begreifen. Und damit die Stadt bunter wird – gerade an so einer tristen Ecke wie der vor dem Hotel. Das Motivieren ist gelungen – säckeweise ist Stoff zusammenkommen. Auch im Garnatelier in der Benkertstraße wurde gesammelt. Inhaberin Audrey Schneider ist selbst zur Montage der Stoffstücke zum Hotel gekommen. „Ich bin begeistert, wie viele Potsdamer toll stricken können“, sagt sie.

Wer es nicht kann, bekommt einen Schnellkurs vor den Treppenstufen, während die ersten Meter Treppengeländer bunt umhüllt werden. Sehr kurios finden das ein paar Hotelgäste und sind gespannt, was es werden soll. So eine Art Guerilla-Kunst sei in anderen Städten gar nichts Außergewöhnliches, sagen die Studenten.

Immerhin war es ihnen gelungen, Hotelchef Marco Wesolowksi für das Projekt zu gewinnen. Gerade in dieser grauen Jahreszeit tue so ein Farbklecks der Stadt gut. Er begrüßte am gestrigen Donnerstag die Hobbyhandarbeiter persönlich, das Hotel spendiert außerdem Getränke. Und auch er hat Strickwaren mitgebracht: Schwiegermutter und Tochter haben ein Rechteck kreiert, in hübschem Mercure-Lila, und das Wort „Potsdam“ appliziert.

„Ich bin immer für etwas Außergewöhnliches zu haben“, sagt Wesolowski. Innerhalb von 30 Minuten hatte er damals seine Zusage auf die Anfrage der Studenten gegeben. Und als vor Jahren ein Fassadenkletterer am Mercure trainieren wollte, war auch das kein Problem. Als nächstes wird der Chef selbst des Öfteren hoch hinaus müssen. Im Frühling sollen Bienenbeuten auf dem Hoteldach aufgestellt werden. Drei Bienenvölker werden dann von dort aus in die Umgebung schwärmen und Stadthonig produzieren. „Hier ist der Lustgarten, die Gartensparte Am Hinzenberg – genug Nahrung für Bienen“, sagt Wesolowski. Die Idee dazu hatte seine Frau Katharina. Sie begann in diesem Jahr mit dem Imkern, derzeit stehen die Völker in ihrem Garten im Barnim. Diese sollen bis zum Frühling nach Potsdam umziehen. Dass es in 55 Metern Höhe zu unwirtlich für die Honigbienen sein könnte, befürchtet Wesolowski nicht. „Die Beuten werden im Schutz der kleinen Dachhäuschen stehen, und wenn es zu kalt wird, kommt Styropor als Isolation drumherum“, sagt er. Der Hotelchef selbst wird sich künftig um die Tiere seiner Frau kümmern und regelmäßig in Schutzkleidung aufs Dach steigen. Aber auch einige Mitarbeiter haben daran Interesse gezeigt. „Die sind alle begeistert.“ Honigernte, Schleudern und Abfüllen soll direkt im Hotel stattfinden. Wesolowski kann sich sogar vorstellen, daraus ein Mitmachevent für Hotelgäste zu machen. Der Honig werde sicherlich auf dem Frühstücksbuffet landen und könnte, wenn die Bienen viel sammeln, auch verkauft werden. Zuvor allerdings müsse ein Veterinär die Tiere anschauen und sein Okay geben. Auch der Umzug der Völker nach Potsdam muss angezeigt werden.

Der Brandenburger Imkerverband beobachtet solche innovativen Imkerinitiativen mit Freude. In den vergangenen 25 Jahren sei der Bienenbestand in Brandenburg drastisch zurückgegangen, sagt Verbandsvorsitzender Rainer Gabriel. Und ohne Bienen weniger Bestäubung der Obstbäume – das sei eine ernste Gefahr für die Landwirtschaft. Seit einigen Jahren allerdings gebe es wieder vermehrt Interesse an dem Hobby. „Der Landesverband bietet regelmäßig Kurse für Jungimker an“, sagt Gabriel.

Gestern wurde das Hotel zunächst eingehäkelt. Etwa 60 Personen kamen vorbei, um mitzuhelfen. Beide Handläufe waren am Abend bunt verkleidet. Wer die Aktion verpasst hat, so Amelie Wägele, könne ja in den kommenden Tagen weiterstricken. Dann hätten sie ihr Ziel, die Menschen zum Mitmachen zu bewegen, erreicht. Steffi Pyanoe

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