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Von Henri Kramer: Missbrauchsverdacht: Neue Vorwürfe gegen Uwe D.

Früherer Potsdamer berichtet von sexueller Nötigung durch Pfarrer bereits Ende der 1970er Jahre / Evangelische Kirche zieht erste Konsequenzen

Stand:

Gegen den unter Missbrauchsverdacht stehenden Pfarrer Uwe D. werden neue Vorwürfe erhoben. Bei den PNN hat sich ein mutmaßlich weiteres Opfer des Potsdamer Geistlichen gemeldet. Der Mann beschuldigt Uwe D., dieser habe ihn als Kind gegen seinen Willen an den Genitalien angefasst. Damit hätte sich Uwe D. schon Ende der 1970er Jahre der sexuellen Nötigung von Schutzbefohlenen schuldig gemacht. Gegen den pensionierten Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde ermittelt die Staatsanwaltschaft nach Strafanzeigen wegen des Verdachts der Vergewaltigung eines Teenagers im Jahr 1999 und wegen Kindesmisshandlung einige Jahre später. Der von 1966 bis 1999 in Potsdam tätige Pfarrer bestreitet alle Vorwürfe und sieht sich als Opfer einer Kampagne.

Die Anschuldigungen erhebt Alexander B. (Name geändert). Er ist Anfang 40, lebte lange Jahre in Potsdam, war hier in der evangelischen Kirche aktiv und will derzeit anonym bleiben, um nicht von früheren Kollegen und Freunden auf sein Erlebnis angesprochen zu werden. Anlass für sein Vorgehen sind die Schlagzeilen um Uwe D. und dessen Reaktion darauf. Unter anderem hatte der heute 76-jährige Kirchenmann gesagt, er habe als Jugendpfarrer Rüstzeiten mit mehr als 500 Jugendlichen unternommen: „Die würden allesamt für mich einstehen.“

Alexander B. gehört nicht dazu. Der Vorfall ereignete sich laut seinen Angaben 1978 oder 1979, so genau weiß er das 30 Jahre später nicht mehr. Doch was ihm in einer Nacht als acht- oder neunjährigem Kind passierte, ist ihm noch gut im Gedächtnis. Bei einer Sommerfreizeit mit 20 bis 30 anderen Kindern hätten Uwe D. und er mit vielen Kindern im selben Zimmer geschlafen. „Da standen sechs bis acht Doppelstockbetten nebeneinander, zwei waren zusammengestellt, ich schlief rechts unten und Herr D. im Bett links direkt daneben“, sagte Alexander B. den PNN. Mitten in der Nacht sei er aufgewacht und habe eine Hand bemerkt, die unter seine Hose „wanderte“ und seine Genitalien „abgetastet“ habe. Instinktiv habe er sich weggedreht und seine Decke dicht an sich gezogen, so der Mann. Mehr sei „zum Glück“ nicht passiert, weil die Hand schließlich zurückgezogen worden sei. „Das ist wie ein dunkler Fleck in meiner Biographie, ich habe auch nicht mehr alle Details im Kopf, wohl auch aus einer gewissen Scheu vor dieser Erinnerung. Ich war damals zu jung, um das Geschehen einzuordnen und habe es später komplett verdrängt und mit kaum jemandem darüber geredet“, sagte Alexander B.

Erinnert an den Vorfall hat Alexander B. ein Freund aus Potsdam, dem er bei einem Urlaub im Ausland in den 1990ern von seinen Erfahrungen mit Uwe D. berichtete. „Er hat angesichts der Schlagzeilen an meine Erzählung gedacht“, sagte Alexander B. Nun überlegt er, wie er weiter vorgehen soll. „Ich möchte Zeuge sein und anderen Opfern den Rücken stärken.“ Mit der Staatsanwaltschaft habe er schon Kontakt aufgenommen, trotz Bedenken gegen die „Mühlen der Justiz“. Zudem will Alexander B. dem heutigen Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde, Martin Kwaschik, von seinem Erlebnis berichten und ihm raten, „stringenter als bisher auf die Vorwürfe zu reagieren“.

Noch nicht durchringen kann sich der Mann, bei der eingerichteten Hotline der Evangelischen Landeskirche unter Tel.: (030) 243 441 21 anzurufen, bei der sich Missbrauchsopfer melden können. Alexander B. hat Vorbehalte gegen die eingesetzte Berliner Juristin Frauke Reeckmann-Fiedler – diese habe eine zu große Nähe zur Institution Kirche: „Sie ist im Kopf bestimmt nicht neutral“. Die Anwältin praktiziert in derselben Kanzlei, in der auch ihr Gatte tätig ist. Dieser ist Mitglied der Leitung der Landeskirche. Andere Institutionen wie der Jesuitenorden arbeiten mit Missbrauchsbeauftragten zusammen, die keinen Kontakt zur Kirche haben. Die Landeskirche hat ihre Entscheidung für die Anwältin bisher verteidigt.

Unterdessen hat die Evangelische Kirche in Potsdam erstmals Konsequenzen nach den vor anderthalb Wochen veröffentlichten Vorwürfen gegen Uwe D. gezogen. Nach einer Sondersitzung des Gemeindekirchenrats am Wochenende wurde Uwe D. gebeten, bis zum Ende der Ermittlungen nicht weiter die Finanzen der Heilig-Kreuz-Gemeinde und die ihrer Kita in der Kiezstraße zu verwalten. Dies bestätigte gestern Potsdams Superintendent Joachim Zehner: „Herr D. hat dem entsprochen.“ Uwe D. darf aber weiter in der Gemeinde-Wohnung gegenüber der Kita leben. In der Kita hat er Hausverbot. Eltern mit Kindern in der Einrichtung hatten ihn wegen Misshandlung angezeigt.

Vorwürfe gegen Uwe D. sind bei der Kirche, wie berichtet, seit 2001 offiziell bekannt. Gerüchte über seine mutmaßlichen Neigungen habe es ebenso gegeben, heißt es von Kirchenvertretern. Zehner hatte im Mai eine Strafanzeige gegen D. gestellt, Anlass war ein Gespräch mit dem mutmaßlichen Opfer der vermuteten Vergewaltigung von 1999. Die Landeskirche hat vergangene Woche ein Disziplinarverfahren gegen Uwe D. eröffnet. Zu den neuen Vorwürfen hat er sich trotz Anfrage bis gestern Abend noch nicht geäußert.

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