WEIMERS Woche: Mexikaner werden
Wolfram Weimer unternahm eine Zeitreise in die Schäbigkeit
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In dieser Woche war ich in der Schule. Im Helmholtz-Gymnasium ging es um die Frage, was Schüler werden können. Praktiker sollten Tipps geben. Ich bin zwar eher Theoretiker, erzähle aber gerne, warum der Journalismus der schönste Beruf der Welt ist. Also war ich dabei.
Nach der Stunde schlich ich ein wenig durch das altehrwürdige Schulgebäude – „sich mal umschauen“ ist eine journalistische Schwäche. Was ich dabei sah, ist allerdings schlimmer als eine Schwäche. Denn die Ausstattung der Schule erschien mir nicht bescheiden oder schlecht, sondern erbärmlich. Während Potsdam und Berlin in baulichem Glanz erstrahlen, hier feine Villen entstehen, dort coole Loungearchitektur imponiert, gewaltige Schlösser, neue Theater und teure Museen elegant aufgebaut werden und von der IHK bis zur AOK alle gediegen residieren, schicken wir unsere Kinder in Schulen, die vor sich hinmodern. Abgewrackte Klassenbaracken, bröckelnder Putz, räumliche Enge, uralte Technik – der Besuch einer staatlichen Schule gerät schnell zur Zeitreise in die Schäbigkeit. Ich halte das – sparen wir uns das Wort Skandal – für unklug. Denn ein Blick ins marode Gymnasium zeigt: Wir investieren einfach zu wenig in den wertvollsten Rohstoff, den wir haben: nachwachsende Intelligenz. Eine Institution wie Helmholtz hat eine jahrhundertealte Tradition als Eliteschule, als Stolz Brandenburgs. Sie zog zu allen Zeiten – ob Kaiser oder Kommunisten regierten – die klügsten Köpfe an und zählt auch heute zum Bildungsbesten, was das Land zu bieten hat. In jedem anderen Land würde so etwas zu einem Prunkstück herausgeputzt. In Potsdam hingegen gibt es für die Helmhöltzer nicht einmal das Nötigste zum Ausbau als Ganztagsschule.
Doch das Problem, das an der Paradeschule zum Extremfall wird und Elternproteste mobilisiert, trifft viele. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird in Brandenburg pro Kind besonders wenig für Bildung ausgeben. Schaut man in den Landeshaushalt, dann sind seit Jahren nur 3200 bis 3500 Euro je Schüler veranschlagt – das ist nicht nur wenig, es hat sich vor allem seit dem Pisa-Schock kaum verbessert. In Hamburg dagegen investiert man in jeden Schüler ein Drittel mehr als in Potsdam. Ganz zu schweigen vom Ausland. Die skandinavischen Länder, die Angelsachen, die Franzosen und Schweizer – alle geben deutlich mehr Geld für Bildung aus als wir. Inzwischen haben uns laut OECD sogar die Polen, Portugiesen und Mexikaner überholt. Vielleicht sollten die Helmhöltzer darüber nachdenken, nicht Journalisten sondern Mexikaner zu werden.
Wolfram Weimer schreibt an dieser Stelle regelmäßig für die PNN. Unser Autor ist Chefredakteur des Magazins „Cicero“ und lebt mit seiner Familie in Potsdam
Wolfram Weimer
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